Warum die "Russen" nicht von einem Stammesnamen abstammen

Noch heute wird eine Herleitung für "Russe" bemüht, die quasi unhinterfragt Jahr für Jahr weitergereicht wird. So steht noch immer dieser Satz auf der deutschen Wiki-Seite, dass Russe "heute überwiegend vom nordischen roðr für „Rudern, Rudermannschaft“ hergeleitet" wird. Hinterfragt man das jedoch logisch, müssten zuerst die Waräger zu Fuß dem Dnepr hinabmarschiert sein. Auch lautsprachlich gibt es erhebliche Barrieren, "rus" von "roðr" herzuleiten, weshalb die Russen selbst auch völlig andere Herleitungsthesen diskutieren.

Eine dieser ersten Theorien nach soll „Rus” weiterhin aus dem Skandinavischen stammen, wofür der russische Historiker Wassili Kljutschewski einen Chronisten aus dem 12.Jahrhundert zitierte, wonach die Waräger die "Rus" nach sich selbst benannten. Das dürfte aber mindestens so gemeint sein, dass nur sie dem Land diesen Namen gegeben haben. Dafür ziehen sie das Argument aus der Tasche, dass der
Name der „Rus” dem finnischen Wort „Ruotsi” für Schweden ähnelt. Seltsam ist nur, dass die Waräger sich selbst nicht als „Ruotsi” bezeichneten und auch der ähnlich klingende Fürstenname Rurik etwas anderes bedeutet und für die Herleitung nicht herangezogen wird.


Die Saporosher Kosaken im Angriff (Gemälde1881). Das Reitpferd besaß in allen Jahrhunderten in den Schwarzmeersteppen eine überragende Bedeutung
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Ein weitere These bezieht sich hingegen auf ein ukrainisches Hydronym, wonach die "Rus" vom Dnepr Nebenluss Ros abgeleitet wäre. Das ist in Tat interessant, weil Flussnamen in der Regel zu den ältesten orthografischen Namen überhaupt gehören. Die Bewohner sollen sich dann nach diesem Fluss „Rosskije” genannt haben, woraus später „Russkije” entstanden wäre.
Was zunächst plausibel klingt, wird jedoch von Sprachwissenschaftlern angezweifelt, da bei Ethnonymen selten ein „o” zum „u” wird.

Eine dritte Namenstheorie besag hingegen, dass sich „Rus” von den Roksolanen herleiten könnte, dass einst den Sarmaten angehörte, das mit den Skifs verwandt war. Im 2. Jahrhundert v.Chr. bis zum 1. Jahrhundert n.Chr. siedelten sie jedoch nur auf der Krim, was an sich zu weit weg vom Schauplatz ist. Auch die These wonach die Rus sich vom byzantinischen Volksbegriff "ar-rusija" ableitet, greift hier zu kurz, denn als die Byzantinier ihre Missionare nach Kiew entsendeten, existierte bereits die Rus.

Um zu klären was er wirklich bedeutet, müssen wir uns also mit der Landnahme der Waräger beschäftigen, als diese von Norden kommend , mit ihren Booten den Dnjepr hinabfuhren und das am Ufer mit ihren Namen benannten, was sie im Unterschied zu ihrer Heimat besonders häufig in den Schwarzmeersteppen sahen: Pferde! Im altnordischen "hross" und im germanisch "hrussa" (!) genannt, wird schnell klar, dass sie dieses Land als "Pferdeland" bezeichnet haben. Und wer darauf ritt war ein "Hruss-ski", da die meisten Stämme dieser Region in vorrömischer Zeit noch Nachkommen früheren Ki-Eliten unterstanden.

Von Rus-Wikingern und der Drushina

Nach einem sehr interessanten Beitrag auf www.woelfe-des-nordens.de, wird dort zwar auf Basis von erwähnten Quellenbüchern ebenfalls die Ruderer-These erwähnt, aber eben auch noch einige andere Theorien vorgestellt, die man auf den entsprechenden Wikipedia Seiten nicht findet. Zunächst sollen schwedische Händler über die Ostsee nach Newa gereist sein, die lange Zeit dem deutschen Schwertbrüderorden unterstand. Danach öffneten sie über dem Dnjepr einen Handelsweg nach Byzanz, dass sie selbst Miklagard nannten. Dieser reiche und ergiebige Handelsweg lockte die Brüder Rurik und Oleg an Wolchow und Dnjepr, die sich offensichtlich von der Sicherung dieser Handelsstraße enorme, vor allem leichte Gewinne versprachen. So gründete zuerst Rurik in Nowgorod ein Fürstentum und nachfolgend Oleg ein Fürstentum in Känugard. Der Plan der Brüder funktionierte und es zogen noch weitere Skandinavier in diese sich etablierenden Fürstentümer.


Rurik nach einem Bild von Hermanus Willem Koekkoek
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Die sich dort bildende Oberschicht unterwarf immer weitere umliegende Stämme, bis sich das gesamte kontrollierte Territorium von der Ostsee bis hinunter zum Schwarzen Meer erstreckte. Damit war der gesamte Handelsweg für die Waräger gesichert. Die Kriegerkasten von Rurik und Oleg gründeten nach dem Stand der Forschung niemals selbst eine Siedlung, sondern ließen sich immer nur in bereits bestehende nieder. Die neuen Untertanen Ruriks und Olegs sollen die Nordmänner Varjag oder auch Rus genannt haben, wobei das letztere wegen der strittigen Herkunft als nicht gesichert gilt. An dieser Stelle wird erneut die Ruderer-These erwähnt, aber auch eine Herleitung von Rus aus der schwedischen Region Roslagen. Genaugenommen kommt aber eine Herleitung von Roslagen für Rus nicht in Frage, denn dieser Name entwickelte sich laut Wikipedia erst im 15. Jahrhundert (!) aus dem altschwedischen Begriffen Roden und Skeppslag. Wiki: "Roden war der Name für die Regionen im Land der Svear, die bei Kriegshandlungen Ruderer bereitstellen musste. Dies bezog sich nicht nur auf die heutige Region Roslagen, sondern auch auf andere schwedische Gebiete wie Södermanland und der Küste von Östergötland. Skeppslag war die örtliche Entsprechung des Begriffs Harde. Der Verwaltungsbezirk, welcher ein Skeppslag bildete, war verantwortlich für die Ausrüstung eines Schiffes mit Mannschaft (meist 25 Personen) samt Waffen und Proviant."

Resümiert man diesen Hintergrund, könnte man zwar noch immer der Meinung sein, das "roðr" von Roden stammt und wiederum die Ruderer-These untermauert. Was dagegen spricht ist jedoch die relativ kleine Zahl an Warägern, die an den Wolchow und den Dnjepr kamen und ganz gewiss von Anfang an ihre eigenen Ruderer mitbrachten. Das hängt auch mit der effektiv eingeteilten Schiffsmannschaft der Waräger zusammen, wo Ruderer und Krieger immer die gleiche Person war. Wer also annimmt, dass die Waräger ihrer Ruderer erst an Wolchow und Dnjepr anwarben irrt! In Sachen Kriegswesen blieb besonders ihr Schiffbau am längsten rein skandinavisch und selbst die unmittelbare Fürstengarde wurde immer nur von nordischen Söldnern gestellt, die als Drushina bekannt wurde. Man bezeichnete sie auch als Schwurgemeinschaft, letztlich blieben sie jedoch lange eine geschlossene Kriegerkaste für Außenstehende. Ist aber Roslagen erst im 15. Jahrhundert ein belegter Name gewesen, fällt auch die These von den Rus-Wikingern zusammen, weshalb am Ende des Beitrags auch eine alanische Herkunft vorgeschlagen wird, wonach Rus/Rhos dort „hell“ bedeutet und sich auf die die Hellhäutigkeit bezogen sein könnte.

Nach Gottfried Schramm wurde 950 von Kaiser Konstantin Porphyrogenitus festgehalten, wie er die sieben Dnjeprstromschnellen nannte, die entweder "rhōsisti" und "sklavēnisti" genannt wurden. Schramm resümierte darüber, dass niemand mehr die nordische Herkunft von "rhōsisti" anzweifeln würde, weshalb auch dieses Wort auf seine Herkunft geprüft werden muss. Es soll bekanntlich der finnische Name Ruotsi für Schweden gewesen sein, was mittelgriechisch mit Rhōsisti übersetzt wird. Auf der finnischen Wiki Seite über Ruotsi wird jedoch erwähnt, dass dieser Name aus Roslagen stammen würde, deren Name erst im 15. Jahrhundert entstand.

Neben einem Pferdebezug könnte aber noch eine weitere Theorie in Frage kommen, an die bisher ebenfalls noch niemand gedacht hat. So könnte Rus auch von gotischen "rus" für Rost stammen, was einen Eisenbezug herstellen könnte. Die von russischer Seite gern behauptete These, dass sich Rus von einer regionalen Herrscherelite ableitet, bekäme auch dahingehend Sinn, wenn die Drushina-Krieger Ruriks und Olegs mit metallener Rüstung sich deutlich von den einheimischen Wald- und Steppenkriegern abhoben. Der Name der Drushina-Garde dürfte sich zudem von Ruriks anderen Brüdern Truwor und Sineus herleiten. Was bleibt ist noch ein Wort über die von den Byzantiniern erwähnten "sklavēnisti", die niemals "Slawen" gewesen sind, sondern nur Eingeborene, die sich die Oströmer früher als Sklaven besorgten.