Magdeburg als Magathaburg

Das ist der Forschungsstand: Ältere Formen des Namens Magdeburg lauten ad Magadoburg oder Magathaburg im 10. Jahrhundert. Das Grundwort Burg ist allseits vertraut. Im Bestimmungswort vermutet Jürgen Udolph (erstmals 1999) ein – nicht belegtes – germanisches Adjektiv *magaþ für „groß, mächtig“, also „mächtige Burg“. Harald Bichlmeier (2010) zieht diese Hypothese in Zweifel.


Magdeburg - Auf dem Domplatz wurden Reste von Anlagen aus dem 5./6. Jahrhundert entdeckt, das war noch lange vor der Zeit, wo Magdeburg Teil des Reiches Karl, des Großen wurde. Heidenzeit also, wo der Ort den Altsachsen unterstand, die hier einen Sitz hatten. Die ältere Literatur weiß von einem Freyatempel, der erst von Karl, dem Großen zerstört worden sein soll. Typisch ist jedenfalls, dass auf zerstörte heidnische Tempel meistens immer erste Kirchen errichtet wurden, um die Missionierung voranzutreiben. Und gleichzeitig war das ein Zeichen des Triumphes des Christengottes über die alten Götter der Asenzeit

2012 nahm der Namensstreit erneut Fahrt auf. Für Dr. Ingrid Wotschke stand zu dieser Zeit fest: Der Name Magdeburg stammt aus dem Altsächsischen oder Altnordischen und bedeutet "Stammesburg". Auf erhabenen Felsen an der Elbe errichtet, verkündete sie einst Stärke und bot Schutz vor Angreifern. Schon lange vor der Ersterwähnung der Stadt im Diedenhofener Kapitular im Jahre 805 müsse der Ort eine Anlage besonderen Ranges gewesen sein, ist Wotschke überzeugt. Nachzulesen sind ihre Thesen im zweiten Band von "Parthenopolis", dem Jahrbuch des Geschichtsvereins Magdeburg und Umgebung e.V. Das Buch wurde bereits im Vorfeld heftig diskutiert, denn die neue Deutung des Namens der Landeshauptstadt durch Ingrid Wotschke lehnen mit Namenkunde befasste Sprachwissenschaftler - vorsichtig formuliert - rundweg ab.

"Eigentlich war ich immer mit dem Mädchen auf der Burg zufrieden", sagt Ingrid Wotschke und meint die lange Jahre gültige Interpretation des Germanisten Karl Bischoff. Er leitete den Wortteil "Magde-" aus dem Altsächsischen "magath" ab, was Mädchen oder junge Frau bedeutet. Tatsächlich ist seit Jahrhunderten im Stadtwappen eine Jungfrau mit einem Kranz in der Hand zu sehen, die lächelnd zwischen zwei Türmen steht - unsere Vorfahren nahmen die "Magd" ebenfalls wörtlich. Wotschke ging 2012 davon aus, dass die hiesige Bevölkerung vor dem Jahr 800, abgesehen von Dialekten, die gleiche Sprache hatte wie die altsächsischen Bewohner Südenglands. Das früh belegte Altenglische lasse also Rückschlüsse auf das kontinentale Frühsächsische zu, das Altenglische stammt vom Angelsächsischen ab. Daneben habe es wahrscheinlich weitere Siedlungen von "keltischen, langobardischen, slawischen und südskandinavischen Siedlern" gegeben, darunter auch befestigte Anlagen, so Wotschke.

"Kelten" und "Slawen" hat es jedoch nie gegeben, sie sind Fremdbezeichnungen ("Kelten") oder willkürlich umgedeutete Annalisten-Bezeichnungen, die im Falle der "Slawen" auf die Sclavi als Kurzform vandalischer Sclavenen zurückgehen. Es bleibt also nur der altsächsische und altnordische Ansatz für ad Magadoburg oder Magathaburg übrig und landen sukzessíve wieder bei der Jungfrau-Deutung.
Wotschke nimmt auf Grundlage der urkundlichen Erwähnungen im Diedenhofener Kapitular 805, der Chronik von Moissac 1071/72 und der Chronik von Aniane 1252 den indoeuropäischen Wortstamm "mag" und vermutet für den Magdeburger Raum die frühsächsische Form "mag(a)" und "magath" - zum einen in der Bedeutung "Mädchen", zum anderen mit der aus dem Altenglischen abgeleiteten Bedeutung "Verwandtschaft, Sippe, Volk".

Diese Worte sieht Wotschke als Wurzeln für den Namen einer möglicherweise zur Zeit der massiven sächsischen Landnahme im 6. Jahrhundert entstandenen Festung am Westufer der Elbe. Vergleiche mit Altnordisch belegen laut Wotschke eine frühere urgermanische Form. War Magdeburg vielleicht sogar eine frühe Gründung durch nordische Einwanderer?, fragt sie und belegt das mit der Chronik von Aniane, in der sie "Magrdoburg" liest. "Magr" stamme aus dem Altnordischen - für sie ein Hinweis auf einen skandinavischen Ursprung des Namens. "Sächsische Burgen auf unserem Gebiet hatten keine Namen", argumentierte Ingrid Wotschke.

Belegt sieht Ingrid Wotschke ihre These durch archäologische Funde rund um den Magdeburger Domplatz. Dort wurden drei Festungswälle ergraben. Die beiden innersten seien schon für das 5./6. Jahrhundert belegt, deshalb vermuten Archäologen eine bedeutsame, zu schützende Bebauung auf der Ostseite des Domplatzes. Die sei zwar nicht nachgewiesen, es könne sich aber bei Teilen der Vorgängerbauten des ottonischen Kirchenbaus unter Umständen um Reste einer vorkarolingischen Anlage handeln. "Das Areal wäre eines Stammeskönigs würdig gewesen", schreibt Ingrid Wotschke. Sie mutmaßt, der sächsische Herrensitz in Hallenbauweise sei im Krieg gegen die Franken zerstört worden. Ihr Fazit: "Die Stammesburg wurde wie in den drei Urkunden von den einen "magadoburg" oder "magadaburg", von den anderen früher oder später "magrdoburg" genannt.

Die Namenkundler, die sich bereits mit dem Namen Magdeburg beschäftigt haben, widersprechen Ingrid Wotschkes Deutung scharf: "Völlig daneben", findet der Leipziger Jürgen Udolph die Thesen. Altenglische Lautprozesse hätten in Norddeutschland und damit auch bei Magdeburg nichts verloren. Doch im 5./6. Jahrhundert wurde in England eine angelsächsische Sprache gesprochen, die sich in die Toponomie Britanniens eingrub. Nach Udolph müssten alle historischen Belege für den Namen Magdeburg in ihrer Gesamtheit betrachtet werden: von 805 "ad Magadoburg", über 956 Magedunburg bis zum 13. Jh. "Meydeburc, Maidburg". Außerdem passt die Interpretation "Sippe" für Udolph bei allen anderen ähnlichen Namen nicht zum zweiten Namensteil "-burg". Dazu sei es "absolut unstatthaft, die Diskussion allein auf Magdeburg zu beschränken. Der Wüstungsname Megedefelde bei Hannover ist für diese Frage genau so wichtig wie die frühen Belege für Megedeheide oder Maiden Castle in England", so Udolph. Magdeburg sei wichtig, stehe aber für die Ortsnamenforschung auf der gleichen Stufe wie andere Funde und nicht darüber, so Udolph. "Unfug" und "Käse" nennt gar Harald Bichlmeier Ingrid Wotschkes Ausführungen. Er kreidet ihr einen Lesefehler an: Statt der Wortform "magrtho", stehe in der Chronik von Aniane eindeutig "magetho". Bichlmeier, der auch Jürgen Udolphs Thesen ablehnt, kündigte 2012 an, sich in einem Fachartikel ausführlich mit Wotschkes Interpretation auseinanderzusetzen. 2013 eskalierte der Namensstreit. Die Magdeburger Anglistin Ingrid Wotschke beharrt darauf, dass ihre Neuinterpretation als "Stammesburg" Hand und Fuß hat - und hatte gleichzeitig gegen den Leipziger Namenkundler Jürgen Udolph und den in Jena lehrenden Indogermanisten Harald Bichlmeyer Anzeige wegen übler Nachrede erstattet, weil sie sich von deren Kritik herabgesetzt sieht.

Seitdem hat sich an diesem Stand kaum etwas neues ergeben. Was jedoch völlig untergegangen ist bei dieser Diskussion, ist die Frage, welche Jungfrau, junge Frau oder Mutter überhaupt gemeint ist. Das altsächsische magath* für Jungfrau und Keuschheit lässt sogar auf einen frühchristlichen Stift in Magathaburg schließen und zwar nachdem Karl der Große diesen Ort an der Elbe eroberte. Doch Belege gibt es nicht dafür und wegen anderer Namensformen außerhalb von Magdeburg wie Megedefelde bei Hannover, muss diese vermeintliche Jungfrau einen heidnischen Hintergrund bei den Altsachsen gehabt haben, der auch das von Udolph benannte Megedefelde mit einbezieht. Die ältere Literatur hat einen einleuchtenden Hinweis dafür. Nach Gustav Thormod Legis, wird in seinem Handbuch der altdeutschen und nordischen Götterlehre erwähnt, dass nach Botho die Stadt Magdeburg oder Maideborg einen Freyatempel besaß, den Karl der Große zerstört hätte. Damit könnten die entdeckten Anlagen aus dem 5. und 6. Jahrhundert auf der Ostseite des Domplatzes auch die Reste dieses zerstörten Freyatempels umfassen. Der altsächsische Name magath* für Jungfrau könnte also ursprünglich ein weiterer Beiname von Freya bei den Altsachsen gewesen sein. Das altenglische mægen steht dazu noch für Wunder und einer auserwählten Schar. Wir können also mutmaßen, dass ad Magadoburg oder Magathaburg nur deshalb ein befestigter heidnischer Ort war, weil sich in ihm ein damals weitbekannter Freyatempel befand.

Primärquelle: https://www.volksstimme.de/sachsen-anhal...adtnamen-507234
Gustav Thormod Legis, Handbuch der altdeutschen und nordischen Götterlehre