1211: Die Schlacht bei Treiden

Die folgenden Kampfhandlungen offenbaren einen estnischen Gesamtplan, der im Grundzug dem vorangegangenen livländischen ähnelte. Eine Kette von zermürbenden Plünderungszügen sollte einen Hauptstoß gegen einen wichtigen Verteidigungspunkt, eine zentrale Burg, vorbereiten.


Treiden wird 1211 zum Schauplatz einer Abwehrschlacht gegen einfallende Kriegerhaufen der Esten

Die estnische Heeresführung hatte ihren einzelnen Landschaftsaufgeboten verschiedene Operationsgebiete zugeteilt. Zum ersten Mal tritt unter den estnischen Ältesten der Mann hervor, der in den letzten Kämpfen dieses Kriegsabschnitts eine wichtige Rolle spielen sollte und auch später noch ein hervorragender Gegner des Ordens wie der Livländer überhaupt war, Lembit von Leole. Für die Esten mußte Eile geboten sein, denn nun konnte jeden Tag ein deutsches Pilgerheer auf dem Seeweg in der Düna eintreffen. Noch im April oder Anfang Mai fielen sechs estnische Heeresabteilungen ins Bischofsgebiet westlich der Aa und ins lettgallische Grenzland ein. Zwei gestaffelt einander folgende Gruppen aus Sakkala verheerten das Land vom Burtnecksee bis südlich Papendorf. Drei Heere aus der Wiek brandschatzten, gleichfalls gestaffelt einander folgend, Metsepole und das Kirchspiel Loddiger (Ledegore). Eine Flotte von Öseler Kriegsschiffen lief in die Aa ein und zerstörte das Siedlungsgebiet um Cubbesele, die Heimat Kaupos bei Treiden. Die Gesamtstärke dieser Heere, etwa bis zu 3000 Mann, gab erst einen Vorgeschmack des Kommenden.

Und doch kamen die Esten zunächst ins Hintertreffen. Bischof Albert kam mit den Bischöfen Iso von Verden, Bernhard von Paderborn und Philipp von Ratzeburg, dem tatenlustigen Zisterzienser Bernhard zur Lippe und einer sehr bedeutenden Pilgermacht in Riga an. Auch Meister Volkwin war an Bord dieser Flotte. Vor diesem bischöflichen Heer trat auch der Orden wieder in den Rang der zweiten livländischen Macht zurück; seine Führerrolle in diesem Abschnitt des Estlandkrieges war ausgespielt.

Noch einmal heerte ein sakkalanischer Haufe in Livland, brannte die Kirche an der Brasle nieder und verwüstete das Kirchspiel. Schon ein kleiner Gegenschlag der Livländer gegen das südliche Sakkala, der zwei Grenzburgen einäscherte, kündigte die erneute Wende an. Dennoch hielt man in Estland an dem unveränderten Kriegsplan fest. Die Kernstreitmacht bestand aus dem Aufgebot von Ösel, Revele und der Wiek sowie aus den an die Wiek grenzenden Gauen. Aus dem südlichen und östlichen Estland scheinen nur Auswahltruppen dazugestoßen zu sein. Alles in allem ist die Streitmacht auf bis zu 4000 Mann zu schätzen. Heinrich von Lettland spricht ungenau von „vielen tausend Reitern und mehreren Tausend, die zu Schiff kamen". Das Zusammenspiel der estnischen Land-und Seemacht glückte ausgezeichnet, am verabredeten Tage trafen sich die in die Aa einlaufende Öseler Flotte und das durch Metsepole vormarschierende Heer aus Reiterei und Fußvolk vor der Burg Treiden und schlossen sie ein. Das Ziel war, die Liven entweder zu vernichten oder sie zum gemeinsamen Marsch auf Riga zu zwingen.



Vor Eintreffen der deutschen Pilger hätte dies Unternehmen sehr gefährlich werden können. Jetzt aber konnte sein Ausgang kaum zweifelhaft sein. Während die deutsch-livische Besatzung der Holzburg mit dem Feind in Schußwechsel kam und Verluste der ungepanzerten Esten eintraten, meldete die Ordensmannschaft aus dem in Sehweite jenseits der Aa liegenden Segewold die gegnerischen Bewegungen nach Riga. Noch plünderten estnische Streiftrupps die Umgebung, um die Belagerer zu verproviantieren, da rief Bischof Albert in Riga zum Entsatzfeldzug auf. Reiterei und Fußvolk der Christen überschritten die Aa und gelangten im Nachtmarsch in die unmittelbare Nähe der Belagerer. Hier teilte sich das Heer, dessen Zahl wahrscheinlich etwas größer als die der Esten war. Die Reiter erhielten den rechten Weg zugewiesen, das Fußvolk rückte links auf dem großen, nördlich Cubbesele in Richtung Wenkul führenden Wege weiter. Die Teilung in zwei Heerhaufen sollte offenbar dem schnelleren Aufmarsch zur Schlacht dienen, auch war man wohl aus Segewold davon unterrichtet, dass auch die Esten vor der Burg zwei Schwerpunkte gebildet hatten. Das estnische Lager befand sich, wie aus Heinrichs Bericht deutlich wird, auf dem Felde westlich von der Burg Treiden, zwischen ihr und dem Forellenbach, der es im Westen deckte. Zwischen dem Lager und dem Bach, noch in einiger Entfernung vom Bachlauf, hatten die Esten eine Feldverschanzung errichtet. Man darf annehmen, daß sie als Sicherung gegen Überraschungen gedacht war. Die Flotte der Öseler lag am Aaufer querab von der Burg Treiden.

Als der Morgen anbrach, stand das christliche Heer auf der Höhe über dem Forellenbach angriffsbereit, vor seinen Augen das estnische Lager jenseits des Tales. Unter Paukengerassel, dem scharfen Klang der Blasinstrumente und ihrem Feldgeschrei drangen die Livländer den Abhang hinab und überschritten den Forellenbach. Während sie am andern Ufer Fuß fassten und sich sammelten, griffen die überraschten Gegner zu den Waffen, übersprangen ihre Verzäunung und schlossen sich zum Gegenangriff zusammen. Zwischen dem Lager und dem Bachlauf gerieten die Heerhaufen aneinander. Ein Lanzenhagel der Esten wurde von den Livländern abgewehrt, dann begann das Handgemenge. Der Angriff des Fußvolks hatte den Rittern den Weg über den Talgrund geöffnet, jetzt griffen sie im Stoß die tapfer fechtenden Esten an und zersprengten ihren Zusammenhalt in einem einzigen Anlauf. Bald waren Straße und Feld von den estnischen Gefallenen und Verwundeten bedeckt, ein Ausfall der Besatzung von Treiden fiel den Fliehenden in den Rücken und vollendete die Vernichtung. Nur wenige Esten dieser Abteilung entkamen. Einige flohen vom Burgberg herab auf der anderen Straße zur Aa und vereinigten sich dort nach schweren Verlusten mit der zweiten, noch unbezwungenen Gruppe, die auf einem Hügel zwischen Treiden und dem Aafluss Aufstellung genommen hatte. Bei ihrer Verfolgung kam es noch einmal zur Gegenwehr, wobei einige Ritter verwundet wurden und der Schwertbruder Everhard fiel. Ritter und Armbruster gingen gegen die letzte estnische Stellung vor, während das Fußvolk bereits die Beute zu erraffen begann. Man wird sich den Kampf gegen die Hügelstellung so vorstellen müssen, dass die Ritter ein Entweichen des Feindes verhinderten, während die Bolzen der Armbruster in die ungewappnete Menge der Esten einschlugen und hohe Ausfälle brachten. In ihrer Not streckten die Esten unter der Bedingung der Taufe die Waffen, flohen aber unter, dem Schutz dieser Kriegslist nachts heimlich in die Boote, und suchten das Meer zu erreichen. Aber die. Armbruster auf beiden Aaufern behinderten das Manöver, endlich hatte der alte Heerführer Heinrichs des Löwen, Bernhard zur Lippe, unterhalb von Treiden eine befestigte Brücke über den Fluss erbaut, von der sie die herabkommenden Kriegsfahrzeuge mit Lanzen und Bolzen unter so starkem Beschuss hielten, dass die Öseler in der folgenden Nacht die Schiffe preisgaben und die Flucht auf dem Landweg fortsetzten. Die Zahl von 300 Raubschiffen, die Heinrich als Beute meldet, ist mindestens um das Dreifache übertrieben, da ein großes Raubschiff 30 Mann Besatzung zählte, kleinere kaum unter zehn Mann denkbar sind und das Öseler Aufgebot wenig mehr als 1000 Mann gezählt haben wird. Dagegen sind die Angaben von fast 2000 gefallenen Esten und ebenso viel erbeuteten Pferden im Bereich des Glaubwürdigen.

Die Schlacht von Treiden war ein großer Abwehrsieg der Livländer. Sie hatte die eindeutige taktische Überlegenheit der Rittertruppe über ein Bauernheer im freien Felde erneut bewiesen und drängte die Esten im letzten Kampfjahr dieser Kriegsphase wieder in die Defensive. Gleichzeitig bedeutete die Schlacht auch einen Sieg des Bischofs von Riga. Der Orden hatte gewiss rühmlichen Anteil an ihr, aber er war jetzt wieder die zweite Macht im livländischen Kräftespiel. Das sollte sich alsbald auch parallel auf politischer Ebene zeigen.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Die Teilung Livlands

Am 20. Oktober 1210 hatte Papst Innozenz III. nach vorausgegangener Verhandlung seinen Schiedsspruch über die gegenseitigen Ansprüche Bischof Alberts von Riga und Meister Volkwins im Lateran in zwei Urkunden verkündet30. Die päpstliche Entscheidung überwies dem Orden das Recht auf ein Drittel ganz Liv- und Lettlands, gemeint war das Livengebiet und Lettgallen ohne Ostlettgallen. Wichtig war, dass der Papst dem Bischof auferlegte, die Schwertbrüder wegen zukünftiger Erwerbungen außerhalb Liv- und Lettlands nicht zu belästigen. Das Bistum Riga war damit auf Liv- und Lettland (Livengebiet und Lettgallen ohne Ostlettgallen) im Umfang von 1210 beschränkt worden. Jedermann, der es wünschte, sollte auf den Friedhöfen der Schwertbrüder beerdigt werden können, vorbehaltlich der vorgeschriebenen Gebühren an die Pfarrkirche des Toten.


Der Burgberg von Ascraden, (1204). Hier herrschten die Liven unter dem Schwertbrüderorden, mit der späteren Ordensburg Ascheraden (Deutscher Orden) teilt sie nur den Namen, der sich vom gleichnamigen Dünaarm ableitet

Der Orden hatte fraglos viele, jedoch nicht alle Ziele erreicht. Vor allem die Erweiterung seines Territoriums musste in Kürze sein stehendes Heer stärken. Es stand ihm jetzt auch ein Rechtstitel im Dünagebiet zur Verfügung, er hatte freie Hand für seine Estlandpolitik; es bestand Aussicht, später ein unabhängiges Herrschaftsgebiet außerhalb des Bistums Riga zu erwerben. Aber die Schwertbrüder hatten auch hinzunehmen, dass Lettgallen, das sie zuerst dem Glauben zugeführt hatten, in den Bereich der Diözese Riga einverleibt wurde. So kam es um den Mai 1211 zunächst zur Teilung Livlands, die von den vier Bischöfen von Riga, Paderborn, Verden und Ratzeburg verkündet wurde. Der Orden erhielt zu seinem bisherigen Besitz das gesamte Burggebiet von Ascheraden, gleichfalls wurde ihm ein Drittel von Lettland (Lettia, gemeint ist wieder das westliche Lettgallen), dem Fürstentum Kokenhusen, dem Burggebiet Holme mit einem Drittel der Burg, ein Drittel des Fischwehrs bei der Insel Dahlen und Ersatz für die zwei Dörfer versprochen, die er im Burggebiet Remin verloren hatte. Offenbar erst im Herbst 1211, jedenfalls nach Bischof Alberts Abreise, kam es noch zur Teilung des römisch-katholisch getauften ehemaligen Teils des Fürstentums Gercike. Die Schwertbrüder bekamen den mittleren Teil mit den Burggebieten Zerdene, Negeste, Marxne und Sessowe. Das Burggebiet Alene wurde davon abgeteilt und dem Orden schon im Frühjahr verheißener Ersatz zugewiesen.

Nach der Teilung Livlands tobte der Kampf um Estland weiter und erreichte nach der Schlacht von Treiden neue Höhepunkte. Im Frühjahr 1211 unternahmen die Sakkaler und Ugaunier einen Plünderungszug nach Trikatua und Beverin, es war der letzte estnische Angriff in dieser Kriegsphase. In zwei Feldzügen des Sommers warfen die Livländer den Widerstand Sakkalas nieder. Besonders bemerkenswert war die erste Heerfahrt, die man in Livland später „die bodenlose" nannte. Ein Gesamtaufgebot versammelte sich in Metsepole, rückte auf der Küstenstraße bis zur Pernaumündung, einen Angriff auf die Wiek vortäuschend, schwenkte dann aber in einem Flankenmarsch rechts in die Wildnis ab, durchquerte unter dreitägigen harten Entbehrungen Wälder und Moräste und drang überraschend von Norden her in Sakkala ein. Der ungewarnte Nordteil der Landschaft mit dem Mittelpunkt Leole, der Heimat des gefürchteten Lembit, wurde schwer getroffen. Eine Streifschar ging auch über die Nawwast und plünderte die Landschaft Nurmegunde aus.

Lettische Heerabteilungen brandschatzten in der gleichen Jahreszeit in drei aufeinander folgenden Staffeln in Ugaunien, eine vierte fiel ins südliche Sakkala, ins Gebiet Hallist ein. Dieser und andere Teile der hart mitgenommenen Landschaft unterwarfen sich, stellten Geiseln und gaben das Taufversprechen. Inzwischen war im Sommer eine tödliche Seuche ausgebrochen. Von Treiden, dem Schlachtort, ausgehend, erfasste sie große Teile Livlands, Lettgallens und Estlands und raffte zahlreiche Menschenleben dahin. Eine Hungersnot vollendete das Elend.

Dennoch musste Estland im Dezember und Januar noch drei verheerende Züge, zwei livländische und einen russischen, über sich ergehen lassen, ehe die allgemeine Erschöpfung dem Kriege ein vorläufiges Ende setzte. Die livländischen Vorstöße trafen die Gaue nördlich des Embachs, Jogentagana, Waiga, Mocha, Südjerwen und Nurmegunde. Ein Novgoroder Heer unter dem Großfürsten Mstislav drang bis Harrien vor und erhob dort einen hohen Tribut*. Es ist bezeichnend für den auch jetzt noch im wesentlichen ungebrochenen estnischen Widerstandswillen, dass eine Streifschar unter Lembit zu gleicher Zeit in kühnem Handstreich bis in die Stadt Pleskau eindrang und dort Schaden stiftete. Das hatte noch eine ganz besondere Nachwirkung: Zwischen dem 15. April und dem 15. Mai, vertrieben die Pleskauer, des Bündnisses mit den Deutschen müde, ihren mit Bischof Albert verschwägerten Fürsten Vladimir aus der Stadt. Der Grund wird das Kriegsergebnis gewesen sein, das den Deutschen Sakkala, den Russen aber keinen greifbaren Gewinn gebracht hatte. Esten und Deutsche schlossen einen dreijährigen Frieden, man war erschöpft, es fehlte an allem, diesen Krieg pausenlos weiterzuführen.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Machtkämpfe und ein Aufstand

Nach dem Friedensschluss konnte sich Bischof Dietrich mit dem Orden nicht über die Geiseln und die Behandlung des unterworfenen Sakkala einigen. Ein noch während des Krieges vom Estenbischof unternommener Versuch, die Felliner nun wirklich zu taufen, ging in den Wirren der Kämpfe unter. Der mit einigen Dolmetschern in Fellin eingetroffene Priester Salomo wurde auf dem Rückweg, als er wegen neuer estnischer Kriegsvorbereitungen das Land verlassen wollte, zur Nachtzeit mit seinem Gefolge von Lembit erschlagen. Zwar kam es wahrscheinlich noch 1211 zu einer vorläufigen Abgrenzung der Interessensphären, da Dietrich beschloss, seinen Sitz in die noch zu erobernde Wiek zu verlegen, während dem Orden mindestens Sakkala zufallen sollte. Aber die Wiek blieb unerreichbar, und der Orden dachte nicht daran, Dietrich in Sakkala zu entschädigen und die Geiseln herauszugeben. Was aus ihnen geworden ist, bleibt ungewiss.

1212 war jedenfalls Sakkala trotz der Friedensabmachung wieder ins Heidentum zurück geglitten und hatte die deutsche Herrschaft abgestreift. Vielleicht wurde dieser geräuschlose Vorgang durch den nun in Livland ausbrechenden Aufstand begünstigt, obwohl die Liven sich nun klar für die deutsche Herrschaft entschieden hatten. Und als dieser livisch-lettische Aufstand los brach los und drohte er bald das ganze Land zu erfassen. Nach Heinrich von Lettland war der Grund dieses Aufstandes aus heutiger Sicht banal: Die Schwertbrüder hatten von einigen Äckern und Bienenbäumen in dem bischöflichen Herrschaftsgebiet Autine Besitz ergriffen. Einige dadurch geschädigte Letten erhoben eine Rechtsklage beim Bischof von Riga, es folgte ein zweitägiger fruchtloser Prozess, zu dem Albert die streitenden Parteien, Orden und Letten, zugleich aber auch Liven geladen hatte. Und nun klagten noch weitere Liven über Äcker und Wiesen, die ihnen vom Orden genommen seien, wo, wird nicht gesagt, offenbar auch in bischöflichem Gebiet und nicht nur im Ordensdrittel. Es sind gehörten schließlich auch Treider Liven zu den Klägern. Offenbar verhielt es sich so, dass die Schwertbrüder von einem oder einigen verstorbenen Letten, die ihnen wohlwollten, zu Erben eingesetzt waren. Die übergangenen leiblichen Erben werden das Testament angefochten haben.

Aus dem Rechtsstreit entwickelte sich allgemeine Empörung. Das erste Schiedsgericht des Bischofs in Riga endete nach zweitägigem heißem Prozeßstreit ohne Vergleich. Liven und Letten verbanden sich zu gemeinsamer Aktion. In beschworener Übereinkunft wurde beschlossen, alle Deutschen aus dem Lande zu treiben. Dass eine ganz spontane Empörung vorlag, zeigt sich aus dem ungünstigen Zeitpunkt des Unternehmens, denn nach den Friedensschlüssen von 1212 war weder von Estland noch von Polock Hilfe für den Aufstand zu erhoffen. Eilig verschanzten sich Bischöfliche und Schwertbrüder in ihren Burgen. Kaupo, der seine Vermittlung anbot, wurde von den Aufständischen abgewiesen.


Die Livenschanze nahe der Burg Segewold ist der letzte Rest, was von der Holzburg Sattesele heute übrig geblieben ist.

In raschem Zugriff konnten die Rigenser den Aufstand lokalisieren, indem sie die noch unbemannten hölzernen Livenburgen von Treiden und Lennewarden in Brand steckten und den Wehrgang der Steinburg Holme
schleifen ließen. Nur die Burg Sattesele im Ordensland an der Aa war schon von den Empörern besetzt und wurde nun zum Brennpunkt der Kämpfe. Ein Ausfall aus Sattesele trug dem Ordensgefolge ringsum einige Verluste an Toten ein. Es entspannen sich mehrtägige Gefechte mit wechselndem Glück zwischen den Liven und der Ordensbesatzung der Konventsburg Segewold, die nur 1300 Meter von Sattesele entfernt lag und von Meister Rudolf von Kassel befehligt wurde. Im Grunde war die militärische Situation von Sattesele bereits jetzt hoffnungslos, sobald Bischof Albert mit seiner und der Ordensstreitmacht anrückte. Eben dies geschah aber nicht. Es trat auch nicht die andere Möglichkeit ein, dass Meister Volkwin alle übrigen Ordenskrafte gegen den Stützpunkt der Empörer in Bewegung setzte. Dass er dies nicht tat und vielmehr zusah, als der Bischof sich jetzt längere Zeit in die Vorgänge mitten im Schwertbrüdergebiet einschaltete, kann nur zwei Ursachen gehabt haben, entweder die Schwäche des Ordens oder den deutschen Wunsch, mit den Liven ohne Blutvergießen zu einem Ausgleich zu kommen.

Albert begab sich mit dem Bischof von Ratzeburg an den Schauplatz der Ereignisse. In einer erneuten Verhandlung, bei der die Deutschen auf dem einen, die bewaffneten Liven auf dem andern Aaufer saßen und sich über das Wasser hinweg unterhielten, mussten die Bischöfe jedoch erkennen, dass die Aufständischen fest zum Abfall vom Glauben entschlossen waren, obwohl ihnen Rückerstattung aller etwa unrechtmäßig genommenen Güter zugesagt wurde. Inzwischen schloss ein Heer aus bischöflichen und Ordensleuten sowie dem treu gebliebenen Teil der Liven die Burg Sattesele ein.

Die Belagerung verlief nach denselben Regeln wie in Fellin. Armbruster und Bogner deckten die Annäherung mit Pfeilfeuer, während die Geschosse der Patherellen Teile der Holzbefestigung zerschmetterten. Ein fahrbarer Wandelturm schnitt sich in tagelanger Grabungsarbeit in die Böschung des Burgberges ein. Dass ihn ein nächtlicher Sturmwind vorübergehend umriss, verschaffte den Eingeschlossenen nur kurze Entlastung. Noch höhnten sie das Belagerungsheer mit heidnischen Tieropfern, die sie über die Brustwehr herabwarfen, doch bald war der Erfolg der Minierarbeiten vorauszusehen. Es mochte ein erstes Zeichen des erlahmenden Widerstandswillens sein, als der Älteste Russin ohne Helm auf der Brustwehr erschien, sich herabbeugte und mit lauter Stimme seinen unten stehenden alten Waffengefährten Bertold von Wenden an die frühere Freundschaft und den Frieden erinnerte. Wenn der Meister vielleicht vorhatte, zu antworten oder zu vermitteln, so kam er nicht dazu, denn der Bolzen eines Armbrusters stürzte den Ältesten von Sotecle durch Kopfschuss von der Brüstung und tötete ihn. Dieser Untergang des Freundes wird Bertolds ritterliche Natur trotz aller Kampfstimmung des Augenblicks sicherlich tief geschmerzt haben. Der Kampf dauerte nach diesem Zwischenfall nur noch kurze Zeit fort, eine Friedenspartei in der Burg, die das Leben retten wollte, setzte sich endlich durch. Sattesele unterwarf sich.

Der Aufstand von 1212 blieb der einzige im Liven- und Lettengebiet. Bischof Albert entschied, dass die geschädigten Letten von Autine ihre Bienenbäume vom «Orden auf gerichtlichen Eid zurückbekamen, während der Orden die strittigen Äcker auf Eid und gegen eine Geldentschädigung behielt.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

1213: Erneute Litauereinfälle

Vom Aufstand des Sommers 1212 bis Anfang 1215 hatte Livland eine Zeit verhältnismäßiger Ruhe. Der friedliche Ausbau im Innern wurde nur durch drei Litauereinfälle und ein zweites Unternehmen gegen Gercike unterbrochen. Alle diese Kriegsereignisse standen untereinander im Zusammenhang. Im Frühjahr 1213 kündigten die Litauer einen vor Jahresfrist geschlossenen Frieden mit den Deutschen, drangen bei Kokenhusen über die Düna und verheerten lettgallisches Gebiet von der Ymera bis Trikaten. Die Verfolgung durch die Tolowaletten und den mit ihnen verbündeten Orden unter Führung Bertolds von Wenden war ergebnislos, da man die Gefangenen nicht gefährden wollte. Gegenzüge der Deutschen und Letten von Kokenhusen nach Litauen hatten eine neue litauische Heerfahrt zur Folge, diesmal gegen Lennewarden.

Meister Volkwin, der gerade mit einer Ordensabteilung den dünaaufwärts reisenden Fernhändlern Geleitschutz, gab, setzte den Gegnern auf ihrem Rückmarsch nach, zwang sie zum Kampf und brachte ihnen schwere Verluste bei; auch der litauische Heerführer fiel. Ein ähnliches Schicksal traf ein litauisches Heer, das im Winter zu 1214 die Düna überschritt. Anscheinend im Gebiet von Tolowa geriet es in einen von Meister Bertold gelegten Hinterhalt und wurde verlustreich geschlagen; sein Anführer Stecse fand den Tod. Offenbar hatte der Wikinger-Jarl Vissewald (Vsevolod) von Gercike bei diesen Einfällen Hilfe geleistet, der sich überhaupt von seinem Lehnsverhältnis zu Riga zu lösen suchte.

Die Ritter von Kokenhusen beschlossen deshalb im Einvernehmen mit Bischof Philipp, der damals Alberts Statthalter in Livland war, Gercike anzugreifen, nachdem Jarl Vissewald mehrere Ermahnungen an seine Lehnspflicht unbeantwortet gelassen hatte. Gercike wurde von Kokenhusen aus Ende 1214 und um den April 1215 zweimal heimgesucht. Der erste Handstreich glückte, beim zweitenmal hatte Jarl Vissewald vorher Kenntnis von den Angriffsplänen und rief die Litauer zu Hilfe. Gercike wurde zwar auch jetzt ausgeplündert, aber die Deutschen zahlten in dem anschließenden Rückzugsgefecht durch den Tod dreier Ritter einen hohen Preis dafür. Immerhin setzen die Nachrichten über Gercike ein Jahrzehnt lang aus, es scheint, daß Jarl Vissewald in dieser Zeit nach Russland gegangen ist. Der Orden und seine Letten hatten in vielen dieser Kämpfe die Hauptlast zu tragen, obgleich der Schutz der Dünalinie inzwischen fast völlig eine Aufgabe des Bischofs von Riga hätte sein müssen.

1213 kam es auch zu einer territorialen Umgestaltung zwischen bischhöflichen Besitz und dem Ordensgebiet Der Orden zog sich aus allen Positionen an der Düna oberhalb von Ascheraden zurück. Er räumte die Bezirke Negeste, Sessowe, Marxne und Zerdene (Gerdine) mit dem umliegenden Land bis zur Ewst und Düna sowie seine Drittelrechte in Kokenhusen. Dafür bekam er den großen Bezirk Autine, zwei Dörfer Sedgere, den Viertelzehnt des Gebiets Ascheraden und behielt Alene. Diese Schwenkung von der Düna nach Norden führte zu einer größeren Geschlossenheit des Ordenslandes, beseitigte einen Teil des verhaßten Viertelzehnten und bereitete die Ausgangsstellung für den kommenden Estlandfeldzug vor. Bischof Albert bekam dafünzwar an der Düna die Oberhand, aber nicht dort wurde ja die nächste Entscheidung erwartet, sondern im Norden. Der Gebietstausch war also ein deutlicher Erfolg der Schwertbrüder.


Die 1214 erbaute Schwertbrüderburg Wenden

Bischof Philipp erbaute im Sommer 1214 unweit der Livenburg Treiden die steinerne Feste Vredeland, der Orden um die gleiche Zeit oder etwas früher an einer strategischen Schlüsselstellung die neue Steinburg Wenden, die mit der alten Wendenburg auf dem Nußberg zusammen eine große Doppelanlage bildete. Beide großen Waffenplätze konnten als Rückhalt für die kommenden Kämpfe dienen. Die Streitmacht des Ordens, jetzt maximal auf schätzungsweise 400 deutsche Ritter, Knechte und Schützen und annähernd 1300 Liven und Letten zu veranschlagen, stand abgesehen vom einheimischen Aufgebot in vier großen Konventsburgen und einigen kleineren Stützpunkten konzentriert. Die bischöflichen Truppen Alberts können maximal ohne die Pilger, deren Zahl weiterhin zwischen 500 und 1000 jährlich geschwankt haben wird, auf kaum mehr als 500 Ritter und Knechte und gegen 1600 Liven und Letten der Malewa veranschlagt werden. Durch Pilger und Soldtruppen beider Landesherren (aus Rücklagen oder Kreuzfahrergeldern finanziert) mag die Gesamtstärke in günstigen Zeiten schon jetzt bis zu 3000 Deutschen betragen haben, wie Heinrich von Lettland angibt.

Das deutsche Befestigungssystem hatte gleichsam seine Zitadelle in Riga, wo auch die Hauptkräfte des stehenden Heeres stationiert waren. Von hier aus schoben sich zwei Burgenlinien entlang den Flusstälern vor, wo auch die wichtigsten Heer- und Handelsstraßen verliefen. An der Düna folgten so einander die Burgen Dolen, Holme, Uxküll, Ascheraden und Kokenhusen. An der Aa waren es Segewold, gegenüber Vredeland und ganz im Norden Wenden. Um dieses steinerne Rückgrat gruppierten sich die schon bekannten Holzburgen der Liven und Letten, deren Namen früher genannt wurden.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

1215: Beginn des zweiten Estlandkrieges

Zu Beginn des Jahres 1215 lief der Friede mit den Esten ab und Bischof Philipp berief einen Kriegsrat ein, der den erneuten Angriff beschloss. Ein großes Heer wurde an der Aamündung zusammengezogen, das nach Heinrichs Bericht an 3000 Deutsche und ebensoviele Liven und Letten zählte. Die wirkliche Stärke wird um eine Kleinigkeit geringer gewesen sein. Es wurden nacheinander zwei große Angriffe ausgeführt. Der eine traf verheerend die Wiek, der andere das nördliche Sakkala, wo Leole, die Burg Lembits belagert und ohne Zuhilfenahme der Kriegsmaschinen durch Feuer zur Kapitulation gezwungen wurde. Der kühne Lembit und seine Mitstreiter wurden getauft, mussten Geiseln stellen und nach Riga kommen.


Lembits Holzburg Leole. 1215 vom Orden erobert wird ihr Standort heute bei Lõhavere vermutet
Ivo Kruusamägi, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-4.0

Die beiden Feldzüge mögen den folgenden estnischen Großangriff verzögert oder auch ausgelöst haben. Ein Vorspiel war es, als eine kleine Flottenabteilung von Ösel um den 19. April in der Aamündung den Zister-zienserprediger Friedrich von Altzelle auf seinem Wege von Treiden nach Riga abfing und auf entsetzliche Weise zu Tode marterte. Der allgemeine Angriff folgte, sobald der Eisgang der Düna vorbei war und die öselsche Flotte volle Bewegungsfreiheit bekam.

Der estnische Gesamtplan sah vor, dass die Öseler die Dünamündung und Riga, die Wiekesten Metsepole und ein ugaunisch-sakkalanisches Heer Autine gleichzeitig erreichen sollten. Der Flotte fiel dabei die eigentliche Hauptoperation zu, während die andern beiden Heere nur zur Zersplitterung der livländischen Kräfte beitragen sollten. Die nordestnischen Landschaften Wierland und Revele-Harrien hatten offenbar kein nennenswertes Kontingent gestellt. So waren die Kräfte von vornherein nicht stark genug.

Ende April oder Anfang Mai näherte sich die Armada der Öseler mit Ruderschiffen, Segelfahrzeugen und einer Anzahl hölzerner Kammern der Dünamündung. Während ein kleines Geschwader nach Riga vorstieß, allerlei Manöver ausführte und endlich nach einer vorübergehenden Landung geschlagen wurde, füllten im Schutz der Ablenkungsbewegung die Besatzungen der Hauptflotte die Holzkammern und alte Schiffe mit Steinen und versenkten sie in der Strommündung, um so den Pilgerverkehr zu unterbinden. Obgleich die Sperre dem Druck der Dünafluten und den Seestürmen später natürlich nicht standhalten konnte, ist der ganze Vorgang doch eindrucksvoll, weil er beleuchtet, zu welchem Einfallsreichtum und welchen Anstrengungen der Verzweiflungskampf um heidnische Stammesfreiheit die Esten trieb. Ein sofortiger Gegenstoß der Rigenser zu Wasser und zu Lande vereinigte sich vor Dünamünde mit zwei gerade eintreffenden Pilgerkoggen und trieb die Flotte der Öseler auseinander. Auch der Einfall der Wiekesten in Metsepole blieb ein Luftstoß, weil die Bevölkerung gewarnt war. Die Südesten, die im Aabogen plünderten, richteten vielleicht noch am meisten aus, schürten aber nur die Vergeltungslust der Letten, als sie den Lettenältesten Talibald von Beverin, um Geld von ihm zu erpressen, „ans Feuer legten und wie einen Fisch brieten, bis er den Geist aufgab und starb".

Nun brach ein Sturm über Ugaunien los. Mit neun Heeren, die gestaffelt unaufhörlich einander folgten, so dass ständig eine livländische Truppe in der estnischen Landschaft operierte, legten Bertold von Wenden mit Ordenstruppen, Letten und Bischöfliche dem hart mitgenommenen Gebiet eine unerträgliche Prüfung auf. Beim ersten Einfall wurden sämtliche Burgen verbrannt. Die Söhne Talibalds übten besonders furchtbare Vergeltung für ihren toten Vater. Noch im Sommer, um den Juni, zerbrach der Widerstand der Ugaunier, sie unterwarfen sich und versprachen die Annahme der Taufe. Unter dem Eindruck dieser Niederlage streckten auch die Sakkaler die Waffen. Noch im Sommer zogen bischöfliche und Ordenspriester vereint nordwärts und tauften die Unterworfenen bis zur Nawwast-Embach-Linie.

Ein neuer Heerzug der Livländer um die Jahreswende 1215/16 traf die noch ungebrochene Wiek, zwang in neuntägiger Belagerung die Burg Sontagana nieder und hatte auch hier die Taufe dieses Teilgebiets zur Folge. In einem zweiten Feldzug wurde erstmals Ösel heimgesucht. Gingen die Operationen in dieser Zielstrebigkeit weiter, so war binnen kurzem der Fall des noch heidnischen Nordestland abzusehen. Das hatten die Esten begriffen. Ihr Hilfegesuch erreichte den Fürsten Vladimir von Polock. Aber dessen für das Frühjahr 1216 gerüstetes Heer wurde nicht mehr in Marsch gesetzt, weil der Fürst im Augenblick des Aufbruchs einem plötzlichen Tod erlag. Die Auseinandersetzung um seine Nachfolge ließ das Fürstentum Polock in den nächsten Jahren aus dem ostbaltischen Kräftespiel ausscheiden.

Die Öseler waren im Frühsommer 1216 mit ihrer Flotte in die Salis eingedrungen und hatten das Land um den Burtnecksee verwüstet. Es half der heidnischen Sache wenig. Schon schritten die Livländer zu einer Teilung ganz Estlands in Interessensphären, die wahrscheinlich, entsprechend der Machtlage, dem Orden nur ein Drittel verhieß, schon griff Meister Volkwin mit einem erneuten Aufgebot Harrien an und verheerte die Landschaft von Loal bis zur Grenze von Revele. Zum erstenmal tauchte das livländische Marienbanner in nächster Nähe des Finnischen Meerbusens auf. Aber in diesem Augenblick veränderte sich die Situation von Grund auf und setzte dem Siegeslauf der lateinischen Christen ein vorläufiges Ende. Das Kommen der Russen kündigte sich an.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Sturm aus dem Osten

Das Eingreifen des Großfürstentums Novgorod in die estländischen Kämpfe hatte für den Schwertbrüderorden schmerzliche Folgen. Nötigte ihn die neue Gefahr zuerst zu weitgehenden Zugeständnissen an seine bischöflichen Partner, so wurde es später noch ärger, denn alle Erfolge von acht langen Jahren gingen wieder verloren. Militärisch gesehen, stellte der Angriff der Russen die Deutschen und ihre livisch-lettischen Hilfstruppen vor allem vor die Aufgabe, mit Massenheeren fertig zu werden, die an Zahl das livländische Aufgebot um ein Mehrfaches übertrafen. Vollends eine russisch-estnische Koalition konnte, gemessen an der reinen Zahlenstärke, zu einem erdrückenden Übergewicht des Gegners führen. Was den Livländern hier zu Hilfe kam, waren vor allem die technischen Schwierigkeiten, die sich namentlich für die Russen aus der Weite des Raumes und der spärlichen Besiedlung ergaben. Das Heer konnte entweder aus dem angegriffenen Landstrich oder aus einem mitgeführten Tross versorgt werden. Beide Arten des Nachschubs waren nebeneinander in der ostbaltischen Kriegführung üblich. Man konnte aber den Umfang eines Versorgungstrosses nicht ins Ungemessene steigern, ohne die Bewegungen der Kampftruppen zu lähmen. Andererseits verhinderte die dünne Siedlung, konzentrierte größere Heermassen länger als wenige Wochen aus dem angegriffenen Lande zu verpflegen, zumal, wenn die Bevölkerung gewarnt war und mit Vieh und Vorräten in die Burgen und Waldverstecke entwich.

Ein Feldzug dauerte im Durchschnitt zwei bis drei Wochen. War das Angriffsziel nicht erreicht, die belagerte Burg nicht erobert, so musste der Kampf abgebrochen werden. Für die russischen Massenheere mussten solche Grenzen sich noch deutlicher fühlbar machen. Dennoch sind sie in einer Stärke von mehr als 10 000 Mann eingesetzt worden. Es steckt darin eine organisatorische Leistung, die für damalige Zeiten beachtlich war. Es kam hinzu, dass die Entfernungen für Versammlung und Anmarsch der russischen Truppen ins Kampfgebiet im Falle größerer Aufgebote unverhältnismäßig lang waren. Hieraus erklärt sich, dass in den folgenden sieben Jahren nur dreimal solche großen Heere Livland heimgesucht haben.

Endlich hing das Schicksal Livlands an seinen Burgen, in die Vorräte, Vieh und Habe geborgen werden konnten. Gelang es den Russen nicht, die Burgen zu brechen, so musste auf die Dauer die livländische Verteidigung siegreich bleiben. Darin lag die Gewinnaussicht der Deutschen, Liven und Letten. Für die Esten war das russische Eingreifen zunächst eine große Hilfe. Doch wurde bereits jetzt klar, dass damit nur die Anerkennung der russischen Herrschaft über Estland anstelle der deutschen verbunden sein konnte; man hatte zwischen Ostkirche und Westkirche zu wählen. Estland als selbständige Macht war und blieb seit 1216 bereits ausgeschaltet, diese Tatsache sollte im Laufe des Jahres 1217 endgültig bewiesen werden.


Blick auf das alte Pleskau

Das russische Einschreiten wurde mit einer Gesandtschaft von Pleskau an die Ugaunier eröffnet. Pleskau knüpfte an die russische Heerfahrt von 1210 an und verlangte die Erfüllung des damals gegebenen Versprechens, Zins und Tribut. Als diese Aufforderung fruchtlos blieb, die Ugaunier vielmehr in Riga um Hilfe baten, rückte Vladimir Mstislavic von Pleskau mit Heeresmacht ein und verbrannte das Gebiet um Odenpäh. Ein dort Handel treibender deutscher Kaufmann, Isfried, musste unter Verlust seiner Waren eiligst flüchten und brachte die Meldung nach Riga.

Eine Truppe aus Ordensmannschaften und Bischofsvasallen eilte den Ugauniern zu Hilfe und befestigte mit ihnen gemeinsam aufs stärkste den Burgberg von Odenpäh. Ein Kriegszustand der Deutschen mit den Russen bestand noch nicht; deutscherseits vermied man alles, was ihn hätte herbeiführen können. Als die russischen Gesandten aus Pleskau in Tolowa erschienen, um dort ihren gewohnten Zins einzutreiben, ließen die Deutschen dies ruhig geschehen. Erst als die Russen anschließend die lettischen Burgen in Brand steckten, erkannte Meister Bertold, dass der Krieg beschlossene Sache war. Unverzüglich ließ er die russischen Gesandten ergreifen und in Wenden einkerkern. Aber auch jetzt noch gab er sie auf Intervention des Großfürsten von Novgorod frei. Inzwischen fielen die Ugaunier mit ihren deutschen Hilfstruppen am 6. Januar, von Odenpäh kommend, ins Novgoroder Gebiet ein. Auch von deutscher Seite war der Krieg damit erklärt.

Der Zweifrontenkampf im Norden und Osten war damit sicher. In Riga wurde beschlossen, ihn bis zum Angriff eines russischen Heeres offensiv zu führen. Ein nach dem 6. Januar erlassenes Aufgebot rückte über Sakkala nach Jerwen und zwang die Jerwer durch sechstägiges Brandschatzen ihrer Gaue rund um das Dorf Kareda zur Unterwerfung, Geiselstellung und zu dem Versprechen der Taufe. Statt des Zehnten wurde der milde Zins als Abgabe festgesetzt. Eine schnelle Reiterabteilung fiel auch in Grenzgaue des benachbarten Wierland ein. Die Bezwingung des estnischen Festlandes war nur noch eine Frage von wenigen Heerfahrten und wäre im Laufe des Jahres zweifellos gelungen, aber jetzt führte Novgorod die Wende herbei.

Gleich nach dem 8. Februar zogen Novgorod und Pleskau ihre Streitkräfte zusammen. Gesandte an die estnischen Landschaften riefen zur Teilnahme am Feldzug auf. Das Ziel war wiederum Odenpäh. Vor der stark befestigten Burg strömte ein unermessliches Belagerungsheer zusammen. Außer den Russen von Pleskau und Novgorod gab es Hilfsmannschaften aus anderen Fürstentümern des Kiever Reiches und die estnischen Aufgebote der Landschaften Ösel, Harrien und des wieder von Riga abfallenden Sakkala. Die Gesamtstärke soll fast 20 000 Mann betragen haben und wird nur wenig übertrieben sein. Die Schwierigkeit, ein solches Heer zu versorgen, musste der Belagerung von vornherein eine enge Frist setzen. Wechselnder Pfeilbeschuß zwischen den Belagerejn und der Besatzung brachte auf beiden Seiten Ausfälle. In siebzehntägigen Kämpfen gelang es den Russen und Esten trotz mehreren mit allen Kräften zugleich unternommenen Massenstürmen nicht, den steilen Burgberg zu erobern.


Der Burgberg von Odenpäh, 1216 wurde er zum Schauplatz einer Belagerungsschlacht

Unterdessen versammelten die Livländer ein rund 3000 Mann starkes Heer, das unter Führung der Meister Volkwin und Bertold endlich die ugaunische Grenze überschritt. Im Nachtmarsch erreichten sie die Gegend von Odenpäh, gingen am Morgen zum Angriff, vor und stießen in das gewältige Belagerungsheer hinein: Die livläridische Führung hatte kaum mit solcher Übermacht gerechnet. Es zeigte sich sofort, dass sie ihr nicht gewachsen war. Unter diesen Umständen gab es nur zwei Möglichkeiten, den Durchbruch in die Feste oder die Wendung zur Flucht. Sicherlich war der Durchbruch taktisch die klügere Maßnahme, da eine Flucht wahrscheinlich die Verluste erhöht hätte. Aber auf lange Sicht sollte er sich rächen.

Der Durchbruch gelang unter einigen Ausfällen. Dabei traf den Orden ein besonders schmerzlicher Verlust. Beim Aufstieg in die Burg fielen Meister Bertold, an seiner Seite die Ritterbrüder Konstantin und Elias und einige Bischofsmannen. Bertold von Wenden fand den Schlachtentod vor demselben Odenpäh, das das Ziel so vieler seiner Feldzüge gewesen war. Das Ende des unermüdlichen Heerführers symbolisiert den Abschluss einer Phase des Krieges, in der man es mit den Esten allein zu tun gehabt hatte. Niemand hat diesem kühnen Ordensritter ein schöneres Denkmal gesetzt als seine russischen Gegner selbst, als sie die von ihm befehligte Burg Wenden „Pertuev" also Bertoldsburg nannten. Man wird nicht mehr ergründen, ob die Novgoroder etwa den Durchbruch der Deutschen begünstigt haben. Doch erwies es sich für sie als großer Vorteil, jetzt das ganze livländische Heer eingeschlossen zu halten. Binnen kurzem gingen in Odenpäh die Vorräte aus und zwar schneller als bei den Belagerern. Da auch die Russen Mangel litten, wurden nach drei Tagen Verhandlungen aufgenommen, die zur Kapitulation gegen freien Abzug der Livländer führten. Mit Odenpäh ging auch Estland den Deutschen verloren. Schon begannen die Sakkaler wieder ihre früheren Einfälle in lettisches Gebiet.

Die Kapitulation von Odenpäh geschah in den ersten Märztagen. Es war ein böses Vorzeichen, dass die Novgoroder während der Verhandlungen den Unterhändler, Bischof Alberts Bruder Theoderich, gefangen nach Rußland abführten und auf mehrfache Bitten des Bischofs nicht herausgeben wollten. Erst drei Jahre später taucht sein Name wieder in Livland auf. Unterdessen hatte man in Novgorod bereits die Fortsetzung des so glücklich geführten Kampfes beschlossen und bestätigte daher auch den in Odenpäh ausgehandelten Frieden nicht, obgleich eine Urkunde darüber schon aufgesetzt war. Bischof Albert brach nun mit der Frühjahrsflotte nach Deutschland auf, um Pilger zu werben.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Die Schlacht bei Fellin

Wider Erwarten gab es für die Livländer nach dem März 1217 eine mehr als vier Monate lange Atempause. Trotz estnischer Aufforderungen verzögerten sich die russischen Rüstungen, weil Großfürst Mstislav Mstislavic von Novgorod gerade jetzt in den Kampf gegen den Ungarnkönig zog und der Nachfolger, Svjatoslav Mstislavic-Borisovic von Smolensk, erst am 1. August in Novgorod eintraf.


Großfürst Mstislav Mstislavic von Novgorod ist warägischer Abstammung, die sich bis zum Kiewer Großfürsten Jarisleif ("Jaroslaw, dem Weisen") zurückverfolgen lässt. Sein Name "Mstislav Mstislavic" leitet sich vom altnordischen mestr für Bester ab und bedeutet insgesamt "Bester oder Größter Erbe".

Ob man deutscherseits unterdessen im Vertrauen auf den unbestätigten Frieden von Odenpäh untätig verblieben ist, muß dahingestellt bleiben. Andererseits fällt auf, dass das ugaunische Aufgebot bei allen späteren Kämpfen nicht mehr im Felde erscheint, ganz im Gegensatz zu den andern Landschaften. Hatte etwa der Orden im Sommer 1217 im Alleingang Ugaunien zurückgewonnen? Ohne daß wir von einer Wiederbezwingung hören, zählt nämlich Heinrich ab 1219 die Landschaft wieder unter die von den Deutschen beherrschten Gebiete, bald darauf ist sie unanfechtbarer Alleinbesitz der Schwertbrüder.

Ab August versammelten die Esten wieder ihr Heer, um mit zugesagter russischer Hilfe in Livland einzufallen. Der Aufmarsch des estnischen Heeres vollzog sich südlich der Nawwast, wohl beim Dorf Lembits, der auch die Heerführung übernahm. Seine kühnen Unternehmungen früherer Jahre machten den estnischen Volkshelden für diese Stellung geeignet wie keinen anderen. Die Zahl der Versammelten konnte normalerweise nicht mehr als 5000 betragen; falls nicht außerordentliche Anstrengungen im Hinblick auf die bevorstehende Entscheidung gemacht worden sind, ist Heinrichs Angabe von 6000 Esten daher etwas nach oben gerundet. Auf estnischer Seite war man sich fraglos der Bedeutung des bevorstehenden Kampfes voll bewusst. Es war das größte estnische Heer, das seit dem Auftreten des Ordens versammelt worden war, und wenn es gelang, diesmal der Deutschen Herr zu werden und sie mit russischer Hilfe aus dem Lande zu treiben, so mochte später auch die russische Herrschaft, wie früher so oft, wieder abgeschüttelt werden. Fünfzehn Tage lagerten die Esten südlich der Nawwast (Pala) und warteten auf die russischen Truppen. Doch Novgorods Heer kam nicht.

In Riga hatte die Kunde von der drohenden Gefahr indessen Gegenmaßnahmen ausgelöst. Eile war geboten, wollte man eine Vereinigung der Gegner verhindern und sie getrennt schlagen. Offensichtlich weil Zeitnot herrschte und man Livland wegen der Russengefahr nicht von allen Truppen entblößen konnte, wurde ein Eliteheer in Stärke von rund 3000 Mann aufgestellt. Zu seinen vornehmsten Führern zählten Graf Albert von Holstein, der greise Bernhard zur Lippe, der Livenkönig Kaupo und als bischöflicher Vertreter Dompropst Johann von Riga. Die militärische Leitung lag, wie zumeist, in der Hand Meister Volkwins. Zur Hälfte bestand das Heer aus Deutschen, zur Hälfte aus Liven und Letten. Ohne Säumen wurde der Vormarsch aufgenommen, um das estnische Aufgebot zu stellen.

Vorausgesandte schnelle Späher (Wartleute) sammelten in den estnischen Dörfern Nachrichten über die Feindstärke und meldeten, dass der Feind sich schon nähere. Meister Volkwin gliederte das Heer deshalb bald nach Überschreiten der Grenze in drei Kolonnen, von denen die größere deutsche in der Mitte, die livische' rechts und die lettische links vorrückten. Hierdurch war der schnelle Aufmarsch zum Gefecht jederzeit möglich. In dieser Ordnung erreichte die Truppe in vorsichtigem Vorgehen gegen Abend des 20. September die Burg Fellin, in deren Nähe sie ihr Nachtlager aufschlug. Frühmorgens wurde feierlich Messe gehalten, dann setzte man den Marsch fort.

Von Fellin aus führten drei Wege in Richtung auf die Nawwast, der eine über Auksi, der mittlere über Pillustfer, Surgifer und Kellist, der linke über Wastemois. Da das estnische Heer beim Dorf Lembits zu suchen war, empfahl sich der Vormarsch auf der mittleren Linie über Tillustfer, während Späher auch die anderen Wege erkundeten und die Hauptmacht von den Bewegungen des Gegners verständigen konnten. Auf diese Weise war es jederzeit möglich, nach links oder rechts abzuschwenken und die etwa auf anderem Wege ziehenden Esten zur Schlacht zu stellen. Bald wurde gemeldet, dass die Esten zum Vormarsch aufgebrochen seien, und zwar auf dem westlichen Wege auf Wastemois zu. Sofort schwenkte das christliche Heer, das vielleicht schon nördlich Pillustfer stand, ab, um dem Feind nach Westen zu folgen. Aber auch die Esten suchten den Kampf, wie ihr Zustoßen auf die Livländer beweist. So kam es am 21. September zwischen den beiden Hauptstraßen und zwischen den heutigen Orten Wastemois und Pillustfer, in der Gegend der späteren Kapelle zum Heiligen Kreuz, zur Begegnungsschlacht. Als die Livländer auf die Waldränder westlich Pillustfer vorrückten, quoll ihnen die Masse des estnischen Heeres bereits aus dem Walde entgegen. Beide Heere waren in je drei Schlachthaufen gegliedert. Auf dem estnischen rechten Flügel standen die Sakkaler unter persönlicher Führung Lembits, die estnische Mitte war stärker als die Flügel, sie wurde ebenso wie der linke Flügel aus dem Aufgebot der Landschaften Wiek, Revele, Harrien, Wierland und Jerwen gebildet, über die genauere Verteilung liegen leider keine Einzelnachrichten vor. Immerhin ist soviel anzunehmen, dass auch bei den Esten der mittlere Haufe etwa die Hälfte des Gesamtheeres umfasste und von größerer Tiefe als Breite war, während die beiden Flügel aus Gevierthaufen zu je etwa 1200 bis 1500 Mann bestanden. Mindestens ein großer Teil der Esten kämpfte zu Pferde.


Die Schlacht bei Fellin (1217), war der letzte Kampf des estnischen Volkshelden Lembit

Trotz ihrer Unterlegenheit an Zahl waren die Livländer durch das Ritterzentrum dem Gegner an Schlagkraft mindestens ebenbürtig. Ihre Kampfmoral ist möglicherweise gestärkt worden durch den Glauben an das wundertätige Kreuz, das Abt Bernhard vielleicht in diesem großen Feldzug mitgeführt hatte. Von einer Verwendung der Armbruster und Bogner, die im allgemeinen den Kampf zu eröffnen pflegten, hören wir diesmal nichts. Es ging offensichtlich alles zu improvisiert, die Heere waren schon zu dicht aneinander. In gemächlichem Anreiten, wie es hochmittelalterlicher Rittertaktik entsprach, ging das gemischt fechtende deutsche Zentrum unter Volkwins Führung im Stoß gegen die estnische Mitte vor und durchbrach sie im ersten Anprall. Ritter und Fußknechte trieben die zersprengten Trümmer der großen estnischen Kolonne in die Flucht. Währenddessen entbrannte zwischen den Letten und den etwas überlegenen Sakkalern ein heftiger Kampf, der beiderseits mit großer Tapferkeit geführt wurde. Aber der Untergang der estnischen Mitte führte endlich auch hier die Entscheidung herbei. Vor der Drohung in Flanke und Rücken gaben die Sakkaler ihre Sache verloren und flohen, Lembit selbst mit den Ältesten Wottele und Maniwalde fand gleich vielen anderen den Tod. Viel kritischer sah es auf dem andern Flügel aus. Die Liven hielten den estnischen Lanzenhagel nicht aus und wichen schon bei der Eröffnung des Kampfes nach links, fielen auf die dort vorrückenden Deutschen und verfolgten mit ihnen gemeinsam die zerbrochene estnische Mitte. Der estnische rechte Gevierthaufe stieß aber, ehe er die Deutschen in der Flanke bedrohen konnte, auf ein weiter rückwärts stehendes deutsches Treffen, wurde ebenfalls geschlagen und gab den Kampf auf. Die estnische Flucht war jetzt allgemein.

In den Wäldern und Sümpfen suchte die aufgelöste Malewa Schutz, die Livländer folgten und hieben noch zahlreiche Gegner nieder. Die Gesamtzahl der estnischen Verluste wird von der Reimchronik mit 1400 angegeben, Heinrich spricht von allein 1000 in den Wäldern umgekommenen gezählten Esten und an 2000 erbeuteten Pferden. Knapp ein Drittel des Heeres fand also den Untergang, vor weiterer Vernichtung bewahrten die rettenden Wälder. Auf livländischer Seite waren die Verluste naturgemäß geringer, am schmerzlichsten war der Tod des getreuen Kaupo, der durch sein überzeugtes Bekenntnis des christlichen Glaubens stets das sichtbarste Beispiel auch für die inneren Erfolge der deutschen Livlandmission gewesen war.

Schon am 22. September gingen die Livländer an die Ausnutzung ihres Sieges. Nachdem die Beute eingebracht und verteilt war, rückte das Heer ohne Verzug zur Nawwast vor, wo die Liven und Letten drei Tage lang die Umgebung plünderten. Dieser und ein zweiter Zug nach Hanehl in der Wiek offenbarte die Wirkungen der Felliner Schlacht: Sakkala, die gesamte Wiek und Jerwen begaben sich wieder unter christliche Herrschaft. So war fast die Hälfte Estlands bezwungen, die Niederlage von Odenpäh wieder ausgeglichen, ehe der Februar 1218 zu Ende ging. Ein Plünderungszug der Öseler gegen Metsepole und Loddiger konnte daran nichts mehr ändern, immerhin blieb das Inselvolk die treibende Kraft des noch verbleibenden estnischen Widerstandes.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

1218: Die Russen kommen wieder

Bischof Albert traf 1218 nicht in Livland ein und hatte nur eine kleine Pilgerschar unter Fürst Heinrich Borwin geschickt, so dass der Schwertbrüderorden wie 1217 die Hauptlast zu tragen hatte, gleichzeitig aber auch freier schalten konnte. Heinrich Borwin entstammte den herulischen Obotriten. Nach dem 15. August stieß das livländische Heer nach Norden vor, um Revele und Harrien, die letzten noch unbezwungenen Teile des estnischen Festlandes außer Wierland, anzugreifen. Es kam nur bis Fellin. Die weiter vorausgesandten Aufklärungsgruppen fingen russische Gesandte für Ösel und Sakkala ab, die Hilfskontingente dieser Landschaften werben sollten.


Walk im 1. Weltkrieg. Nördlich davon und zwar östlich von Puide kam es zu einer Schlacht eines deutsch-livländischen Heeres, worauf die Deutschen nach heutiger Darstellung nur "geflohen" wären. Tatsächlich haben sie hier die Vorhut der Russen vernichtet und sind danach taktisch mit Gesang abgezogen. Eine Niederlage war die Schlacht also nicht.

Ein russisches Massenheer - Heinrich beziffert es auf 16000 Mann - hatte bereits die Grenze Ugauniens überschritten. Zwei Jahre lang war dieses ungeheure Aufgebot aus allen Teilen Russlands zusammengezogen worden. Für die Schlacht von Fellin kam es um ein Jahr zu spät, dennoch geriet Livland in größte Gefahr. Meister Volkwin trat sofort den Rückmarsch an, bog am nächsten Tag ostwärts ein und eilte den Russen in Richtung Puide (Puidise) entgegen. Die endlose russische Heersäule, brauchte einen ganzen Tag, um den Embach zu überschreiten, ihre auseinandergezogene Marschordnung bot dem Meister aber eine willkommene Gelegenheit, ihr ein Gefecht zu liefern, obgleich das livländische Heer gewiß kleiner war als 3000 Mann. Die deutschen Ritter allein werden mit 200 angegeben, worin die Knechte, Knappen und Schützen sicherlich nicht enthalten sind, ihre Zahl macht ein Mehrfaches aus. Die russische Aufklärung arbeitete schlecht, so gelang es den Livländern, ihr Heer kampfbereit zu ordnen, die Deutschen wie üblich in der Mitte, lettisches und livisches Fußvolk auf den Flügeln, um unvermutet über die feindliche Spitze herzufallen. Die Russen wurden geworfen, drei Banner, darunter das des Novgoroder Großfürsten, erbeutet. Die Verfolgung der Fliehenden kam erst an einem kleinen Flußlauf - wohl der Emel zum Stehen, hinter dem die Fürsten Vsevolod Mstislavic-Borisovic von Novgorod und Vladimir von Pleskau eine Auffangstellung errichtet hatten. Vor den sich stauenden russischen Massen sank den livisch-lettischen Mannschaften der Mut, sie flohen, und auch etwa die Hälfte der Deutschen schloss sich an, den übrigen aber gelang es in einer für den individuellen Ritterkampf hervorragend diszipliniert anmutenden Taktik, die Furt über den Fluß zu verteidigen. Man ließ jeweils eine kleine Abteilung Russen herüber und vernichtete sie im Gegenstoß. Eine Umgehung des Engpasses wurde vom Bischofsvasallen Dietrich mit seiner Schar zurückgeschlagen. Das hinhaltende Gefecht dauerte bis zum Abend, es erweckte das Staunen der geflohenen einheimischen Truppen, die an ein Wunder glaubten. Gegen Sonnenuntergang bezogen die Russen ein Lager, während die Deutschen unbehelligt mit Gesang abrücken konnten.

Das Gefecht an der Emel verhinderte nicht, dass die russischen Massen sich in den nächsten Tagen dennoch über Livland ergossen, es hatte aber einen Zeitgewinn zur Sicherung gegeben und die Leistungsfähigkeit der livländischen Kriegskunst bei geschickter Geländeausnutzung bewiesen. Die geordnete Art der taktischen Bewegungen, die für ein Ritterheer recht ungewöhnlich war, lässt durchblicken, dass hier die Ritter des disziplinierte Kerns des Ordens eine wesentliche Rolle gespielt hatten. Drei Tage nach dem Gefecht an der Emel rückte das Massenheer ein. Von der Ymera über Orellen (Urele) bis zur Brasle ließen die Russen Kirchen, Dörfer und das Getreide auf den Feldern in Flammen aufgehen.

Eine russische Abteilung unter Vladimirs Sohn Jaroslav schloß einen Tag lang Wenden ein, vereinigte sich dann aber mit dem Hauptheer jenseits der Aa. Russische Aufklärer stießen bis Inzeem (Ymmeculle) vor und gerieten dort in Berührung mit den Spähern des unterdessen von Riga in Treiden eingetroffenen livländischen Entsatzheeres. Vor diesem Heer wichen die Russen über die Aa aus und versuchten, die nur schwach besetzte kleine Wendenburg auf dem Nußberg zu nehmen, was mißlang, weil sich die Armbruster von der neuen Konventsburg des Ordens einschalteten. Entmutigt durch schwere Verluste, trat das Novgoroder Heer bereits am zweiten Tag der Belagerung den endgültigen Rückzug über Trikaten an. Wahrscheinlich reichten auch die Vorräte nicht für einen längeren Feldzug. Trotz großem Sachschaden war Livland doch an keiner entscheidenden Stelle getroffen worden. Es lag in der Natur der Aufstellung und Versorgung solcher großen russischen Heere, dass eine Wiederholung des Angriffs nicht sogleich folgen konnte. Schon trafen auch Boten aus Pleskau ein und verhandelten wegen eines Friedensschlusses. Lettische Streifscharen übten im russischen Gebiet Vergeltung.

Zwar brauste nach dem Ende der herbstlichen Schlammperiode, wohl im Januar, ein tollkühner Litauerzug über Semgallen und den gefrorenen Sund zwischen Kurland und Ösel, setzte die Insel, die Wiek, Jerwen, Nurmegunde und Sakkala durch seine Verwüstungen in Schrecken und durchstreifte auch das Letten- und Livengebiet bis Remin. Doch die Ordensstreitkräfte von Ascheraden versetzten dem schnellen Heer, nachdem es über 700 km durchmessen hatte, südlich Lennewarden einen vernichtenden Schlag und jagten ihm die Beute ab. Meister Volkwin nutzte die gewonnene Handlungsfreiheit und holte zu einem neuen Stoß nach Norden aus. Nach der notwendigen Erholung des Landes wurde um den 20. Februar 1219 ein Aufgebot an der Salis zusammengezogen. Bei grimmiger Kälte und eisigem Nordwind, der bei vielen Teilnehmern des Zuges zu schweren Erfrierungen führte, wurde von der Wiek aus, der westliche Teil der Landschaft Revele mit Laitz (Ladise) und Kulna (Culdale) verheert. Der Rückmarsch führte über das Eis des Meeres. Besonders für die gepanzerten Ritter und Knechte müssen die Anstrengungen dieses Zuges, der als „expeditio frigida" (kalte Heerfahrt) im Gedächtnis des selbst anwesenden Chronisten haften blieb, erschöpfend gewesen sein.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

1219: König Waldemars II. Seezug nach Estland


Im Frühjahr 1219 begannen zwei große Heerzüge nach Livland. Im Süden steuerte Bischof Alberts Pilgerflotte Riga an, im Norden landete etwa Anfang Juni König Waldmar mit einem aus Dänen, Deutschen und Wenden bestehenden Heer. Bei diesem Heer befanden sich auch Erzbischof Andreas von Lund, die Bischöfe von Estland, Schleswig und Roskilde und Fürst Wizlaw von Rügen. Es schlug an der Stelle der Estenburg Lyndanise (Reval) sein Lager auf. Die Truppen König Waldemars waren sicherlich im Augenblick ihrer Landung die bedeutendste geschlossene Streitmacht auf estländischem Boden. Wenn auch die Behauptung der Annales Ryenses, die Flotte des Königs habe 1500 Langschiffe gezählt, ins Reich der Fabel gehört, so verfügte das gelandete Heer doch über mehrere tausend Mann. Nach der Schätzung der Ledingssteuer hätte Waldemar gewiß gute 5000 Mann unterhalten können, dazu noch die Hilfskräfte der Lehnsleute, wie etwa des Fürsten von Rügen.


Auf König Waldemars II. Schlacht in Estland 1219 geht der Danebrog-Mythos zurück, der ein Produkt blühender Fantasie ist...

Aber der König wird kaum ganz Dänemark von Kräften entblößt haben, auch zeigt der Verlauf der Operation, dass das Estenaufgebot von Harrien und Revele — allenfalls mit russischen Verstärkungen — ausreichte, um die königlichen Streitkraft vorbergehend in eine kritische Lage zu bringen. Diese Esten können kaum viel mehr als 1000, bei äußersten Anstrengungen vielleicht 2000 Mann ins Feld gestellt haben. Die Stärke des königlichen Expeditionsheeres ist hiernach auf mindestens 1000, höchstens 3000 Streiter zu veranschlagen. Für eine solche Macht haben 100 Schiffe jedenfalls ausgereicht, eine Flotte, wie sie in den ostbaltischen Gewässern damals gewiss einzigartig war. Der besondere Eindruck dieser Armada bleibt auch dann, wenn Lübecker Koggen teilnahmen und durch ihren großen Laderaum eine Verringerung der Schiffszahl verursachten.

Die Erfolge der Landung müssen kurz erwähnt werden, weil sie auch die weiteren Geschicke des Schwertbrüderordens nachhaltig beeinflussten. Der König ließ die estnische Volksburg abreißen und eine neue aus Stein erbauen. Die Ältesten der Landschaft schlossen zum Schein Frieden und ließen sich taufen, um währenddessen in der Stille ein Heer zu sammeln. Drei Tage später brach ein estnisches Aufgebot aus Harrien und Revele am Abend des 15. Juni 1219 unvermutet an fünf Stellen in das dänische Lager ein und trieb die Christen in die Flucht, aber der in einem Seitental abseits stehende Wendenfürst Wizlaw rettete durch einen Flankenstoß die Sache des Königs, riss die Fliehenden wieder mit und führte schließlich einen glänzenden Sieg herbei.


König Waldemars II. dänisches Ostseereich.

Doch auch auf dänischer Seite gab es einen folgenschweren Verlust. Beim Eindringen in das Lager stießen die Esten auf der Suche nach dem König in einem Zelt auf den Bischof von Estland. Hier empfing Dietrich von Treiden den Todesstreich. So endete das entbehrungsreiche Leben des einstigen Missionars von Treiden, der der Stifter des Schwertbrüderordens gewesen war. Auch seinem dritten Versuch, in seiner Diözese das Amt zu übernehmen, blieb der Erfolg versagt. Später wusste die Sage zu berichten, der Bischof habe im Augenblick der Gefahr im Königszelt Waidemars Purpur angelegt, um durch Hingabe des eigenen Lebens den Herrscher zu retten.

König Waldemar trat noch vor dem 15. September die Heimfahrt an. Die starke dänische Burgbesatzung zwang im Laufe des Jahres den Widerstand der Esten von Revele nieder, bis sie sich taufen ließen. Eine neue Situation war mit alledem auch für die Schwertbrüder geschaffen. Unversehens sahen sie sich zwischen die rivalisierenden Mächte, König Waldemar und Bischof Albert, gestellt. In einem Augenblick, da jeder nur auf das Seine sah, konnte es nicht ausbleiben, dass auch der Orden sein Handeln nur nach den eigenen Interessen einrichtete.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Die Sachsen in Livland

Während in der Landschaft Revele die Kämpfe entbrannten, war man in Riga nicht müßig. Die bischöfliche Pilgermacht traf allerdings nicht vor Mitte Juli in der Düna ein. Herzog Albrecht von Sachsen, der sie führte, war von Bischof Albert kaum ohne bestimmte politische Absichten geworben worden. Albrecht war ein Enkel Albrechts des Bären, jenes berühmten Askaniers, der seinem Hause die Mark Brandenburg gesichert hatte. Der Vater, Bernhard, hatte nach dem Sturz Heinrichs des Löwen die sächsische Herzogswürde erhalten, sie aber nie mit realer Macht erfüllen können. Dem Bischof von Riga war die politische Stellung des Herzogs selbstverständlich bekannt. Es bedeutet zugleich eine neue Betonung der Reichstreue der Livländer.


Der rothaarige Herzog Albrecht von Sachsen

Der Herzog hatte eine große Schar von Rittern seines Landes mitgebracht. Sein Wirken in Livland wurde in dreifacher Hinsicht bedeutsam. Erstens führte er die neueste Errungenschaft der abendländischen Kriegstechnik ins Ostbaltikum ein. Wichtiger war seine bald hervortretende Freundschaft mit Meister Volkwin. Sie enthüllt zum erstenmal, dass es dem Orden gelang, unter den von Bischof Albert geworbenen Pilgern Anhänger auf seine Seite zu ziehen, eine Erscheinung, die wenige Jahre später auch rechtlich verankert werden sollte. Am folgenreichsten wurde die Verbindung des Herzogs mit dem Orden aber, indem sie ein späteres Lehnsverhältnis vorbereitete.

Anfangs sehen wir den Herzog im Süden an der Seite des Bischofs von Riga. Wohl unter dem Eindruck des verheerenden Litauerzuges von 1218 hatten die Ostsemgaller sich unter Rigas Schutz gestellt und um militärische Hilfe gebeten. Sie wurde ihnen zugleich mit der Taufe gewährt. Bischof Albert und Herzog Albrecht begaben sich mit militärischem Gefolge in die ostsemgallische Hauptburg Mesoten, um die Taufe zu vollziehen und eine deutsche Hilfsmannschaft in diese Befestigung zu legen. Vester von Terweten, der einstige Verbündete der Deutschen und führende Älteste Westsemgallens, mißbilligte diese Wendung der Dinge aufs äußerste. Mit Heeresmacht erschien er vor Mesoten, schnitt der deutschen Besatzung den Nachschub aus Riga ab und zwang sie zum Abzug. Ostsemgallen fiel ins Heidentum zurück, alsbald begannen aber auch weitergehende Semgallereinfälle ins Livengebiet. Im Hintergrund standen die Litauer.

Nach kleineren Kämpfen mit den Russen von Pleskau im Herbst 1219, griff Meister Rudolf von Wenden mit Ordensletten Jerwen an und erzwang Geiseln, weil die Jerwer sich an den Kämpfen gegen die Dänen beteiligt hatten. Man erkennt daraus, daß der Orden in den Dänen keineswegs einen Rivalen, sondern einen willkommenen christlichen Bundesgenossen erblickte, dem es zu helfen galt. Gleichzeitig sollte aber wohl auch die schon bestehende Herrschaft über Jerwen unterstrichen werden. Es folgte eine Heerfahrt des Ordens gegen Wierland, zu der er auch Bischofsmannen und außer den Liven und Letten auch sakkalanische, ugaunische und jerwische Esten heranzog. Die Wierländer unterwarfen sich der livländischen Kirche durch Geiselstellung, Meister Rudolf selbst wurde Taufpate des Landesältesten Kyriawan. Als einziger estnischer Festlandsgau stand Harrien noch unbezwungen, binnen kurzem musste es entweder Dänen oder Deutschen anheimfallen.


Der alte Burghügel von Mesothen, links davor ist ein Gedenkstein zu erkennen

Nachdem der winterliche Frost erst im Januar 1220 eingesetzt hatte, erging nach dem 2. Februar das große Heeresaufgebot zum Zug gegen Mesoten. Für die Schwertbrüder war es von Vorteil, dass Mesoten nunmehr mit militärischen Mitteln erobert werden musste, denn dadurch gewannen sie als Mitstreiter ein Anrecht auf Gebietsanteile. Das Heer soll nach dem Bericht des Chronisten Heinrich 4000 Deutsche und ebensoviele Liven und Letten gezählt haben. Es ist aber nicht diese wahrscheinlich etwa um ein Viertel zu hoch angegebene Ziffer, sondern ein neues Kriegsgerät, das den Zug gegen Mesoten militärisch bemerkenswert macht. Die Livländer, und somit auch der Orden, lernten zum erstenmal die furchtbare Wirkung der Gegengewichtsblide kennen, die Herzog Albrecht bei dieser Belagerung selbst vorführte. Dieser überschwere Steinwerfer war um 1200 im westlichen Mittelmeerraum entwickelt worden. Wie die bis dahin verwendeten kleineren Patherellen bestand er aus einem Schleuderbalken, der in einem Gerüst drehbar gelagert war. Der Unterschied zu den älteren Geschützen lag in der beträchtlich gesteigerten Größe der Waffe und in der anderen Art der Schleuderkraft. Ein großer Gewichtskasten am kurzen Hebelarm ersetzte die bisher übliche Zugkraft durch Menschenhand. Das Geschütz konnte Rundsteine von Tonnengewicht verschießen und hatte bei Verwendung leichterer Geschosse eine Reichweite bis zu einem halben Kilometer. 1212 setzte es Otto IV. vor Weißensee erstmals in Deutschland ein. Als „Teufelswerkzeug", das „Steine von unermeßlicher Größe" schleudern konnte, verbreitete es Furcht und Schrecken.


Die Blide (Trebuchet, Tribok) als "Teufelswerkzeug"

In Livland hatte bereits Graf Albert von Holstein Anfang 1218 eine solche Blide bauen lassen, sie war jedoch nicht zum Einsatz gekommen. Jetzt zeigte der Herzog, dass er sich auf die Berechnung der Schußweiten und die Bedienung der Maschine verstand. „Er schleuderte den ersten Stein und zerschmetterte ihren Erker und die Männer darin; er schleuderte den zweiten, und die Planken und Balken der Befestigung stürzten herab; er schleuderte den dritten und durchschlug drei große Bäume der Befestigung und knickte sie zusammen, verletzte und zerschlug die Menschen. Bei diesem Anblick flohen die Verteidiger von der Befestigung, suchten geschützte Stellen und baten, da sie nirgends Zuflucht fanden, um Gnade." Zwar wurde der Kampf noch einmal wiederaufgenommen, aber am nächsten Morgen kapitulierte Mesoten vor erneutem Angriff. Einen ersten vergeblichen Sturm hatte der Herzog persönlich angeführt, ein litauisches Entsatzheer war angesichts der Menge der Deutschen umgekehrt, 'Mit Mesoten fiel Ostsemgallen erneut den Livländern zu.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Feldzug nach Harrien - Die Schlacht von Kareda

Nach dem Fall von Mesothen sollte nun ein Heerzug nach Harrien erfolgen, die letzte heidnische Bastion auf dem estnischen Festland. Ein großes Festmahl, das Volkwin dem sächsischen Herzog gegeben hatte, war dem Heeraufgebot bereits vorangegangen. Volkwin, der auch in Heinrichs Bericht als der Führer des livländischen Heeres auftritt, hatte das Aufgebot unterdessen vorbereitet und Späher vorausgesandt. Am nächsten Morgen unterbreitete er dem Herzog seinen Plan. Drei Meilen nordöstlich Riga war das erste Lager angesetzt, Transportschiffe führten auf der Aa Material und Verpflegung nach.

Der Aufbruch am anderen Morgen erfolgt nach gewohnheitsmäßigem feierlichem Zeremoniell. Man singt früh die Messe „über die ganze Stadt*, unter dem dreimaligen mahnenden Schall der großen Kriegsglocke im Dom zu Riga strömen die Gewappneten zusammen, und der Herzog empfängt die große Marienfahne der Pilger. Er übergibt sie einem ritterlichen Bannerträger aus seinem Gefolge, teilt ihm zwölf weitere Ritter zum Schutz zu und gelobt, selbst bei ihnen zu stehen. Er selbst trägt als Zeichen den Marschallstab des deutschen Reiches. Dann reiten zuerst die Späher voran, die Wegweiser folgen, die Schwertbrüder lenken den Marsch der landesunkundigen Pilger. Ähnliches hat sich wohl bei jedem großen Aufgebot in Riga zugetragen, aber diese Fahrt umgab auch wegen der Ranghöhe des mitziehenden Fürsten ein besonderer Glanz.

Am zweiten Tag erreicht man Segewold, am dritten Wenden, die Liven und Letten stoßen zum Heer, der Marsch nach Estland kann beginnen. Das Heer rückte wiederum in drei Kolonnen vor, diesmal die Deutschen und Letten in der Mitte. Aber beim Durchqueren der Landschaft Nurmegunde entdeckten die Deutschen, dass die Dörfer im südlichen Jerwen in Flammen ständen, und erhielten die Nachricht, dass die Öseler dort plünderten. Wieder waren, es Herzog und Meister Volkwin, die vereint den raschen Entschluß faßten, zuerst Jerwen zu schützen. Von den Leuten des Bischofs ist dabei nicht die Rede, obgleich jetzt der bischöfliche Chronist der Berichter ist. Heinrich selbst befand "sich mit leichtbewaffneten Letten bei der Vorhut, die am frühen Nachmittag auf die ersten plündernden Öseler stieß. Sie wurden überwältigt, die Suche nach der feindlichen Hauptmacht beschleunigt.


Blick auf das heutige Kareda von Peetri her, es befindet sich südöstlich von Reval

Das öselsche Heer hatte sich in dem großen Dorf Carethen (Suure Kareda) versammelt und griff den livländischen Aufklärungstrupp bei dessen Annäherung sofort an. Die Deutschen und Letten waren wegen des Schnees noch in langer Kolonne auseinandergezogen, so daß die Spitze anfangs in große Gefahr geriet, weil der Aufmarsch sich verzögerte. Endlich erschien das Banner der Schwertbrüder und dahinter die große Pilgerfahne des Herzogs. Der Orden hatte also den in mittelalterlichen Heeren so heiß begehrten Vorstreit, bildete das erste Treffen. Herzog Albrecht zeigte sich wieder von der kampffreudigsten Seite. Als er auf dem Schauplatz eintraf und die Menge der Feinde erblickte, fragte er die Umstehenden: „Dies sind doch nicht etwa die Feinde Christi? , und auf die Antwort: „Sie sind's!" eröffnete er mit den Worten: „Dann wollen wir sie jetzt angreifen!" sogleich das Gefecht.

Der Stoß der Livländer fuhr mitten durch die öselsche Aufstellung, rechts und links fielen die Esten „wie das Gras vor dem Schnitter", die Fliehenden wurden ins Dorf hinein verfolgt. Auf Holzstapeln und Hausdächern verteidigten sich die versprengten Inselbewohner tapfer, bis sie erlagen. Endlich fielen auch die von den Öselern verschleppten Jerwerfrauen über die schon Niedergehauenen mit Knütteln her unter dem Ruf: „Dich schlage der Gott der Christen!" Jenseits von Kareda liefen unterdes die zersprengten Reste der heidnischen Malewa um ihr Leben. Heinrich beziffert die Toten auf etwa fünfhundert. Das bedeutet das halbe Wehraufgebot der Insel, und so viele werden es kaum gewesen sein, da die Öseler schon im Sommer wieder zu großen Angriffen fähig waren, aber einen empfindlichen Schlag hatten sie doch erlitten.

Nach der Schlacht von Kareda eilte der Heerzug seinem politischen Höhepunkt zu. Der Feldzugsplan wurde noch ausgeführt und Harrien durch eine große Verheerung zur Unterwerfung und Abschwörung des Heidentums gezwungen. Aber während Volkwin noch Geiseln nahm und den Besiegten für die Annahme der Taufe einen ewigen Frieden mit Livland verhieß, kam es zu einer dramatischen Begegnung mit einer dänischen Gesandtschaft. Von dem in Loal (Lone) aufgeschlagenen Standquartier der deutschen Heerleitung hatte Volkwin Boten zum Erzbischof Andreas nach Reval entsandt. Sie kehrten mit einer dänischen Abordnung zurück, die den Deutschen zwar ihre volle Anerkennung der geleisteten Hilfe aussprach, zugleich aber geltend machte, „daß ganz Estland dem König von Dänemark gehöre, weil es ihm durch die livländischen Bischöfe übergeben sei". Die Dänen überraschten den Meister außerdem mit der Forderung, ihnen die Geiseln Harriens auszuliefern. Es war eine peinliche Situation, in die das Versteckspiel der Bischofspartei den Meister gebracht hatte. Fest erklärte er, von einer Schenkung Estlands an König Waldemar nichts zu wissen, in Gegenwart Herzog Albrechts betonte er, alles estnische Land außer Reval und Ösel sei unter der livländischen Fahne der heiligen Jungfrau zum Christenglauben gebracht worden.

Dennoch muss Volkwins Vertrauen sehr erschüttert gewesen sein. Dicht vor der Vollendung des Siegeslaufes zur Nordküste musste er erkennen, dass der Rechtsboden, auf dem alle Erfolge aufgebaut waren, unter seinen Füßen zu wanken begann, wenn sich Albert und die Dänen hinter seinem Rücken gemeinsam gegen ihn kehrten. Es ist diese Verwirrung, die aus seinem Handeln spricht, wenn er gleich darauf die Geiseln den Harriern zurückgibt, um „dem König von Dänemark hierin gern eine Ehre (zu) erweisen". Die gleichzeitige erneute Beteuerung des Rechts der Livländer kann dabei nur dem Wunsch entsprungen sein, Zeit zu gewinnen und zunächst in Riga Rechenschaft zu fordern. Zu welchem unmittelbaren Nachspiel es anschließend nach der Heimkehr des siegreichen Heeres an der Düna gekommen ist, hat Heinrich der Nachwelt taktvoll verschwiegen. Nur vom Licht der folgenden Ereignisse her erkennen wir, dass nun die seit langer Zeit träge schwelende Glut der Spannung zwischen Bischof und Orden zur hellen Flamme offener Zwietracht ausbrach. So endete die eindrucksvolle Heerfahrt Herzog Albrechts mit einem peinlichen Mißklang. Der Askanier, der innerlich jetzt wohl dem Orden näher stand als dem Bischof, mochte froh sein, dass er vorerst den livländischen Schauplatz verlassen konnte.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder
https://ajapaik.ee/photo/116158/kareda-k...-servas-asuvad/

1221: Das Bistum Riga im Griff Dänemarks

Im Frühjahr 1220 kam es zum Zusammenstoß der von Deutschen und Dänen ausgesandten taufenden Priester gekommen. In Wierland, in Jerwen versuchten beide Parteien einander-zuvorzukommen. Es begann jener unschöne Wettlauf um die Taufe, der dazu führte, dass Reväler Priester Bauern mit Weihwasser aussandten, um noch vor Ankunft der Rigenser Häuser und Menschen besprengen zu lassen. Proteste der Livländer in Reval beim Erzbischof von Lund dienten nur dazu, die gegenseitigen Ansprüche scharf hervorzukehren. Andreas Sunesen forderte ganz Estland für Dänemark, Albert das von Livländern eroberte Gebiet für sich. In diesem Augenblick landete Waldemar und lud aufgebracht den Bischof von Riga vor sich, um eine Entscheidung herbeizuführen. Auch an die Schwertbrüder erging seine Einladung. Waldemar musste die alte Rivalität zwischen Bischof und Orden durch Andreas bekannt sein. Die Reaktion auf seine Botschaft fiel auch sehr unterschiedlich aus. Weder Albert noch Meister Volkwin begaben sich zu ihm. Der Bischof, der noch gegen Ende Juli in Riga zu finden ist, reiste vielmehr alsbald aus Livland ab, um Hilfe zu suchen. Statt Meister Volkwin reiste nun Meister Rudolf von Wenden mit einer eine Schwertbrüdergesandtschaft zum König. Dieser kam mit Waldemar zu der überraschenden Übereinkunft, Estland zwischen Dänen und Ordensrittern aufzuteilen. Der Orden sollte nach diesem Abkommen Sakkala und Ugaunien mit den angrenzenden mittelestnischen Kleingauen erhalten, damit waren Nurmegunde; Alempois, Moche, Waiga und Sobolitz gemeint. Den Dänen verblieben die Wick, Revele, Harrien/Jerwen, Wierland und das noch uneroberte Ösel.


Ordensmeister Volkwin von Naumburg

Dieser Übereinkunft wurde jedoch zu Gunsten der bischöflichen Partei nachgebessert. Spätestens im Winter 1220 hatten die Schwertbrüder von Ugaunien schon festen Besitz ergriffen und eine Ordensmacht dorthin gelegt. Alles weitere blieb noch in der Schwebe. Der Bischof war im Spätsommer in Lübeck eingetroffen. Hier entging er nur mit Hilfe Lübecker Livlandfahrer einer Festnahme durch die Leute des dänischen Königs und entwich heimlich aus der Stadt und eilte zum Papst. Albert, der nur unsichere Vertröstungen auf Hilfe in der Zukunft empfing, blieb nun nichts weiter übrig, als sich dem dänischen König zu unterwerfen. Monatelang zögerte er den Schritt noch hinaus, der den Ruin seiner estländischen Pläne bedeuten musste. Um den 27. März 1221 erschien er endlich mit seinem Bruder Hermann vor Waldemar. Nicht nur Estland, auch Livland musste er jetzt der Oberherrschaft des Königs unterstellen, die Bindung an das Deutsche Reich drohte verlorenzugehen.

Für König Waldemar blieb nun die vordringlichste Aufgabe, sich alsbald des guten Willens der livländischen Vasallenschaft, der Bürger Rigas, der Kaufleute, des Domkapitels und der einheimischen Bevölkerung zu versichern. Da der Orden auf seiner Seite stand, gab es ein etwa doppeltes Übergewicht der militärischen Macht Waldemars in Livland, zumal dem Bischof fast alle Pilger fehlten. Während Albert mit geringem Gefolge Kurs auf Livland nahm, sandte ihm der König unverzüglich einen Ritter Gottschalk nach, der in Riga das Amt einer dänischen Vogtei übernehmen sollte. Aber die königliche Zuversicht wurde enttäuscht. Der sich abzeichnende Wandel der Herrschaft rief sofort beachtliche Gegenkräfte auf den Plan. Vor allem waren es die deutschen Kaufleute der Frühhanse auf Gotland und die in ihren Reihen stehenden Bürger der jungen Stadt Riga, die sich entschieden der Ausbreitung der königlichen Macht über ganz Livland widersetzten. Sie verweigerten sich dem neuen Vogt Gottschalk einen Lotsen von Gotland zur Düna, sie schürten unter den Liven und Letten einen Aufstand gegen den königstreu gewordenen Orden und den König selbst und spielten eine so aktive Rolle, dass kein Zweifel möglich ist: eine Beherrschung der gesamten ostbaltischen Küste durch Waldemar II. war der Frühhanse unerwünscht. Der König von Dänemark, so erzählte Bernhard bald darauf in dem rheinischen Kloster Heisterbach, habe Livland durch Betrug und Missgunst der Deutschen an sich gebracht und behauptet, er wolle dort lieber über Heiden als über Deutsche herrschen.

Die Sache des Bischofs von Riga wurde schließlich noch von einer weiteren Macht gefördert, von der er sich wohl die wenigste Hilfe versprochen hätte. Die unbesiegten Öseler erschienen nach dem 11. April 1221 mit Hilfstruppen aus Harrien, Revele und Wierland vor Reval und bestürmten 14 Tage lang heftig die Burg. Erzbischof Andreas wurde vor allem durch das Eintreffen von vier Nachschubkoggen aus der Bedrängnis gerettet. Die überstandene Gefahr ließ ihn nach Ruhe im Süden verlangen, er wünschte die Zusammenarbeit mit den Livländern, nicht ihre Gegnerschaft. Darum lud er die Deutschen nach Reval zu neuen Verhandlungen ein. Der Orden war jetzt nicht mehr uneins, sondern rüstete sich zur Besitzergreifung Sakkalas. Mühelos erstickte er den Aufstand im Keim, den die hansischen Fernhändler durch einen Schwurbund zu Treiden mit Liven- und Lettenältesten angestiftet hatten. Die Seniores aus dem Ordensgebiet, die beteiligt waren, wanderten in den Kerker.

Im August des Jahres 1221 fiel nun noch ein zwölftausend Mann starkes Russenheer mit litauischen Verstärkungen in Livland ein. Nicht die livländische Gesamtmacht, sondern nur der Ordensmeister Volkwin mit den Schwertbrüdern und den wenigen Jahrespilgern unter Bodo von Homburg trat dem Feind entgegen, „wegen der Zwietracht, die im Lande herrschte". Volkwin sperrte den Russen, die das kleine Städtchen vor der Ordensburg Wenden niederbrannten und anschließend im Bischofsgebiet plünderten, lediglich die Aaübergänge ins Ordensland. Er musste mit ansehen, wie die Dörfer der Landschaft Treiden bis Gravenhof in Flammen aufgingen und konnte den Russen wegen Kräftemangels erst folgen, als sie den Rückmarsch antraten. Im wesentlichen unbehelligt konnten die Gegner noch vier Tage lang die Landschaft Ugaunien brandschatzen, ehe sie sich über Pleskau zurückzogen. Gegen die heimkehrenden Litauer operierte Volkwin dann zwar kurze Zeit mit den Stiftsvasallen zusammen, die endgültige Schlacht musste der Vasall Theoderich von Kokenhusen dann aber doch mit bischöflichen Truppen allein schlagen, es war fast ein Wunder, dass er gegen die Übermacht dennoch siegte.

Der Orden richtete sich indessen in den Burgen Sakalas ein. Er befestigte sie aufs stärkste, legte große Waffenlager in ihnen an und nahm auch estnische Hilfstruppen in sie auf. Faktisch hatte der Orden das Ziel eines vierzehnjährigen Ringens erreicht, nun galt es, auch eine gesicherte Rechtsbasis für das Gewonnene herzustellen. Zur gleichen Zeit, im Winter 1221/22, übten die livländischen Aufgebotsheere, unter denen sich Truppen des Ordensterritoriums befanden, wiederholte Vergeltungsüberfälle im Novgoroder Gebiet, Streifscharen der Letten schwärmten sogar bis dicht vor die Stadt Novgorod selbst.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

1222: Der Frieden von Ösel und sein jähes Ende

Im Sommer 1222 wichen die Gegensätze unter den drei großen Iivländischen Mächten allmählich einer Entspannung. Damit zugleich fand ein großer Abschnitt der Geschichte des Schwertbrüderordens den Abschluss. Auf dem ümkämpften Ösel trafen aus Riga Bischof Albert und Meister Volkwin mit den Abgesandten aller Iivländischen Standschaften bei König Waldemar II.ein und es begannen Verhandlungen, die zu einer dauerhaften Ordnung der politischen Verhältnisse im Ostbaltikum führen sollten. Auf eine Eroberung Ösels wurde vorerst von Waldemar II. verzichtet, er beließ Livland seiner früheren Freiheit, behielt sich aber die Oberhoheit über ganz Estland vor. Das einstige Abkommen von Reval mit Meister Rudolf und die Absprache mit Erzbischof Andreas von 1221 wurden jetzt endgültig bestätigt, dem Orden fielen nun Sakkala, Ugaunien und die mittelestnischen Kleingaue zu. Der Bischof von Riga bekam dort, wie ihm Andreas von Lund zugesichert hatte, die geistlichen Rechte. Welche Abgaben ihm daraus zuflössen, bleibt offen, fest steht nur, dass der Orden einen bescheidenen Teil der Einkünfte an Albert überwies. Beide, Orden und Bischof, mussten für diese Zugeständnisse aber dem dänischen König Treue (per-petuam fidelitatem) schwören und Heeresfolge gegen die Heiden und die Russen leisten. Der Form nach war die Übertragung Südestlands an den Orden eine Belehnung, dafür sprechen Treueid und Heerespflicht. Bischof Alberts Bruder Hermann ging leer aus.

Das Heer der Schwertbrüder stand nunmehr über eine ganze Kette von Burgen verteilt. Außer den vier bisher bestehenden großen Konventsburgen Riga, Segewold, Wenden und Ascheraden gab es Konvente auch in Fellin und Dorpat. Ob die Burgen Odenpäh und Leole an der Nawwast ebenfalls volle Konvente erhielten, ist unsicher, doch saß in ihnen eine Ordensbesatzung; sie werden mindestens zusammen die Stärke eines Konvents erreicht haben. Etwa drei Siebentel der deutschen Schwertbrüderstreitkräfte wurden also in das neue Gebiet gelegt. In den Landschaften der Neugetauften wurden sofort auch Kirchenbauten begonnen und Priester eingesetzt.


Die heutige Gegend von Soela, wo die Dänen auf Ösel landeten.

Doch der langfristig geplante Frieden währte nicht lange. Sechs Monate nach dem Vertrag mit dem dänischen König vereinigten sich plötzlich durch eine Kette von Zufällen alle Gegenkräfte gegen die Schwert-brüder und brachten das so sicher scheinende Gebäude ihrer neugewonnenen Herrschaft zum Einsturz. Es begann damit, dass die Öseler sich zu dem zu erwartenden Angriff auf den feindlichen Stützpunkt in ihrem Lande versammelten. Geheime Boten fanden bei ihren getauften Landsleuten in Warbola in Harrien einen kleinen Steinwerfer, den die Dänen ihren neuen Untergebenen geschenkt hatten. Die Öseler unterrichteten sich sehr interessiert über die Bauart und Bedienungsweise des Gerätes und eilten auf die Insel zurück. Innerhalb weniger Wochen wurde nach ihren Anweisungen eine kleine Artillerie von Schleudergeschützen geschaffen. Sobald sie fertig war, rückte das Heer vor die Zwingburg. In fünftägigem zermürbendem Beschuß zerschlugen die Steine aus siebzehn Patherellen den Widerstand der dänisch-deutschen Besatzung im Kastell bei Soela.

Die Verteidiger ließen sich nun auf Unterhandlungen ein und kapitulierten gegen Herstellung eines Friedens und freien Abzug. Dänen, Schwertbrüder und Bischofsmannen gingen an Bord ihrer Schiffe und fuhren nach Reval. Theoderich von Bekeshovede und sieben Dänen blieben als Geiseln zur Bestätigung des Friedens zwei Jahre lang auf Ösel zurück. Die Öseler aber zerstörten das Kastell und ließen keinen Stein auf dem anderen. Ihre geheimen Boten waren nicht müßig, die Kunde von einem so leichten Sieg in ganz Estland zu verbreiten und auch die erworbenen kriegstechnischen Kenntnisse den Landsleuten auf dem Festland zu vermitteln. Ohne dass die christliche Landesherrschaft einen Argwohn schöpfte, begann es in Estland zu gären. Während zur gleichen Zeit König Waldemar II. vom Grafen Heinrich von Schwerin für mehrere Jahre entführt wurde, verbanden sich die Öseler mit estnischen Clans, die nun über die Dänen herfielen und einige töteten, darunter auch Priester.

Auch in Wierland wurden die Dänen verjagt; hier war man humaner und gewährte ihnen freien .Abzug. Am 29. Januar 1223 sprang die Flamme des Äufstandes nach Fellin über. Der Orden war ungewarnt. Ein Teil der Besatzung befand sich gerade zur Messe in der Schlosskirche, als sich draußen in der Burg die Esten bewaffnet zusammenrotteten und Ritter, Dienende und Kaufleute ohne Unterschied erschlugen. Nachdem die verstreute Besatzung draußen niedergemetzelt war, strömten die Aufständischen vor der Kirchenpforte zusammen, wo sich die waffenlosen Ritterbrüder im Innern inzwischen zur Gegenwehr rüsteten. Die Sakkaler versuchten zur Vermeidung unnötiger Verluste die Ritter aus der Kirche zu locken und versprachen ihnen mit Handschlag Frieden, aber kaum hatte Vogt Moritz als erster die Kirche verlassen, als er auch schon getötet wurde. Entsetzt bereiteten sich die Eingeschlossenen vor, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Erst eine längere Unterhandlung endete mit einem beschworenen Frieden. Vielleicht hatten die Schwertbrüder selbst den Aufrührern empfohlen, sie gegen die Geiseln in Riga auszutauschen. Einzeln traten sie heraus und wurden gefesselt und eingesperrt. Der siegreiche Haufe plünderte, teilte die Beute und warf die Leichen auf die Felder, ohne sie zu beerdigen. Schon eilte eine Streifschar zur Burg an der Nawwast, tötete unterwegs ihren Priester und veranlaßte, daß sich dort dasselbe Schauspiel wiederholte. Der Angriff pflanzte sich nach Jerwen fort, wo einige Dänen zu Tode gefoltert wurden.

Noch am 29. Januar gingen Boten der Sakkaler nach Ugaunien zu den Burgen Odenpäh und Dorpat ab. Die blutigen Vorgänge wiederholten sich mit unheimlicher Gleichförmigkeit. Die Ritter wurden eingekerkert, der Vogt Johann, alle dienenden Brüder und viele Kaufleute erschlagen. Nur wenige, die sich anfangs verstecken konnten, überlebten das Blutbad als Gefangene. Der dicke Priesterbruder Hartwig musste auf einem fetten Ochsen reiten und abwarten, bis das Los die Götter befragt hatte, ob er oder das Tier hingeschlachtet werden sollte. Das Los fiel auf den Ochsen, aber auch Hartwig schlugen die Esten eine erhebliche Wunde. Es folgte die Plünderung und Aufteilung der Habe der Deutschen; die Leichen wurden wiederum auf die Felder geworfen. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden ging so die Herrlichkeit des Ordens in Estland zugrunde, „sie mordeten alle an einem Tag". „Sie gaben", so klagt Heinrich von Lettland in biblischen Worten, „die Leichname deiner Knechte den Vögeln unter dem Himmel zu fressen und das Fleisch deiner Heiligen den Tieren im Lande, sie vergossen ihr Blut wie Wasser und war niemand, der begrub".

Während als einzige Burg auf estnischem Boden nur noch Reval aushielt, weil es in ihren Mauern wohl keine größere Estenschar gegeben hatte, löschten die Aufständischen die Spuren des Christentums nach Kräften aus. Dennoch war den estnischen Ältesten sehr wohl bewußt, dass sie ohne Verbündete das Errungene nicht halten können. In ihrer Sorge riefen sie die Russen herbei, die sie früher so oft aus dem Lande getrieben hatten, schlossen mit Pleskau und Novgorod ein Bündnis und nahmen russische Besatzungen in Fellin, Dorpat und andere Befestigungen auf. Sie teilten diesen Verbündeten aus der Beute Geschenke zu und boten den Deutschen Frieden um den Preis der Anerkennung des geschaffenen Zustandes an.

Der Aufstand hatte den Orden in eine Katastrophe gestürzt. Mindestens ein Drittel der gesamten deutschen Schwertbrüderstreitkräfte war ums Leben gekommen, der größere Teil des Territoriums mit vier starken Burgen war verloren. Namentlich unter der an Zahl stärksten Klasse der dienenden Brüder ist so gut wie sämtlich in Estland gefallen. Die Ritterbrüder der estnischen Burgen, etwa ein Drittel der Oberklasse des Gesamtordens, hatten das Unheil zwar zum größeren Teil lebend überstanden, befanden sich aber in der Gefangenschaft des Feindes. Schmerzlich war auch der Verlust der großen Waffenlager, der Steinwerfer, Armbrüste und Rüstungen, der Pferde und der Munition, die alle so schnell nicht wieder ersetzt werden konnten. Die Esten befanden sich dagegen im Besitz all diesen Materials, die technische Überlegenheit der Livländer war dadurch zum guten Teil beseitigt. Schwere Kämpfe standen bevor, denen der Rest der Ordensmacht keineswegs allein gewachsen sein konnte. Mit am schlimmsten für die Schwertbrüder waren aber die politischen Auswirkungen. Die Bischofspartei hatte überhaupt nicht gelitten, nur die Kaufleute hatten einige Opfer an Gut und Blut gebracht. Der Groll der früher vom Orden Überspielten war sofort wieder wach und konnte sich jetzt entladen. Sie waren imstande, den zu politischer Ohnmacht verurteilten Brüdern für eine Mitwirkung am neuen Kriege einen hohen Preis abzunötigen. Diese Wendung der Dinge ließ denn auch nicht lange auf sich warten.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder
https://www.estonia360.ee/tag/poolsaar/

Die Siege des Bischofs

Als die Schwertbrüder im Februar 1223 das volle Ausmaß des Unglücks erkannten, das sie betroffen hatte, scheint sich die Ordensleitung anfangs geweigert zu haben, sich den Zusammenbruch der Politik Rudolfs von Wenden einzugestehen. Noch wusste niemand, dass von Dänemark keine Hilfe mehr kommen würde. Der unversehrt gebliebene Teil des Ordensheeres konnte nur geringfügig verstärkt werden, indem mit den Esten ein Abkommen über den Austausch der Geiseln gegen gefangene Ritter und Kaufleute erzielt wurde. Die Esten hatten aber mehr Gefangene als die Ordensbrüder Geiseln und wollten nur Mann gegen Mann tauschen. Viele Ritter und Fernhändler blieben daher im Gewahrsam des Gegners und wurden von den Esten bald sogar an die Russen ausgeliefert.

Die Einkünfte der Schwertbrüder sanken auf einen Bruchteil ab, an eine Werbung von Söldnern war deshalb nicht zu denken, sie hätte, wenn möglich, ohnehin erst 1224 zu einem Ausgleich der Verluste führen können. So mußte die Offensive zur Rückgewinnung des Verlorenen vom Orden mit unzureichenden Mitteln unternommen werden, nach vorsichtiger Berechnung konnten die Schwertbrüder keine 700 Deutschen und etwas mehr als 1000 Liven und Letten unterhalten.

Es war nur ein kleiner Trost, dass die dänisch-deutsche Besatzung in Reval nach langer Belagerung in einem glücklichen Ausfall über das angreifende nordestnische Heer triumphierte, wobei auch die versprengten Ordensbrüder des zerstörten Kastells auf Ösel mitgewirkt haben mögen. Kleinere lettische und estnische Streifscharen eröffneten alsbald den Kampf um Südestland. Aber der folgende Feldzug des Ordens nach Ugaunien bewies durch seine Erfolglosigkeit, dass die Schwertbrüder zu einem Alleingang gegen Estland zu schwach waren. Hilfesuchend wandten sie sich nach Riga. Bischof Albert war zwar gerade in Deutschland, hatte aber in seinem Domkapitel, seinen Vasallen und den Bürgern gute Anwälte seiner Sache. Sie alle konnten dem Orden jetzt die Quittung für seine verhasste Politik der letzten drei Jahre präsentieren. Sie billigten zwar Hilfe zu, forderten jedoch, die frühere Dreiteilung des eroberten Estengebietes müsse wieder in Kraft treten. Je ein Drittel des Landes sollte dem Orden und den Bischöfen Albert und Hermann zuteil werden. So schwer den Schwertbrüdern der Verzicht fiel, die Not zwang sie zur Unterwerfung. Sogleich bekamen die Maßnahmen zur Rückeroberung Estlands festere Gestalt. Ein livländisches Gesamtaufgebot traf noch im Winter 1223 die Landschaften Sakkala und Nurmegunde mit einem vorbereitenden Verheerungsfeldzug.

Zum entscheidenden Angriff traten die Livländer erst an, als im Frühjahr Bernhard zur Lippe mit einem besonders großen Pilgerheer landete, das er ein Jahr lang in Deutschland gesammelt hatte. Sein Kommen besiegelte endgültig das militärische Übergewicht der Bischofspartei in dieser entscheidenden Phase. In den Kämpfen, die folgten, erscheint der Orden zwar als namhafter Mitstreiter, aber es gelingt ihm, trotz mehrfacher Ansätze nicht, die tonangebende Rolle zu spielen. Zuerst griff ein Heer der süd- und mittelestnischen Landschaften mit deren russischen Hilfsscharen, auf bestenfalls knapp 3000 Mann zu veranschlagen, das Bischofsgebiet an, schlug in Loddiger sein Standlager auf und verheerte von da aus Metsepole, Rosula, Treiden, Trikaten und das Ymeraland. Bei Gefechtsberührungen mit einem Lettentrupp fiel der russische Anführer aus Fellin. Dann setzte aus Riga mit allen Kräften die Verfolgung ein. Die weichenden Esten konnten trotz vierundzwanzigstündiger Jagd nicht eingeholt werden, das Fußvolk und andere Teile des Heeres kehrten um.

Propst Johann und Meister Volkwin aber mit den besten berittenen Truppen überholten den Gegner nachts von Osten her und stießen am Morgen an der Ymerabrücke von der Seite mitten in die estnische Kolonne, die zum Teil bereits den kleinen Fluß überquert hatte. Bei dieser Operation fiel der Ordensstreitmacht aus den Konventen Riga, Segewold und Wenden, zusammen wohl an 500 Mann stark, sicher eine wichtige Rolle zu. Der estnische Heerwurm wurde in der Mitte zerschnitten, ein Teil der Livländer warf die feindliche Nachhuthälfte auf ihrer Anmarschstraße zurück und zersprengte sie. Andere Rotten des livländischen Heeres schwenkten gegen die Brücke ein und erzwangen im Sturm den Übergang, wobei der Ordensritter Theoderich verwundet fiel.

Unter Zurücklassung der Beute zerstoben die Reste der heidnischen Truppen in alle Richtungen, nach Heinrichs glaubwürdigem Bericht sollen an 600 Esten gefallen, andere auf der Flucht umgekommen sein. Die auch in der Gefechtsschilderung etwas sagenhaft entstellte Erzählung der Reimchronik gibt 1500 estnische Gefallene an, auf livländischer Seite sechzig Tote, darunter zwei Ordensritter. Wenn die letztgenannten Zahlen stimmen, was bei den Angaben über gefallene Ritterbrüder in der Reimchronik sonst immer der Fall ist, müsste man mit insgesamt etwa 20 gefallenen Ordensmannschaften rechnen, einem Drittel also der livländischen Gesamtverluste, und könnte das an der Ymera angreifende Christenheer nach Maßgabe der Ordenstruppen dann auf insgesamt 1500 Mann schätzen, was gut zu den andern Zahlenangaben passen würde. Meister Volkwin soll geboten haben, dass sich niemand den Helm lösen durfte, bevor sich der Staub des Gefechts gelegt hatte und die verfolgenden leichten Truppen zurückgekehrt waren.


Die Ruinen der Ordensburg Fellin - Nach der Rückeroberung 1223 wurde an Stelle der hölzernen Befestigung der Bau einer mächtigen Ordensburg begonnen, die als zeitweise größte des Baltikums galt. Sie wurde in den folgenden 200 Jahren immer weiter ausgebaut und modernisiert.

Dem Abwehrsieg an der Ymera folgte der Angriff. Bernhard zur Lippe berief als Stellvertreter Bischof Alberts im Juli ein livländisches Gesamtaufgebot. Mit der Belagerung von Fellin krönte der nun annähernd achtzigjährige Bischof von Selonien seine wechselvolle Laufbahn. Manches deutet darauf, dass er an dem Zuge selbst noch teilnahm. Am 1. August schloss das Heer, das 8000 Mann stark gewesen sein soll, die Burg ein. Der Kampf gestaltete sich für die Angreifer wesentlich schwieriger als früher, weil die Belagerten über Patherellen und Armbruste des Ordens verfügten. Zum erstenmal entspann sich in Livland ein regelrechtes Geschützduell. Dennoch gelang in hartnäckiger Arbeit die Annäherung des Wandelturms, und Feuer wurde an die Burg gelegt. Als infolge der vielen Toten und der sommerlichen Hitze auch noch eine Seuche unter den Esten ausbrach, kapitulierte Fellin am 15. August. Diesmal war die Unterwerfung unter die Christenherrschaft endgültig. Mit der estnischen Besatzung wurde trotz der Bluttaten des Januaraufstandes milde verfahren, wiederum behielten sie Leben und persönliche Freiheit. Ein Strafgericht hatten dagegen die Russen zu erwarten. Für ihre Haltung, die Apostaten beim Abfall vom Glauben unterstützt hatte, zeigte das Kreuzfahrerheer keinerlei Verständnis. Der Trupp russischer Gefangener wurde daher vor der eroberten Burg zur Abschreckung für seine Landsleute in Dorpat gehängt. Nirgendwo kommt deutlicher zum Ausdruck, dass dieser Krieg, mit den Augen der Livländer gesehen, in erster Linie Glaubenskampf war.

Unter dem Eindruck der Niederlage von Fellin ergab sich die Besatzung der nordwärts an der Nawwast gelegenen zweiten Hauptburg Sakkalas ohne Kampf zu denselben Bedingungen. Das Schicksal Estlands begann sich auf Jahrhunderte hinaus zugunsten des römisch-katholischen Kulturkreises zu entscheiden. Daran änderte auch der nun folgende Einmarsch eines Massenheeres aus Novgorod, Pleskau und Suzda unter der Führung von Jaroslav Vsevolodovic, dem Bruder des Suzdaler Großfürsten, nichts mehr. Die einzigen Erfolge dieser Heerfahrt waren russische Verstärkungen für die heidnischen Hauptburgen Odenpäh und Dorpat. Der anschließende, gemeinsam mit den Nordesten gegen Reval geführte vierwöchige Belagerungsangriff scheiterte, obschon die Burg nach deutscher Art mit Steinwerfern beschossen wurde. Unverdrossen räumten die dänischen und deutschen Armbruster unter den Gegnern auf; der Rückzug nach dieser bis dahin längsten Belagerung in den vierzigjährigen Kämpfen war für die Russen besonders entmutigend.

Mittlerweile rafften sich im Herbst und Winter 1223 die Schwertbrüder noch einmal zum letzten Versuch eines Alleinganges auf. Im Herbst belagerten sie vergebens mit ihrer kleinen Streitmacht die von ihnen selbst einst so fast unüberwindlich stark ausgebaute Burg Dorpat. In einem zweiten Zuge griffen sie Jerwen an, um die Dänen zu entlasten. Eine erneute rasche Belagerung Dorpats durch den Orden nach dem 14. April 1224 hatte in fünftägigem Kampf ebensowenig Glück. Das Zusammenarbeiten mit den Dänen lässt keinen Zweifel, die Ritter hingen innerlich noch immer an dem für sie so gewinnreichen Bündnis mit Waldemar dem Sieger, obwohl der König bereits gefangen war. Das geistige Haupt dieser Politik war zweifellos Rudolf von Wenden geblieben, der diese drei Heerfahrten von seinem Konventssitz auch selbst geleitet haben wird. Aber in Riga hatte man diese Eskapaden des Ordens nicht übersehen. Ein gegen Dorpat geplanter Angriff wurde verschoben, das livländische Aufgebot, zu dem der Orden wieder unter bischöflichem Heerbann mitziehen mußte, rückte nach Harrien, eroberte Loal (Lone) nach zweiwöchigem Kampf, bezwang drei benachbarte Burgen, eröffnete selbst die Verbindung zu den Dänen und übergab ihnen Harrien, nahm aber für Riga die Unterwerfung der Wiek, Jerwens und Wierlands entgegen. Hier schimmert die Absicht durch, das alte Zusammenarbeiten von Dänen und Schwertbrüdern zu vereiteln. Sie wird besonders sinnfällig in der unterschiedlichen Behandlung von Jerwen. Die Ordensritter hatten sich dort mit einem Versprechen der Bevölkerung begnügt, „Deutschen und allen Christen" Treue zu halten. Das livländische Gesamtheer nahm gleich darauf Geiseln, gedachte also, die Landschaft an Livland anzugliedern.

Vollends mussten die kraftlosen Versuche des Ordens zur Behauptung seiner alten Rechte abgebrochen werden, als im April 1224 Bischof Albert nach fast zweijähriger Abwesenheit mit einem großen Pilgerheer, begleitet von seinem Bruder Hermann, unter dem Frohlocken seiner Anhänger in Riga eintraf. Albert hatte am 27. Januar 1223 eine neue Vergünstigung für seine Kreuzpredigt vom Papst erhalten, war um den 11. Juni noch in Hasbayne in der Diözese Lüttich gewesen und dort wohl von der für ihn so wichtigen Nachricht von der Gefangennahme König Waldemars überrascht worden. Eilends hatte er, wohl schon um den 15. Juli 1223 den entmachteten Herrscher in Dannenberg aufgesucht und ihn zu einer Willensäußerung bewogen, die Bischof Hermann erlaubte, nach Livland hinüberzufahren und sein Bistum Leal zu übernehmen. Waldemar konnte in seiner erzwungenen Handlungsunfähigkeit diese Genehmigung um so leichter geben, als ihm sicher schon der faktische Verlust ganz Estlands außer Reval bekannt war. Für die Schwertbrüder aber bedeutete der Ausspruch des gefangenen Königs das Todesurteil über alle noch auf Dänemark gesetzten Hoffnungen. Der Orden war völlig isoliert. Sein Widerstand vor dem politisch und militärisch nun so übermächtigen Bischof brach zusammen; es galt nur noch, zu retten, was zu retten war, während Albert seine Bedingungen stellte. Diese Bedingungen der Bischofspartei waren einschneidend. Sie griffen nicht nur in die Belange des estnischen Festlandes ein, das zu dieser Zeit außer Reval und Dorpat schon ganz unterworfen war, sondern führten auch in Lettland noch einmal zu einer Besitzumwälzung, wo der Orden sich schon so sicher geglaubt hatte.

Bischof Albert konnte vielleicht aus den Händen seines greisen Statthalters Bernhard zur Lippe noch die Geiseln und Unterpfänder der Eroberungen des abgelaufenen Jahres entgegennehmen, bevor der Bischof von Selonien am 30. April 1224 in Mesoten die Augen schloß. Eine staatliche Ordnung nach seinem Willen sollte nunmehr an die Stelle der Friedensbedingungen von Ösel treten. In der zweiten Julihälfte versammelten sich in Riga Vertreter aller livländischen Standschaften, um über die Abgrenzung der Territorien zu entscheiden. Die Schwertbrüder sahen sich einer einhelligen Front aller übrigen Stände gegenüber. Auch Bürger und Kaufleute standen zum Bischof. Wie groß die gegenseitige Feindschaft war, zeigt das böse Wortspiel von den „fratres malicie" (Brüdern der Bosheit), das ein ordensfeindlicher Schreiber noch am 17. März 1226 in einem offiziellen Dokument anstelle des richtigen „fratres milicie" dem Text einfügen konnte. Albert konnte seine Rivalen zwingen, ihm in der Form eines Tausches zwei Drittel von Tolowa anstelle eines Drittels, das ihm von 1214 her gehörte, auszuliefern. Der Orden musste in dem gleichen Anteilverhältnis die lettische Landschaft Adsel und die Gaue Berezne, Pornuwe, Abelen und Abrene mit dem Bischof teilen, wobei nur Adsel den Schwertbrüdern verblieb. Durch das Los, also durch Zufall, wurden die estnischen Anteile zugewiesen. Bischof Albert erhielt auf diese Weise die Wiek, sein Bruder Hermann, nominell Bischof von Leal in der Wiek, empfing Ugaunien, die Schwertbrüder bekamen als ihr Drittel Sakkala mit einem Teil der mittelestnischen Nebenlandschaften, nämlich Nurmegunde, Moche und die Hälfte von Waiga. Die drückendste Fessel für den Orden musste aber sein, dass er sein Drittel als eine Art geistliches Lehen von Bischof Hermann entgegenzunehmen hatte, zu dessen Bistum und geistlicher Jurisdiktion es künftig gehören sollte.

Das Territorium:, der Schwertbrüder wurde durch all diese Verlosungen und Teilungssprüche zu jenem verkleinerten und zerlappten Gebilde auf der Karte, wie es fortan im wesentlichen unverändert blieb. Adsel war ein abgetrenntes Sondergebiet, nur der Zufall hatte es gefügt, dass die große Straße von Riga über Segewold, Wenden und Fellin nach Norden jetzt vollständig in der Hand des Ordens war. Militärisch gab ihm das den Vorzug der „inneren Linie", den er später bitter nötig haben sollte. Berührung mit den heidnischen Nachbargebieten und mit Russland hatte das Schwertbrüderterritorium nur noch an zwei ganz schmalen Stellen, bei Adsel und Ascheraden. Die Bischöfe überflügelten territorial den Orden also, gegenüber 1222 war die Ordensmacht auf zwei Drittel zusammengeschrumpft. Es gab daher für den Orden Grund genug, den Zeiten Waldemars vorerst nachzutrauern. Die Bischöfe schickten sich indes mit dem ihnen einstweilen fest untergebenen Orden an, ihren Triumph durch die Einnahme von Dorpat zu feiern.

Primärquelle: Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder