Das Baltikum vor der Gründung des Schwertbrüderordens

Die geistlichen Ritterorden des Mittelalters werden häufig mit der gewaltsamen Bekehrung von nichtchristlichen Bevölkerungsgruppen, der „Schwertmission", in Verbindung gebracht. Das geht sogar so weit, dass Edith Feistner und Gisela Vollmann-Profe „die religiösen und militärischen Identitätskomponenten eines Ritterordens [...] in der Schwertmission gebündelt [...]" sehen. Die „Schwertmission" zielte, so hat es Franz-Joseph Post 1997 für den kolonialen, nordamerikanischen Kontext formuliert, „auf Unterdrückung traditioneller Strukturen und auf einen Zwang zum Christentum". Dies setzte nach ihm „eine weltliche Macht [voraus], die als Eroberer auftrat". Ergänzend weist Post darauf hin, „dass selbst unter solchen Bedingungen die Mission oberflächlich blieb und dass anschließend eine länger währende innere Mission erforderlich war".

Bei den Ritterorden kommen dafür die Einsätze im Heiligen Land und im östlichen Mittelmeerraum wie auch in Spanien und im Baltikum in Frage. Allerdings traten die Ritterorden dort eher weniger auch als weltliche Landesherren auf, die nichtchristliche Territorien in eigener Verantwortung eroberten. In Spanien wie zumeist auch in den Kreuzfahrerstaaten hatten die Ritterorden -trotz aller Unterschiede - in erster Linie die Aufgabe, die Herrscher zu unterstützen und die christlichen Reiche und Besitzungen zu verteidigen. Dazu kam, dass die lateinischen Christen im Heiligen Land ebenso wie in den lateinischen Territorien im östlichen Mittelmeer (etwa Zypern, Rhodos und Kreta) auf die Kooperation mit den anderen Bevölkerungsgruppen angewiesen waren, so dass es zu keinen nennenswerten Bekehrungsversuchen kam. Vielmehr wurden in der Regel zumindest die griechisch-orthodoxen Christen in die lateinische Herrschaft integriert, nicht zuletzt unter der Landesherrschaft der Johanniter auf Rhodos.

Anders war die Situation im Baltikum und im östlichen Mitteleuropa. Dort war es der 1202 gegründete Schwertbrüderorden (die Militia Christi de Livonia), der als erster die gewaltsame Mission der noch heidnischen Liven, Letten, Esten und Litauer unterstützte und eigenständig vorantrieb. Die Angriffe und die Verwüstung der Länder der heidnischen Völker sollte sie zwingen, sich dem christlichen Glauben zu unterwerfen. In der Chronik Heinrichs von Lettland wird so einem Bruder der Schwertbrüder, Rudolf, eine Rede an die Einwohner von Wierland in den Mund gelegt, in der es heißt: „Doch wird euch kein Frieden gegeben werden denn allein der Friede jenes wahren Friedebringers, der [...] seinen Jüngern gebot: ,Gehet, lehret alle Völker und taufet sie'. Wenn ihr euch also taufen lassen wollt und denselben einigen Gott der Christen mit uns verehren, so werden wir euch jenen Frieden geben, den er uns gab [...].«

Dies war zweifellos das auch vom Orden selbst propagierte Bild, das das Vorgehen der Brüder rechtfertigen sollte. Schon früh entstand aber auch ein Gegenbild, das die in der , Schwertmission' notwendig miteinander verbundenen Elemente von zwangsweiser Christianisierung und Eroberung anders gewichtete. Wie auch in anderen Zusammenhängen, konnte die Missionsabsicht nur als vorgeschobenes Argument für die Ausweitung der eigenen Herrschaft verstanden werden. Als es zu einem Konflikt der Schwertbrüder mit dem estnischen Bischof kam, konstatierte Innozenz III. schon 1213, sie seien „weniger darum bemüht, den Namen des christlichen Glaubens zu verbreiten, als vielmehr Haus an Haus und Feld an Feld zu fügen, bis zur Grenze der Region. [...] Ihr fürchtet nicht, die Lehre Christi zu behindern, wenn ihr nur eure Besitzungen und Einkünfte vermehren könnt."

Um 1170 war die Kraft des heidnischen Restlandes im Südwesten der Ostsee im wesentlichen gebrochen. Die wendischen Stämme der Obotriten und Liutizen, die sich zwischen Holstein, Elbe und Oder jahrhundertelang im Kräftespiel zwischen dem Deutschen Reich, dem Herzogtum Gnesen und den Ländern des Nordens behauptet hatten, erlagen dem Vorgehen der Dänen, Heinrichs des Löwen und der Askanier.
Im Ostbaltikum von der Weichsel bis nach Finnland treten im behandelten Zeitraum die baltischen Volksstämme der Prußen, Litauer, Semgaller, Selen und Letten, der gemischt baltisch-westfinnische der Kuren und die westfinnischen Völker der Liven, Esten und des eigentlichen Finnland ins Licht der Überlieferung. In ihren zwischen Handel und Krieg wechselnden Beziehungen zum westlich von ihnen liegenden Gotland, Schweden und Dänemark tritt der Gegensatz des religiösen Glaubens im 11. Jahrhundert noch nicht als bestimmend hervor, noch musste sich das Christentum in den nordgermanischen Ländern selbst erst festigen. Das Herzogtum Gnesen hat nach seiner Christianisierung früh die Aufgabe der Prußenmission erkannt, aber seine Ansätze enden in fruchtlosen Grenzkämpfen. Die tastenden Versuche Adalberts (997) und Bruns von Querfurt (1009) zur Missionspredigt in Preußen bleiben ergebnislos, beide Prediger finden den Tod.

Von großer Bedeutung für das an Bodenschätzen arme Baltikum mit seiner vorwiegend waldwirtschaftlichen Struktur wurde die.Tatsache, daß es "wie ein trennender Block zwischen der skandinavischen Heimat, der Wikinger und deren Zielorten; den; Fürstentümern der Kiever Rus, Jag. So durchschnitten die Hauptverkehrswege der Waräger dieses trennende Gebiet; vor allem die Wasserstraßen der Düna und des Finnischen Meerbusens sind hier zu nennen. An Versuchen, die trennenden Gebiete von West und Ost her zu erobern, hat es denn auch nicht gefehlt. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts hatten nach vielfachen früheren Versuchen die warägischen Fürstentümer PoIock, Pleskau und Novgorod Teile, der ostbaltischen Völker unter ihre Herrschaft gebracht. Polock hatte die ganze Dünastraße unter seiner Kontrolle.


Der Nachbau der hölzernen Burg Lennwarden - Im Zuge der Missionierung von Livland und der damit einhergehenden Errichtung von Befestigungsanlagen wurde Daniel von Banerow im Jahr 1201 durch Albert von Buxthoeven mit dem an der Düna gelegenen Lennewarden (Lielvārde) belehnt. Die auf dem hier befindlichen Burgberg Livukalns bestehenden hölzernen Verteidigungsanlagen der Liven wurden ständig erweitert. Von dieser Anlage sind keine Reste erhalten.
Letgals, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-4.0

Es herrschte selbst unmittelbar über das östliche Lettgallen und über einen an der Dünamündung um die Orte Holme, Oxküll, Lennewarden und Äscheraden ansässigen Teil der Liven. Dazwischen lagen an der mittleren Düna die von Polock. abhängigen Fürstentümer Kukenois und Gercike mit einer vorwiegend lettischen und. selischen Bevölkerung. An diese Fürstentümer "grenzten nördlich die lettischen Gebiete von Tolowa und Adsel an, die zu dieser Zeit unter der Tributabhängigkeit der Fürsten von Pleskau standen. Versuche der Novgoroder, sich estnischen Gebiets zu bemächtigen, waren bis dahin immer wieder gescheitert, doch begann sich die Lage der Esten und Finnen schwieriger zu gestalten, seit auch Dänen und Schweden im Westen wieder aktiver wurden, die schon seit dem 7. Jahrhundert oftmals Seezüge (Viking) ins Ostbaltikum unternommen und vorübergehend Teile des Landes beherrscht hatten. Im Zuge der dänischen Einflußnahme auf die Südküsten der Ostsee griffen die dänischen Klöster mit den Gründungen Dargun (1172), Eldena (1188), Kolbatz (1173) und Oliva (1186) auch nach Mecklenburg und Pommern über. Schwedische Schwertmissionen nach Finnland mit Zwangstaufen, finden schon um 1156 und 1164 statt.


Öland - 1170 wurde die schwedische Insel von einer estnischen Flotte überfallen

Unklar bleibt, ob die Plünderungsfahrt einer estnischen Flotte gegen die schwedische Insel Öland 1170 eine Kraftäußerung des selbstbewußten Heidentums oder schon ein Präventivkrieg infolge Kenntnis der im 12. Jahrhundert entwickelten nordischen Missionspläne war. Daraufhin fordert Papst Alexander III. die Christen der Reiche Dänemark, Norwegen, Svear und Götar auf, gegen die Heiden zu den Waffen zu greifen. Den Kämpfern wird ein Jahr Sündenvergebung gewährt gleich den Besuchern des Heiligen Grabes; völligen Sündenablaß erhalten diejenigen, die im Heidenkampf fallen werden. Hier liegt die erste Gleichstellung des nördlichen Kriegsschauplatzes mit Palästina und Spanien durch die römische Kurie vor. Offenbar kam es auch zum Kreuzzuge, dem ersten in Estland, von dem man weiß, doch ist über den Ausgang des Unternehmens nichts bekannt. Vielleicht wurden vorübergehende Erfolge erzielt, aber spätestens 1177 war es damit wieder vorbei.


Primärquelle: Sarnowsky, Deutscher Orden, Rumänen und Prussen
Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Der Kreuzzug von Bischof Berthold

Nach 1180 beginnen wieder Kriege der Esten gegen die warägische Rus, der von Byzanz aus missionierte östliche Nachbar rüttelt wieder an den Pforten der verbliebenen heidnischen Bastion. Aber ohne dauernde Gewinne. Die Kriegszüge im Westen gehen nun fortgesetzt hin und her: 1184 brandschatzt eine dänische Expedition Estland, 1186 verheeren fünf Schiffe unter Führung Eriks, Sohnes des norwegischen Königs, die estnische Wiek. Die östlichen Heiden rächen sich 1187 durch die Zerstörung des schwedischen Sigtuna, 1194, 1196 und 1197 gibt es dafür wieder dänische Züge gegen Estland, auch nach Finnland. Dieser ständige Krieg dauert auch im neuen Jahrhundert fort, denn 1203 plündert eine estnische Flotte die dänische Landschaft Listrien und schleppt Menschen, Beute und Kirchenglocken fort. Noch 1226 waren die Esten von Ösel mit diesen Unternehmen der Beutezüge gegen die dänisch-schwedischen Küsten beschäftigt.

Ein Gruppe deutscher Kaufleute der frühen Hanse kam nach 1180 mit ihrem Dünahandel mit den Liven in Berührung und nun kommt es auch hier wieder zur Gelegenheitsmission, denn die Händler haben einen Kaufmannspriester mit, den Augustinerchorherrn Meinhard aus Segeberg bei Lübeck. Sie verschaffen ihm bald vom Tributherrn der Dünaliven, dem Fürsten von Polock, die Missionserlaubnis. Meinhard hat auch Erfolge, kann schon 1184 in Üxküll ein Grundstück kaufen und eine Kirche bauen. Anfang 1185 bricht ein litauisches Heer ins Livengebiet ein, der Prediger flieht mit den Liven in die Wälder und lernt alle Schrecken der baltischen Kriegführung kennen. Der Feind rückt schließlich unter Mitnahme sehr vieler geraubter Kinder und Frauen wieder ab. Meinhard nimmt die Gelegenheit wahr, seine kleine Gemeinde zu vergrößern. Er verspricht den Liven den Bau einer steinernen Schutzburg, den die ostbaltischen Völker kannten nur Holz-Erde-Befestigungen, die Dünaliven in Üxküll hatten offenbar gar keine Burg. Bedingung ist aber, dass sich alle in Üxküll taufen lassen. Dies scheint den Liven ein brauchbarer Vorschlag zu sein, doch hoffen sie schon insgeheim, das Taufversprechen loszuwerden. Dennoch schließt man einen förmlichen Vertrag ab. Schon im Sommer beginnt der Bau, Meinhard hat aus Gotland die Steinmetzen bestellt, er selbst trägt ein Fünftel der Kosten.

Ein Teil der Üxküll-Liven wird getauft, die anderen erneuern feierlich ihr Versprechen, die Mauern wachsen empor. Da, sobald die Burg fertig ist, werden die Getauften rückfällig, die noch Ungetauften weigern sich, den Glauben anzunehmen. Die Liven glauben, es mit ihrer List besonders gut gemacht zu haben und billig in den Besitz eines hervorragenden Verteidigungswerks gekommen zu sein, auch den benachbarten Liven aus Holme glückt das gleiche Spiel, auch sie erhalten eine Burg und lösen dann ihr Versprechen nicht ein. Es kennzeichnet die Geduld des ergrauten Missionars, dass er sich durch solche Enttäuschungen nicht entmutigen ließ und die mühsame Überzeugungsarbeit fortsetzte. Er benutzte sogar die nächste Flotte der alljährlich kommenden und gehenden deutschen Saisonhändler zu einer Überfahrt nach Deutschland und ließ sich, in der Hoffnung auf weitere Fortschritte seiner Tätigkeit, in Bremen zum Bischof weihen. Soviel ist hieraus gewiss, dass das Verhalten der Liven nach dem Burgenbau noch keineswegs einen Bruch mit ihrem Bischof herbeiführte. Meinhard wird sehr wohl begriffen haben, dass die Liven den unter einer Notlage geschlossenen Vertrag nicht für so bindend halten konnten; freilich blieb es ein Bruch von Treue und Glauben.

Als Meinhard aus Segeberg zu seiner Bischofsweihe nach Deutschland zu folgen. Um diese Zeit nämlich taucht in der Umgebung des Missionars eine Persönlichkeit auf, die sein wichtigster Helfer werden soll. Schon 1187 predigt in Treiden an der inländischen Aa, einem zweiten Missionsstützpunkt, der Zisterziensermönch Dietrich und dieser gilt als Gründer des Schwertbrüderordens zugeschrieben. Dietrich war 1187 noch ein verhältnismäßig junger Mann- etwa 30 bis 40 Jahre alt -; denn er blieb noch 32 Jahre lang tätig und starb vorzeitig einen gewaltsamen Tod. Sein Lebenslauf verrät einen furchtlosen'Charakter von geistiger Beweglichkeit und praktischer Veranlagung. Er verfügte über diplomatisches Geschick, rastlose Arbeitsenergie und hing mit gläubiger Hingabe an seinem Missionsberuf, in dessen Dienst er mehrfach sein Leben aufs Spiel setzte und schließlich als Märtyrer endete.

Meinhard hatte nicht vor 1184 die ersten kleinen Früchte seiner einsamen Predigten ernten können, 1185 ist er in Livland vollauf mit Taufe und Burgenbau beschäftigt. Da nun Dietrich von Treiden schon 1187 in Livland weilte, so kann er von Meinhard nur 1186 geworben sein, eben auf dessen Reise nach Bremen zur Bischofsweihe! Denn erst jetzt tauchte für den ehemaligen Kaufmannspriester das Bedürfnis nach Mitarbeitern auf. Zunächst sind vom Bistum Uxküll nur Erfolgsmeldungen zu hören. Dietrich erwirbt in Treiden einige Äcker, denkt vielleicht schon an den Bau einer Kirche, tauft die Livenältesten Anno und Caupo und andere.

1188 verdirbt den Liven durch Regen die Ernte, sie wollen den Zisterzienser den Göttern opfern, weil seine Felder besser getragen haben. Nur dass das als Orakel befragte Pferd zweimal den richtigen Fuß vorsetzt, rettet dem Mönch das Leben. Im selben Jahr, am 25. September, bestätigt Papst Clemens III. dem Bremer Erzbischof auch das Bistum Üxküll, am 1. Oktober findet er lobende Worte für Meinhards Erfolge. Doch es gab auch unausrottbare Hindernisse bei den Liven, die eine Schwertmission rechtfertigen sollten. Nach dem Zeugnis der Quellen gab es bei Esten und Prußen sowohl die Polygamie als Vielweiberei als auch den Frauenkauf und die Raubehe, das wird auch "für, die den Esten eng verwandten Liven gelten, für die ganz besonders die durch das kanonische Recht verbotenen Ehen mit Verwandten innerhalb des vierten Grades, und Schwagerehen ausdrücklich bezeugt sind. Heinrich von Lettland weiß entrüstet zu berichten," wie; „die freche Verstocktheit der Weiber" einen Liven an der Taufe hinderten, sie mussten ja mit einer Scheidung und Enterbung rechnen, desgleichen Verloren wohl auch ihre Kinder Erbansprüche, wenn sich der neue Glaube durch setzte. So ging seit der Mission Meinhards wohl mancher Riss durch viele Familien der Liven. Es kam zu fortgesetzten Reibereien und schon sehr früh meldet Heinrich von Lettland, dass die heidnischen Gegner dazu übergingen, des Bischofs Habe zu plündern und sein Gesinde zu verprügeln.


Jarl Birger Brosa - Nach Hermann von Wartberges "Chronicon Livoniae" wollte Birger Brosa um 1195 einen Kreuzzug nach Livland unternehmen, sein Schiff wurde aber nach Estland abgetrieben. Nachdem er drei Tage lang das Land geplündert hatte, erklärten sich die Esten bereit, Tribut zu leisten und zum Christentum überzutreten.

1195 oder 1196 wurde der heidnische Widerstand so schlimm, dass das Bistum Uxküll vor dem Aus stand, man erwog die deutschen Kaufleute um Beistand zu ersuchen. Die Kaufleute versprechen ein Heer, die Liven erfahren davon, und noch einmal gelingt es ihnen, mit Tränen und Vorstellungen den Bischof zur Umkehr zu bewegen, aber nur, um den Gutgläubigen nach Abfahrt der Flotte mit dem Judasgruß zu verhöhnen. Mit Todesdrohungen halten sie den Geprellten im Lande, aber Dietrich von Treiden gelingt es, durch diplomatische List zu entweichen, er gelangt nach Rom und erwirkt einen Kreuzzugsablass (1195/96). Es ist unbekannt, woher Dietrich die kleine deutsche Schar warb, die er in den Norden führte. Vielleicht im Sommer 1197 vereinigte er sich mit einem schwedischen Heer unter Führung von Jarl Birger Brosa; es scheint, dass seine eigenen Streitkräfte noch zu gering waren, um allein vorzugehen. Den Schweden lag zunächst an einer Abwehr der kurischen Gefahr, also wurde der Zug gegen Kurland gerichtet. Vom Sturm nach Nordestland verschlagen, landete man in der Landschaft Wierland, schon versprachen die Wierländer nach dreitägiger Plünderung die Taufe, da begnügte sich der Herzog mit einem Tribut, ließ die Segel hissen und fuhr zum großen Verdruss der Deutschen von dannen.

Das hatte den Liven Aufschub gegeben. Unterdessen aber schloss Meinhard am im August 1196 in Livland die Augen. Dass sich nichts an der Haltung der Mehrheit der Liven geändert hatte, zeigte sich, als 1197 Bertold, der ehemalige Abt von Loccum, nun als in Bremen neu gewählter Bischof in Üxküll eintraf. Als er erfuhr, wie man über, die Art seiner Ermordung beratschlagte, kehrte er unverzüglich heim. Auch der Aufschub war vorbei, jetzt hatte endgültig die Kreuzzugsidee gesiegt. Über Gotland und Sachsen eilte Bertold an die päpstliche Kurie. Wiederum wurde eine Kreuzbulle ausgefertigt; in Sachsen, Westfalen und Friesland begann der Zisterzienserbischof bewaffnete Pilger zu werben. Bertolds Werbung war bereits ein Unternehmen größeren Stils als die vorangegangene Werbung Dietrichs von Treiden. Sie bildet eine unmittelbare Vorstufe zur Gründung des Schwertbrüderordens, denn jetzt oder in dem Kreuzzug Bischof Alberts, zwei Jahre später, kommen die Ritter nach Livland, von denen einige dann im Jahre 1202 den Orden gründen sollten. Das Heer ist offenbar stärker als das deutsche Kontingent von 1196.


Reste der Ordensburg Neu-Kirchholm, sie entstand an der gleichen Stelle der Livenburg Holme

Den Kern bildeten einige Edelfreie aus Niederdeutschland, dazu kamen auch einige Prälaten; die Masse der Streiter setzte sich aus ministerialischen Rittern und Kaufleuten sowie deren Knappen und Dienern zusammen; alles in allem ist die Pilgertruppe auf etwa 1000 Mann zu veranschlagen. Für die Werbung blieben Bertold nur die Herbst- und Wintermonate 1197/98, schon im Frühjahr strömte das Heer in Lübeck zusammen und Bischof Bertold traf im Frühsommer 1198 mit ihnen in Livland ein. Da er die schweren Seeschiffe in der Dünamündung zurücklassen musste, misslang ihm der Angriff auf die miten im Strom auf einer Insel liegende Livenburg Holme (ein Geschenk Meinhards). Unverrichteter Dinge mußte er zu seinen Schiffen zurückmarschieren, die vor dem üblichen Saisonhandelsfeld, der noch siedlungsleeren Stätte des späteren Riga, verankert waren. Das livische Aufgebot, nicht viel stärker als das Pilgerheer, rückte heran und nahm jenseits des Sandberges Aufstellung. Noch einmal kommt es zu einer Aussprache. Ein livischer Abgesandter fragt den Bischof, aus welchem Grunde er ein Heer mitgebracht habe. „Der Grund, antwortete der Bischof, sei, daß sie, wie die Hunde zum Gespienen, öfters vom Glauben zum Heidentum zurückgekehrt wären". Der Antwort der Liven, sie würden nun die Versprechen treu einhalten, konnte Bertold nach seinen langjährigen Erfahrungen nicht mehr trauen, er forderte Geiseln als Bürgschaft.

Obgleich die Liven dies verweigerten, gab es noch einen Waffenstillstand. Man spürt die Dramatik, es ist die Wendung zum Einsatz des Schwertes, jeden Augenblick konnte sich die Spannung entladen. Da töteten die Liven einige Deutsche, die Futter für die Pferde suchten. Nun war kein Halten mehr. In sommerlicher Hitze, am 24. Juli, wappneten sich die Sachsen und griffen an. Bertold geriet durch sein schnelles Pferd im erfolgreichen An¬riff mitten in die Reihen der Feinde, zwei Liven umfassten ihn, ein dritter, Ymaut, durchbohrte ihn von hinten mit der Lanze, dann riss man seinen Leib in Stücke. Arnold von Lübeck sagt, der Bischof habe vor Sehnsucht nach dem Opfertode geglüht. Obgleich die Schlacht für die Liven verlorenging, sie flohen in voller Auflösung, bedeutete der Tod des Anführers doch das Scheitern des Kreuzzugs, eine bei Ritterheeren oft zu beobachtende Erscheinung. Zwar zwangen die Ritter jetzt durch einen Plünderungszug die Liven zum Frieden- und zu einer Massentaufe von 150 Menschen, zur Annahme von Priestern und einem Kornzins, aber all dies blieb ein leeres Versprechen ohne Sicherheit.

Nach der Abfahrt der Pilgerflotte kam es sofort zur heidnischen Reaktion, wie nicht anders zu erwarten. Der Klerus wurde in Hollme zusammengetrieben, seine Habe und seine Felder geplündert, die Kirche um etwa 200 Mark Silber geschädigt. Die Liven wuschen die Taufe durch ein Bad in der Düna ab, einen von einem Pilger in einen Baumast geschnitzten Kopf hielten sie für den verderbenbringenden Christengott, setzten ihn auf ein Floß und sandten ihn den Sachsen nach Gotland nach. Um den 3. März 1199 wurden sämtliche Priester ausgewiesen, sie hatten bei Todesdrohung bis Ostern abzureisen. Das einzige überwinternde Kaufmannsschiff - die Händler hatten sich mit Geschenken vom Tode losgekauft - nahm den Klerus an Bord und segelte ab.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Der Kreuzzug von 1200 und die Ordensgründung

Die Kunde von Bertolds Tod gelangte mit den Kreuzfahrern im Herbst 1198 nach Deutschland. Anfang oder Ende März 1199 wurde in der erzbischöflichen Metropole Bremen der Domherr Albert aus dem Ministerialengeschlecht der Bekeshovede zum neuen Bischof von Livland geweiht. Wenn dieser Mann bestimmt war, das begonnene Missionswerk endlich zum Erfolge zu führen, so verdankte er das vor allem drei Gründen: seinem diplomatischen Geschick und Organisationstalent, seiner ausdauernden Gesundheit und Energie und schließlich nicht zuletzt dem Glück, im Gegensatz zu seinem Vorgänger noch dreißig Jahre lang am Leben zu bleiben.

Unverzüglich begab sich Albert im Frühsommer auf die Reise nach dem Osten. In Gotland erfuhr er vom Zusammenbruch der livländischen Kirche, verständigte sich sogleich mit den Kaufleuten der Frühhanse und zeichnete vorsorglich etwa 500 Männer mit dem Kreuz. Sodann eilte er zu König Knud VI. von Dänemark und Erzbischof Absalon von Lund, was nur bedeuten kann, dass er sein Unternehmen nach dieser Seite hin absichern wollte. Waren doch Dänemark und Lund die traditionellen Träger der älteren ostbaltischen Mission, mit denen man sich verständigen musste. Auch warfen die Kämpfe der Dänen mit dem Schauenburger Grafen ihre Schatten voraus, und in Norddeutschland flammte der Bürgerkrieg auf. König und Erzbischof zeigten sich freundlich, die dänische Aufmerksamkeit war jetzt ganz den norddeutschen Dingen zugewendet, eine Entlastung im Osten konnte ihnen nur willkommen sein. Damit war der neue Livlandkreuzzug bereits zur Hälfte gesichert. Was noch fehlte, war die Unterstützung der römischen Kurie. Eine Kreuzfahrerbulle war besonders wichtig, da erst ihr Sündenstrafenablaß der Pilgerwerbung die nötige Durchschlagskraft verleihen konnte. Dieser Aufruf des Papstes wurde erst am 5. Oktober 1199 ausgefertigt.

Im Frühjahr 1200 ist Albert in Lübeck; an Bord einer Flotte von 23 Schiffen der Kaufleute setzt er mit seinem kleinen Heer nach Livland über. Es kommt zu kleineren Gefechten, aber keiner Schlacht. Ein Plünderungszug der Friesen befreit den belagerten Bischof in Holme, man schließt Frieden, und nun gelingt durch eine List die unblutige Beendigung des Kampfes; Albert zahlt den Liven jetzt mit ihrer eigenen Münze, er setzt bei einem Gelage plötzlich die livischen Ältesten gefangen und zwingt sie, 30 ihrer Söhne als Geiseln zu stellen. Gleichzeitig läßt er sich die Wildnis an der Dünamündung mit der Stätte des späteren Riga abtreten. Man sieht, all dies ist darauf berechnet, eine unabhängige Basis im Lande zu errichten. Im Spätsommer oder Herbst kehrt die Flotte heim.


Der deutsche Bischof Albert von Buxthoeven wird heute mit Dietrich von Treiden als Gründer des Schwertbrüderordens angesehen. Albert war zugleich der Gründer von Riga, die Hauptstadt des heutigen Lettland ist eine deutsche Gründung.

Vom Frühjahr 1201 bis zum Frühjahr 1202 ist Albert dann nochmals mit einer Pilgertruppe an der Düna, jetzt baut er Riga als kleinen befestigten Bischofssitz und belehnt zwei Ritter mit den Livenburgen Lennewarden und Uxküll. Dies ist erst eine programmatische Belehnung ohne Gewere, die Burgen liegen noch außerhalb der deutschen Reichweite, aber hier wird der Anfang der livländischen Vasallenschaft erkennbar; Albert schafft sich eine Kampftruppe, ein stehendes Heer, aber von einem Ritterorden ist bei ihm nicht die Rede.


Riga 1900, die lettische Hauptstadt ist eine deutsche Gründung, vermutlich leitet sich der Name von einem Nebenfluss der Düna ab..


Riga 1918 - Der deutsche Kaiser Wilhelm II. besucht die besetzte Stadt. Man etablierte sogar noch ein Herzogtum Kurland und Semgallen unter der Krone des deutschen Kaisers

Erst 1202, nachdem er abgefahren ist, kommt Dietrich von Treiden in Riga an, und zu diesem Jahr berichtet Heinrich von Lettland: „Zu derselben Zeit hat Bruder Theoderich, da er die Treulosigkeit der Liven voraussah und befürchtete, dass man der Menge der Heiden nicht würde widerstehen können und um deswegen die Zahl der Gläubigen zu vermehren und die Kirche unter den Heiden zu erhalten, gewisse Brüder der Ritterschaft Christi eingesetzt, denen Papst Innozenz die Regel der Templer und ein Zeichen am Kleide zu tragen verlieh, nämlich Schwert und Kreuz, und sie der Obödienz ihres Bischofs unterstellte." Das war bereits die Umschreibung, dass ein Orden gegründet wurde, der organisatorisch den Templern nahe stand und mit dem Schwert für der Kreuz kämpften. Arnold, der Autor der gleichnamigen Chronik von Lübeck hat die Ordensritter in den Straßen des Durchgangshafens Lübeck sicher selbst gesehen; nach seinem Bericht sieht die Gründung wie ein freiwilliger Zusammenschluss aus. Als Ordensgründer gilt nur Dietrich von Treiden, der bereits im Sommer 1200 wieder in Livland weilte und anschließend von Albert nach Rom entsandt wurde.

Der Kreis der Schwertbrüder ist zur Zeit der Gründung naturgemäß sehr klein. Es waren zehn Personen, ihre Namen lauten: Wenno (Winne), Arnold, Wigbert von Soest, Bertold, Hartmut, Volkwin, Rudolf von Kassel, Rüdiger, Everhard und Konstantin. Unter ihnen sind auch die beiden späteren Meister, Wenno und Volkwin. Das Ursprungsgebiet der ersten Schwertbrüder reichte von Soest über Waldeck bis nach Kassel, der Gründer Dietrich kam aus Loccum an der Mittelweser.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder
https://www.balticorthodoxy.com/orthodoxy-in-riga-1921

Der Schwertbrüderorden - Leben, Regeln und Verbote

Im Frühjahr 1202 fuhr Dietrich von Treiden mit den ersten Schwertbrüdern nach Livland und setzte sie als Orden ein. Die letzten Entscheidungen dazu können erst im Sommer und Winter des Jahres 1201 gefallen sein, sonst hätte der Mönch bereits 1201 im April eine päpstliche Bestätigung einholen können, als er in Rom war. Leider ist der wichtige Gewährsmann, Heinrich von Lettland, mit seinen Nachrichten über den Orden sehr karg. 1202 und 1203 war noch ganz offen, ob das Unternehmen gelingen würde, oder ob es der Livenmission so gehen sollte wie Bischof Fulco von Estland und seinen Anhängern. Beide Teile werden also vorerst nichts Bestimmtes voneinander gefordert haben: die Ritter, weil es noch nichts zu fordern gab, Bischof Albert dagegen, weil er jeden Mann und jedes Schwert brauchte. So ist diese Schicksalsfrage Alt-Livlands nicht so sehr durch persönliche Schuld, sondern durch menschliche Unzulänglichkeit aufgeworfen worden.


Der Schwertbruder - Sein Leben war von Regeln, Verboten und Enthaltsamkeit bestimmt

Doch 1203 war all dies noch nicht zu übersehen. Als Albert im Frühjahr dieses Jahres in Livland eintraf, war er gewiß mit Dietrichs Ergebnissen zufrieden und bestimmte ihn zum Abt, unmittelbar darauf begab sich Dietrich von Treiden mit dem getauften Livenältesten Kaupo und gewiß auch einigen Ordensbrüdern an Bord der Schiffe uncl reiste über Gotland und Deutschland nach Rom, um erst im September 1204 wieder nach Riga zurückzukehren. Die kleine Gruppe von Ordensrittern, die sich seit dem Herbst 1204 in Riga als erster Konvent des Schwertbrüderordens einrichtete, folgte der Lebensweise der Templer. Das schloss eine spartanische Härte in sich. Der Orden bekommt jetzt ohne Zweifel die jüngere Templerregel, die über das alte Grundgesetz von Troyes von 1128 längst hinausgewachsen war. Die Übernahme der jüngeren Fassung durch die Livländer ergibt sich aus der Gleichartigkeit vieler Einrichtungen, z.B. des Amts der Provinzialmeister, welche in den Statuten von Troyes noch unbekannt waren.

Der neue Orden kennt drei Klassen, die Ritter, die Priester und die Diener. Sie unterscheiden sich rein äußerlich schon durch die Kleidung. Die Ritter tragen einen weißen Waffenkittel, auf dem sich das rote Ordensabzeichen befindet, nämlich Schwert und Kreuz übereinander. Das gleiche Zeichen ist auf der linken Schulter des weißen Mantels aufgenäht, der nur den Ritterbrüdern vorbehalten bleibt. Die Priesterbrüder tragen einen langen weißen Rock, ebenfalls mit dem roten Ordensabzeichen. Bei den dienenden Brüdern (servi oder familia) ist die Kleidung schwarz oder braun, sie weist sonst das gleiche Zeichen auf.


Der Schwertbrüderorden in Livland

Der Ritter, hinter dem sich das Tor beim Eintritt in den Orden schließt, lässt eine Welt höfischer Kultur, der Freude und weltlichen Heiterkeit zurück. Mit dem Gelübde des Gehorsams begibt er sich jedes privaten Eigenwillens und geht im Gesamtwillen des Ordens auf; dessen Meister allein erteilt ihm von nun an Befehle. Gleichzeitig entäußert er sich seines Besitzes bis auf den letzten Heller. Niemand darf auch nur die geringste private Geldsumme besitzen. Anspruch hat jeder Ordensbruder nur auf Kleidung, Nahrung und Waffen. Die Kleiderordnung schließt jeden Luxus aus, Pelzverbrämung und bunte Farben sind untersagt. Die Kleider verteilt der Drapierer nach der Körpergröße, und wenn jemand aus Oberhebung meinen sollte, ihm gebühre ein besseres Kleidungsstück, so soll er das schlechteste erhalten. Niemand darf an seiner Tasche oder seinem Gepäck ein Schloß haben, außer dem Meister. Dieser übt auch eine genaue Briefzensur aus. Auch die Rüstung ist einfach, Gold- und Silberbeschläge sind verboten. Streng ist die Scheidung von der Welt. Der Ordensbruder lässt Familie und Freunde hinter sich, er darf Frauen weder ansehen noch küssen, nicht einmal die eigene Mutter. Bei der Tafel ist allen Schweigen geboten, während der Mahlzeit wird die Schrift verlesen. Nachts schläft der Ritterkonvent im großen gemeinsamen Dormitorium, in dem stets ein Licht zu brennen hat. Das Lager ist bescheiden, nur ein Strohsack, ein Kissen und eine Decke stehen jedem zu. Die Brüder sollen untereinander ehrerbietig sein und dem Meister in allem gehorchen. Eifersucht, Neid, Scheelsucht, Murren, Klatsch und Verleumdungen sollen sie meiden wie die Pest. Auch für die Mahlzeiten gab es Bestimmungen; nur dreimal wöchentlich durfte Fleisch gereicht werden.

Ohne Befehl des Meisters darf niemand die Burg oder den Hof verlassen; wird er auf eine Reise entsandt, so hat er sich untadelig zu verhalten und nur solche Herbergen zu benutzen, die in gutem Ruf stehen. Zweimal täglich, zu den Nonen und zur Vesper, versammeln sich die Brüder in der Kapelle zum Gebet. Niemand darf sich ohne Erlaubnis von der Tafel, vom Schlafsaal, aus dem Lager entfernen, ebenso sind Baden, Spiele und anderes an die Erlaubnis des Meisters gebunden. Geht es zum Kampf, so stehen die Brüder unter dem Befehl des Meisters.

Ausrüstung und Ränge

Jeder Ritterbruder hat drei Pferde und einen Diener als Knappen, zusätzlich kann ihm ein weiteres Pferd und ein Knappe bewilligt werden. Die Schutzwaffen bestehen aus Panzerhemd, Eisenhosen, einem eisernen Helm und einem Schild, die Trutzwaffen aus Lanze, Schwert, Keule und Dolch. Auch Kleidung und Gepäck sind genau zugemessen wie in einem modernen Heer: ein Waffenrock, zwei Hemden, zwei Hosen, zwei Paar Strümpfe, ein Gürtel, ein vorn und hinten mit Zacken verzierter Leibrock, ein langhaariger Pelz für den Winter, zwei weiße Mäntel, von denen einer gefüttert war, dieser wurde im Sommer dem Drapierer abgegeben. Ferner gehören zur Ausstattung eine Pferdedecke, zwei Messer verschiedener Größe, Schulter- und Fußstücke der Rüstung, zwei kleine Säcke für das Bettzeug und ein Leder-, oder Kettensack für das Panzerhemd. Kessel, zwei Feldflaschen mit Bechern, ein kleines Zelt und mehrere genau verzeichnete Kleingeräte vervollständigen die Ausrüstung.

Die Priesterbrüder, von denen in den ersten Jahren wohl nur einer oder zwei vorhanden waren, nehmen am Kampf nicht teil. Sie genießen besondere Verehrung, sitzen bei Tisch neben dem Meister, werden zuerst bedient und sind die einzigen Beichtväter der Brüder. Sie haben Anspruch nur auf Speise und Kleidung.

Die Klasse der dienenden Brüder war wahrscheinlich ebenso wie beim Templerorden in zwei Gruppen geschieden, Gewappnete und Handwerker. Gerade in den ersten Jahren der Improvisation wird sich das nicht allzu deutlich ausgewirkt haben, da noch 1210 jeder irgend Waffenfähige in Livland im Kampf gebraucht wurde. Das tägliche Leben der Dienenden spielte sich im Grunde ab wie das der Ritter, nur gab es kleine Unterschiede in der Beköstigung und Bewaffnung. Im Kampf sind die dienenden Brüder als mittelschwere und leichte Reiter und als leichtgepanzerte Fußsoldaten eingesetzt worden. Später dienten sie in der Verwaltung als Unterbeamte, sie sind die zahlreichste Klasse des Ordens.

Zu beachten ist, dass es zwei Arten dienender Brüder gab. Ein Teil trat ganz dem Orden bei und diente wie die Ritter nur um Gotteslohn und den Lebensunterhalt, ein anderer Teil — dessen Zahl schwer abzuschätzen ist — diente um Sold und war dem Orden durch einen dem Meister geleisteten Treueid verbunden. Da infolge der strengen Regel stets nur eine begrenzte Zahl von Menschen zum Eintritt in den Orden neigte, konnte diese zweite Söldnergruppe möglicherweise eine Rolle spielen, sobald der Orden zu eigenen Einkünften gelangte. Der Orden konnte seine Zahlenstärke auf diese Weise elastischer der Vergrößerung und Verkleinerung seines jeweiligen Territorialbesitzes anpassen. Im Kriege unterstanden sämtliche gewappnet Dienenden den gleichen Gesetzen wie die Ritterbrüder, das bedeutet: fast immer, da der Kriegszustand zur Zeit des Schwertbrüderordens in Livland selten unterbrochen war.

Schließlich müssen noch zwei besondere Gruppen erwähnt werden, die erst im Laufe der Zeit neben den drei Klassen bedeutend werden konnten, das waren die Mitbrüder und die Gastritter. Die Mitbrüder (con-fratres) konnten verheiratet sein, durften aber nicht im Ordenshause wohnen. Sie hatten ein ehrbares Leben zu führen und den Brüdern gute Taten zu erweisen. Sie brachten ihr Vermögen in den Orden ein, ein Teil davon fiel nach ihrem Tode dem Orden zu, wahrscheinlich ebenso dann, wenn sie bei Lebzeiten aus der Mitgliedschaft ausschieden. Sie hatten den Vorteil, am Gottesdienst in den Ordenskirchen teilzunehmen und dort beerdigt zu werden. Den weißen Mantel erhielten sie nicht, wohl aber wahrscheinlich das Abzeichen. Die Gastritter dienten auf Zeit und beschafften selbst ihre Ausrüstung. Ihnen und ihren Knappen sollte der Orden den Lebensunterhalt schenken. Sie hatten dem Meister einen Treueid zu leisten.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Der Schwertbrüderorden - Hierarchie und Entsagung

Vom Beginn des Ordens an mussten vier von den vielen Ämtern, die der Templerorden kannte, auch in Livland eingeführt werden, nämlich die des Meisters, des Drapierers, des Treßlers und des Marschalls.


Der Meister der Schwertbrüder - Der erste Herrenmeister des Schwertordens war Wenno oder päzisiert Vinno von Rohrbach 1202–1209, ansässig in der Ordensburg von Wenden zu Livland. Das Bild stammt aus einem lettischen Film über die Schwertbrüder und steht stellvertretend für einen Meister der Schwertbrüder

Der Konvent der Ritterbrüder, also der oberen Klasse, wählte immer den Meister. Er hatte auch über sehr wichtige Fragen, wie Neuaufnahmen, Landschenkungen, Feldzüge, Verträge und Ernennung höherer Beamter, zu beraten und wurde dazu vom Meister einberufen. Die Entscheidung fällte der Meister. Der Meister gebot über ein persönliches Gefolge von zwei Kaplänen und Schreibern sowie acht dienenden Brüdern, unter derren auch ein Schmied, ein Dolmetscher und ein Koch waren. Seine allgemeine Befehlsgewalt wurde nur in einigen wichtigen Punkten eingeschränkt: er hatte keinen Schlüssel zum Schatz. In den oben erwähnten fünf Fragen besonderer Wichtigkeit musste er den Konvent zur Beratung anhören. Dagegen war ihm jeder einzelne Bruder Gehorsam schuldig. Spätestens seit 1209 war der Ordensmeister Feldherr des gesamten livländischen Landesaufgebots im Gefecht und auf dem Marsch. Das Amt der Provinzialmeister existierte vor 1207 nicht.

Der Drapierer verwaltete die Kleider- und Zeugkammern. Er mußte auch auf Ordnung und Ehrbarkeit der Tracht und den Haar- und Bartschnitt der Brüder achten. Sein Gefolge bestand aus drei dienenden Brüdern mit vier Pferden; er beaufsichtigte auch seine Schneider.

Der Treßler verwaltete den Schatz, in den alle Gelder einliefen, die dem Orden zuflössen. Bevor ein Betrag in die Kasse gelegt wurde, musste der Ordensmeister ihn zählen. Die Rechnungsführung war schriftlich. Der Ordensmeister oder ein Teil der Ältesten - das heißt wohl der höheren Beamten oder führenden Ritterbrüder - konnte Rechenschaft verlangen.

Das Amt des Marschalls ist ebenso wie die Ämter des Drapierers und des Treßlers in den Quellen der Schwertbrüderzeit nicht bezeugt, trotzdem hat es wohl ebenso bestanden wie die anderen. Das Gefolge des Marschalls bestand aus vier dienenden Brüdern mit sieben oder acht Pferden. Er war Verwalter der Rüstkammern und Vorgesetzter aller bewaffneten Ordensmannschaften (Ritter und Dienende) im Kriege, jedoch unterstand er dem Meister.

Bei der Neuaufnahme hatte sich jeder Ritter einer Prüfung seiner Herkunft und Gesinnung zu unterziehen, auch musste er von ritterbürtiger Abkunft und ehelich geboren sein. Dies schloss die Aufnahme von Abkömmlingen der führenden hansischen Fernhändlerschicht unter die Ritterbrüder nicht aus. Unter den dienenden Brüdern befanden sich Angehörige aller sozialen Schichten vom niederen Adel an abwärts. Es gab also Ministerialen- und Kaufmannssöhne, die dann die Möglichkeit hatten, in die Reihen der Ritter aufzurücken, und Knappen und Handwerker auch kleinbürgerlicher und bäuerlicher Herkunft. Ein fein abgestuftes System von Strafen, das vom Ausschluss von der gemeinsamen Tafel und dem Essen auf dem Fußboden bis zur Ausstoßung aus dem Orden und zur Todesstrafe reichte, erlaubte dem Orden die Aufrechterhaltung der inneren Disziplin. Der Höchststrafe der Ausstoßung verfiel ein Ordensglied bei folgenden sieben Vergehen: Ausplaudern von Kapitelverhandlungen, Simonie (Verkauf von Reliquien), Tötung eines Christen, Diebstahl, Fahnenflucht, gemeinschaftlichen Vergehen und Ketzerei. Das Ordenssiegel und die Kanzlei mit dem entstehenden Archiv führte wahrscheinlich der dem Meister beigegebene Kaplan.

Damit schließt die kurze Betrachtung der Einrichtungen und Lebensordnung des ersten Konventes von 1204. Aus ihr ergibt sich ohne weiteres, dass die Menschen, die sich hier zusammenschlössen, von einer bestimmten geistigen Art waren. Man muss sich die Heiterkeit und die bunten Formen der damaligen höfischen Ritterkultur vor Augen führen, mit ihren Turnieren, ihrem Glanz, mit Gesang, Tanz, Verehrung schöner Frauen, mit der ganzen Lebensfreude der staufischen Epoche. Dann ist der Kontrast ganz besonders zu spüren, der diese entsagenden Schwertträger von ihren daheimbleibenden Standesgenossen trennte. Es war gewiss nicht in erster Linie Abenteurerlust und schon gar nicht das Begehren nach persönlichen Reichtümern und Herrlichkeiten, was einen Ritter zur Annahme des Ordensgewandes trieb. Er hätte dazu viel bessere Möglichkeiten gehabt, wenn er bischöflicher Vasall geworden wäre; das hätte ihm eigenen Besitz, Familie und die Aussichten auf sozialen Aufstieg verheißen, wie er den Lehnsleuten Bischof Alberts, einem Konrad von Meiendorf, einem Daniel von Lennewarden winkte. Aller dieser Möglichkeiten entschlug sich ein Ordensritter freiwillig, um eine Daseinsform zu wählen, die ihm außer den täglichen Forderungen von Selbstzucht, Demut, Disziplin und Kampf nur das Erlebnis waffenbrüderlicher Kameradschaft und die "Wahrscheinlichkeit eines frühen Todes bot.

Was ihn dahin fortzog, konnte im wesentlichen nur die gleiche Grundstimmung sein, die auch den Eintritt in einen Mönchsorden auslöste, die Enttäuschung an der Welt. Der Zeitgenosse Cäsarius von Heisterbach hat mehrere Beispiele berichtet, die hiervon zeugen. So ist der Templer Eynolph, ein „vir satis religiosus", nach dem übernatürlichen Erlebnis von Krankheit, Scheintod und Vision in seinen Orden eingetreten. Ein Ritter Balduin, Vogt von Braunschweig, bietet noch nach seiner Aufnahme unter die Zisterzienser ein Bild der Verzweiflung, ohne dass wir den Grund erfahren. Wenn auch bei keinem Schwertbruder der innere Grund seines Eintritts so überliefert ist wie bei Bernhard und in den genannten Beispielen, so ist doch vor allem von hier aus auch die Todesbereitschaft der Ordensritter verständlich, haben doch von den zehn frühesten Schwertbrüdern sieben ein vorzeitiges Ende gefunden und sind schließlich fast sämtliche Ritterbrüder auf den Schlachtfeldern geblieben!

Selbst Heinrich von Lettland, der den Orden nicht liebte, sagt von dem ersten namentlich bekannten Schwertbruder Arnold, bei dessen Schlachtentod vor der Feste Fellin: „Arnold, der Bruder des Ordens, mühte sich da Tag und Nacht, endlich ging er, von einem Stein getroffen, hinüber in die Gemeinschaft der Märtyrer. Er war ein sehr frommer Mann und betete unablässig, und worum er gebetet, das hat er, wie wir hoffen, gefunden." Diese Worte entspringen keinem erbaulichen geistlichen Pathos, sondern können als schlichte Kennzeichnung des Geistes gelten, der viele Ordensbrüder beseelte. Man suchte durch den Einsatz des Lebens für ein religiöses Ziel „der werke lop, der sele heil".

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Mitten im Feindesland: Riga

Im Winter von 1204 zu 1205 tritt der Orden in den Kampf ein. Er nennt sich selbst „Orden und Gemeinschaft des Ritterdienstes Christi" oder „Brüder der Ritterschaft Christi von Livland", meist kurz „Brüder der Ritterschaft" (fratres milicie). Noch im 13. Jahrhundert ist in Kreisen des Deutschen Ordens die Bezeichnung „swertbrüdere" gebräuchlich geworden, wahrscheinlich um 1237 zur Zeit der Ordensvereinigung.

Die Schwertbrüder beginnen ihren Einsatz in Livland mit dem Erwerb eines rund 5000 m² großen Grundstücks in dem kleinen Bischofssitz Riga, das ihnen höchstwahrscheinlich Bischof Albert schenkt. Damit fangen aber zugleich die Probleme an. Der Orden zählt 1204 bis 1206 erst etwa 50 -100 Ritter und Dienende. Er bildet damit innerhalb des bischöflichen Heeres, dessen Gesamtstärke von Jahr zu Jahr zwischen etwa 500 und 1000 Streitern schwankt, eine kleine Minderheit. Doch ist er von Anfang an der wichtigste stabile Faktor, da die Masse des Gesamtheeres namentlich in der frühen Zeit aus den ein Jahr lang dienenden Pilgern besteht, die ständig abgelöst werden.

Selbst die geringe Stärke des Ordens fordert aber bereits bedeutende Mittel zum Unterhalt. Allein der Ordenshof zu St. Georg, auf dem nun die ersten Konventsbauten errichtet werden, kostet erhebliche Summen, er wird später, als alles fertig ist, mit dem Inventar auf einen Wert von 700 Mark Silber veranschlagt. An Aufwendungen für den Unterhalt eines Streiters sind jährlich 3 Mark Silber zu rechnen, darin sind die Kosten für die Seereise und die Ausrüstung (Pferd, Waffen) noch nicht enthalten. Selbst wenn also jeder Ordensbruder seine Ausrüstung mitbrachte und seine Überfahrt selbst bezahlte, so müssen für Unterbringung und Unterhalt des ersten Konvents in den drei Jahren 1204 bis 1206 mindestens 1000 Mark Silber aufgebracht worden sein, eine eindrucksvolle Summe! Aus des Bischofs bescheidenen Mitteln waren nur geringe Beihilfen zu erwarten, der Hauptteil der Gelder kann daher nur aus zwei Quellen geflossen sein, aus Zuschüssen der an Livland interessierten Kaufleute und vor allem aus dem Eigenkapital der Ordensglieder selbst, namentlich der Ritterbrüder.


Die Scharrenstraße in Riga (1964)

Über den Konventsbau in Riga ist leider nur wenig Genaueres bekannt. Er befand sich an der heutigen Scharrenstraße und bestand aus der Kapelle und mehreren Häusern. Dass er schon den für die späteren Deutsch-Ordensburgen so typischen quadratischen Grundriß zeigte, muss als sehr zweifelhaft gelten. Die zweischiffige Kapelle war vor 1209 fertig, sie weist gewisse Ähnlichkeiten mit der ältesten Kirche zu Üxküll auf und war wohl von dieser beeinflusst. Schutzpatron der Kapelle wie des Ordens war der heilige Georg. Außer der Kapelle befanden sich in dem Hof allen Anzeichen nach im Ostflügel die Unterkunftsräume der Ritter und der Kapitelsaal, im Westflügel die Räume für die dienenden Brüder und später vielleicht für die Gäste. Der Raum im Nordosten entlang der Stadtmauer musste aus Verteidigungsgründen freibleiben, hier sind allenfalls die Pferdeställe als leichte Holzbauten zu vermuten. Eine Anlehnung an die Raumverteilung der Zisterzienserklöster ist wahrscheinlich. Unmittelbar an den Ostflügel grenzte der Hof Bischof Alberts mit Pfalz und Nebengebäuden. Alle diese Bauwerke waren im romanischen Stil errichtet.


Über den Dächern des von Deutschen gegründeten Riga

Das kleine Riga hatte zu jener Zeit bis 1210 bestenfalls 1000 ständige Bewohner, worin Geistliche, Bischofsgesinde, Vasallen, Schwertbrüder, Handwerkerbürger, Frauen und Kinder enthalten sind. Der Gedanke, diesen Stützpunkt zu gründen, erscheint vermessen, wenn man den Kriegsschauplatz und die allgemeine Lage betrachtet. Die ostbaltischen Völker zählten nach den Ergebnissen der neueren Forschung damals einschließlich der Litauer, aber ohne die Prußen und Finnen, gegen die der Schwertbrüderorden niemals zu kämpfen hatte, etwa eine halbe Million Menschen. Es gab nach vorsichtigen Berechnungen etwa
170 000 Litauer, 150 000 Esten und 20 000 Liven. Die Zahl der Letten nördlich der Ewst mag nach abwägend prüfender Schätzung etwas mehr als 40 000 betragen haben, die der Semgaller um 25 000, der Kuren gegen 32 000. Die Zahl der Selen war verhältnismäßig gering, viel kleiner jedenfalls als die der Liven; die Einschätzung der Ostlettgaller ist sehr schwierig.

Setzt man noch die gewaltige Volkszahl der Russen in die Rechnung ein, von denen namentlich das Fürstentum Polock sofort auf dem Plan erscheinen musste, sobald Bischof Albert gegen die den Polockern tributpflichtigen Dünaliven vorging, so wird die Übermacht, der das kleine Riga gegenüberstand, erdrückend genannt werden können. Das Bild dieser Kräfteverteilung verschiebt sich aber sofort, wenn die inneren Zustände der baltischen Völkerwelt näher betrachtet werden. Im allgemeinen war nur jeder siebente Einwohner wehrfähig, und nur jeder dritte dieser Wehrhaften wurde wirklich in einem Feldzug eingesetzt. Es ist also mit etwa 23 000 Streitern aller genannten Völker (ausgenommen die Russen) zu rechnen, die jeweils zu Feldzügen versammelt wurden. Diese Zahl wurde aber in Wirklichkeit niemals zu einem gemeinsamen Ziel eingesetzt, denn die Stämme, die sie aufstellen konnten, bildeten ja keine staatliche Einheit, sondern lagen im Gegenteil in heftigsten Fehden untereinander. Die Liven waren mit Semgallern und Lettgallern verfeindet, ebenso herrschte zwischen Lettgallern und Esten Gegnerschaft.

Von Süden her aber beginnt im ausgehenden 12. Jahrhundert das litauische Volk, noch ungeeint, zunehmend seine nördlichen Nachbarn zu bedrängen, vor allem die Semgaller, Liven, Lettgaller und das russische Fürstentum Polock. Weiter muss daran erinnert werden, dass die einzelnen Stämme nur sehr lockere Einheiten bildeten und in Teillandschaften, Gaue, Burgbezirke usw. zersplittert waren, die oft ein sehr selbständiges Leben führten. Hieraus ergibt sich, dass das kleine bischöfliche Heer, wenn es mit politischer Klugheit für begrenzte Ziele eingesetzt wurde, trotz der geringen Stärke von 500 bis 1000 Mann eine wirkungsvolle Waffe sein konnte. Das wird noch deutlicher, wenn man nun auch den Unterschied der militärischen Technik berücksichtigt. Die ostbaltischen Aufgebote sind großenteils Bauernheere mit einer kleinen Führungsschicht von Adligen, die als Berufskriegerstand gelten kann. Die Verteidigungswerke, die von ihnen angelegt und besetzt werden, sind Holz-Erde-Befestigungen; sie stehen auf einer hohen Entwicklungsstufe des Wehrbaus, sind aber auf die Dauer doch der Technik des Westens unterlegen. Der Streiter des Abendlandes bringt militärische Einrichtungen mit, die hier oben im Nordosten noch unbekannt sind, in erster Linie den schwer gerüsteten Ritter auf gepanzertem Pferd, die Armbrust als panzerbrechende Waffe, die Steinburg und das Geschützwesen.

Von diesen Unterschieden aus betrachtet, muss es fraglich bleiben, ob das Ostbaltikum selbst bei größerer staatlicher Geschlossenheit nachhaltigen Angriffen aus Ost und West gewachsen gewesen wäre. Wie die Dinge lagen, waren große Teile des heutigen Lettland bereits unter russische Herrschaft geraten, obwohl die Russen von Polock und Novgorod damals weder Armbrust noch westliche Belagerungskunst und wohl auch keine gepanzerten Rosse kannten. Der russische Druck aus dem Osten und der litauische aus dem Süden hatten die verschiedensprachigen, zersplitterten Stämme nicht zu strafferer Staatenbildung veranlasst. Es muss schließlich bezweifelt werden, dass die baltischen Völker um 1200 eine ihnen allen gemeinsam aus dem Westen drohende Gefahr bereits erkennen konnten und dass sich ihnen der Gedanke einer geschlossenen Abwehr überhaupt hätte aufdrängen können. Denn ein von vornherein gefasster Plan Bischof Alberts, das ganze Ostbaltikum unter seine Herrschaft zu bringen, hat zweifellos nicht bestanden. Wie sich zeigen wird, erwächst ein Schritt aus dem andern; mit den steigenden Erfolgen stellen sich neue Aufgaben ein.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Die ersten Kämpfe des Schwertbrüderordens

Schon vor Ankunft der Deutschen hatten sich bestimmte Regeln ostbaltischer Kriegführung herausgebildet. Da die Siedlungen inselartig in die großen Waldwildnisse eingelagert waren, konnte die Bevölkerung einem Angriff leicht ausweichen, indem sie sich mit der beweglichen Habe in die Wälder flüchtete oder auf ihre mit den einheimischen Mitteln schwer angreifbaren hölzernen Burgen zurückzog. Deshalb musste der Angreifer, wenn er etwas ausrichten wollte, die Ermattungsstrategie der Plünderungszüge wählen, die in der Brandschatzung einzelner feindlicher Siedlungsgebiete bestand. Dabei wurden in der Regel die wehrfähigen Männer erschlagen, Frauen, Kinder, Vieh und bewegliche Beute fortgeführt und die Dörfer, Höfe und Vorräte durch Feuer vernichtet. Diese Taktik ist schon für das 12. Jahrhundert bezeugt, wahrscheinlich ist es älter.

Als der Ordenskonvent im Herbst 1204 einsatzbereit in Riga stand, bildete der kleine Stützpunkt erst einen umkämpften Brückenkopf. Papst Innozenz hatte 1199 nur zur Verteidigung der livischen Christen aufgerufen. Es zeigte sich aber sofort, dass ein wirksamer Schutz nicht durch reine Defensive erreicht werden konnte. Die Verteidigung der zerstreut in den livischen Siedlungen lebenden Gemeinde war nur denkbar wenn das ganze Livengebiet unter dauernder militärischer, Kontrolle gehalten werden konnte, die allein einen beständigen Friedensschutz verbürgte.

Folgerichtig hatte Bischof Albert daher diesen Weg beschriften: Geiseln genommen, Riga gebaut und Vasallen belehnt. Alles ordnete er jetzt dem Ziel der Sicherung des Livengebietes unter. Zwangsläufig führte das zum ersten Zusammenstoß mit dem Tributherrn der Dünaliven, dem Fürsten von Polock, dessen erster Angriff 1203 mit Mühe abgewehrt wurde. Nach Süden sicherte sich der. Bischof 1201 durch Friedensschlüsse mit den Kuren und den Litauern von Aukštaiten (Hoch- oder Ostlitauen). Die .Semgaller, die auf diese Weise, zwischen zwei Feuer gerieten, schlossen nach einem missglückten Vorstoß gegen das Livengebiet, ebenfalls Frieden mitRiga (1202).

Im Sommer 1204, nach dern Bischof, Albert mit den meisten Jahrespilgern abgereist war, Riga war einer Handvoll Bewaffneter anvertraut, wäre der kleine Stützpunkt fas einem Handstreich von 300 Liven und Litauern von der Land- und Wasserseite her zum Opfer gefallen. Da musste es wie eine Erlösung wirken, als nun endlich Dietrich von Treiden mit drei Pilgerkoggen eintraf und der Orden sich kampfbereit in seinem Hof einrichtete. Noch reichte der Einfluss der Rigenser nicht weit über das kleine Städtchen hinaus. Doch das sollte jetzt bald anders werden.


Burgruine Rodenpois (erbaut 1320-1322) - In der Nähe dieser späteren Ordensburg fand 1205 die erste Schlacht der Schwertbrüder unter Konrad von Meyendorp gegen ein litauisches Heer statt.
Voll, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-4.0

Zunächst gab es ein Ereignis; das auch dem kleinen Orden Gelegenheit bot, seine Kraft zu messen. Um den 23. Februar 1205 erschien vor Riga ein Heer von annähernd 2000 aukštaitischen Litauern, die im Vertrauen auf das 1201 geschlossene Bündnis an der Stadt vorbei nordwärts rückten, um in Estland zu brandschatzen. Der Edle Suelgate, der zu den Führern gehörte, kam zur Stadt heran und wurde freundlich mit einem Willkommenstrunk begrüßt, ehe er weiterzog. Nach seiner Abfahrt verbreitete sich in Riga eine Mitteilung, die vielleicht von einem Liven stammte, der den Litauern als Wegweiser beigegeben war. Es hieß, Suelgate habe beschlossen, bei seiner Rückkehr die unbedeutende deutsche Siedlung zu vernichten. Die erste Reaktion in Riga auf diese Nachricht ist nicht bekannt, zu Entschlüssen kam es erst, als der westsemgallische Landesälteste Vester einige Tage später in der Stadt erschien, auch seinerseits eine Warnung aussprach und einen gemeinsamen Angriff auf die heimkehrenden Litauer vorschlug. Anfangs misstrauisch, schlossen die Deutschen ein Bündnis mit Vester unter der Bedingung, dass er ihnen Geiseln stellte. So kam es zum Kampf und damit auch zum ersten Einsatz der Schwertbrüder.

Wer auf deutscher Seite für dieses Vorgehen stimmte, ist unbekannt. Bischof Albert war in Deutschland, die Führung lag in den Händen von Propst Engelbert und Dietrich. Sicher nahm aber außer dem Vasallen Konrad von Üxküll auch der Orden an den Beratungen teil. Ein genügend starkes Semgallerheer rückte heran und wurde aus Riga verproviantiert, zu ihm stieß eine kleine Abteilung der schwachen deutschen Stadtbesatzung unter Führung Konrads von Üxküll (Konrad von Meyendorp); sie bestand vor allem aus Ordensrittern und -knechten sowie aus bischöflichem Gesinde. Späher erkundeten den Weg des Gegners, der von Treiden auf Üxküll rückte und in einem Abstand von mehr als 25 km an Riga vorüberzog. Es war jetzt klar, dass die mit Gefangenen und Beute daher ziehende litauische Heersäule im Augenblick keine feindlichen Absichten haben konnte, dennoch wurde an dem einmal gefassten Beschluss festgehalten, wohl auch mit Rücksicht auf die semgallischen Verbündeten, deren Feindschaft bei einem Abbruch des Unternehmens befürchtet werden musste. Im Gebiet von Rodenpois legte das Heer seinen Hinterhalt. Da der Schnee tief war, rückten die Litauer nur in einer einzigen Kolonne heran. Sie hatten ihr Heer in zwei Abteilungen gegliedert, zwischen denen die Gefangenen geführt wurden. Die litauische Spitze stieß jetzt auf Schneespuren der Verbündeten und kam zum Stehen, dadurch staute sich das Heer zu einem Keil auf. Vor dessen großer Masse befiel die Semgaller Bestürzung, schon begannen sie zu, weichen, da drängten die Deutschen ihren Heerführer Konrad von Üxküll zum Kampf. Es klingt ganz, als seien es gerade die Ordensritter gewesen, die geltend machten, „es sei besser, ruhmvoll für Christus den Tod zu erleiden als zur Schmach für das eigene Volk ehrlos zu fliehen".

Der Anprall der Panzerreiter schüchterte die unentschlossenen Litauer, die sich noch im Schutz des Friedens geglaubt hatten, ein; nun griffen auch die Semgaller an, und in kurzem floh das aukštaitische Heer in voller Auflösung. Die Fliehenden wurden „längs dem Wege wie die Schafe nach allen Seiten zerstreut" und mehr als die Hälfte von ihnen niedergenauen. Suelgate selbst war unter den Toten. Nicht genug damit, richteten die Sieger ihre Waffen auch gegen einige der gefangenen Esten. Dann wurde geplündert und große Beute in Schlitten davongeführt. Die Litauerschlacht bei Rodenpois blieb zwar mit eine Episode im ersten Abschnitt der Kämpfe, doch das Verhältnis zu den Litauern war ohne Not beschädigt worden.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Kampf um Holme

Die Litauerschlacht bei Rodenpois blieb eine Episode im ersten Abschnitt der Kämpfe. Viel wichtiger war die Sicherung Livlands. Als daher im folgenden Frühjahr Bischof Albert eine besonders große Pilgerschar heranführte, wurde beschlossen, die Herrschaft zu festigen und den Liven von Lennewarden und Ascheraden ihren Handstreich auf Riga von 1204 heimzuzahlen. Wieder zeigt sich deutlich die enge Verflechtung von Verteidigung und Ausbreitung des Glaubens; die „defensio" war ohne die „dilatatio" nicht möglich.

Während an der Dünamündung die Fundamente des Klosters Dünamünde gelegt wurden, stieß das Pilgerheer aus Sachsen und Westfalen unter Führung des Grafen Heinrich von Stumpenhusen 80 km weit dünaaufwärts vor, verbrannte die Burgen Lennewarden und Ascheraden und kämpfte im Kleinkrieg den Widerstandswillen der dort ansässigen Liven nieder, die zuletzt Geiseln stellten und die Taufe versprachen. In die Burg Üxküll wurde eine bischöfliche deutsche Besatzung gelegt, die Liven des Ortes, die wiederum vom Glauben abgefallen waren und mit den Lennewardern gemeinsame Sache machten, schloss man aus der Steinfestung aus. Der Orden wird in diesen Kriegshandlungen nicht besonders erwähnt, wohl deshalb, weil seine Beteiligung wegen der Größe des Pilgerheeres nicht ins Gewicht fiel. Da seine Zahl aber um diese Zeit zu wachsen beginnt, wird er aus diesem Heer schon einige neue Mitglieder geworben haben. Im Winter wurde der glückliche Abschluß des Feldzuges durch ein großes Prophetenspiel in Riga gefeiert, das den versammelten Neubekehrten bildliche Unterweisung im Glauben geben sollte und anscheinend unmittelbar vor der Schwertbrüderkirche und der Bischofspfalz abgehalten wurde. Der Feldzug von 1205 hatte bis an die Grenzen des russischen Fürstentums Kukenois geführt. Der Eindruck auf den Kleinfürsten Vjacko war so groß, daß er persönlich nach Riga kam und durch Handschlag mit Bischof Albert Frieden schloß. Die Herrschaft des Fürstentums Polock an der unteren Düna begann zu zerbröckeln.


Die letzten Reste der Burg Holme in der Düna, 1206 konzentrierte sich der Kampf der Schwertbrüder um diese Flussinselburg, die sie schließlich erobern konnten
Kanibaals, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-4.0

Im Frühjahr 1206 rückt der Orden wieder stärker ins Blickfeld. Die Ursache ist leicht zu erkennen: der größte Teil des Pilgerheeres ist nach Ostern abgesegelt; Albert war damit wieder auf sein kleines stehendes Heer angewiesen. Gerade jetzt aber begannen neue Schwierigkeiten. Der Bischof musste nach der Bezwingung der Dünaliven ein friedliches Verhältnis zu Polock herstellen, angesichts der Tributansprüche des Fürsten Vladimir eine schwierige Aufgabe. Albert entsandte seinen geschicktesten Diplomaten, den Ordensgründer Dietrich. Als der Abt in Polock eintraf, musste er feststellen, dass die Liven ihm zuvorgekommen waren. Wohl im Vertrauen auf die gegenwärtige Schwäche der Deutschen hatte die christenfeindliche Partei in Livland unter Führung eines der Ältesten von Holme, Ako, eine Gesandtschaft zu Vladimir geschickt, die diesen zum Kriege aufreizte. Es ist ganz deutlich in erster Linie eine heidnische Reaktion unter den Liven, die im Unternehmen Akos und seiner Freunde zu erkennen ist. Bei der Wahl zwischen deutscher und russischer Herrschaft gibt den Ausschlag, dass Vladimir nur Tribute und Heerfolge verlangt, die Deutschen aber außerdem auch die Taufe.

Dietrich erfuhr durch Bestechung eines fürstlichen Ratgebers den russischen Kriegsplan, meldete ihn heimlich nach Riga und bekannte dem Fürsten diesen Schachzug in freimütiger Unerschrockenheit. So waren dem russischen Feldzugsplan die Überraschungsvorteile genommen, Vladimir lenkte zum Schein ein und änderte seine Taktik. Er lud den livländischen Bischof zum 30. Mai vor ein russisches Schiedsgericht an den Ogerfluß, 10 km oberhalb von Uxküll, mitten im Livengebiet, und hoffte so die Anerkennung seiner Oberhoheit über beide Parteien durchzusetzen. Gleichzeitig aber gingen seine Boten ins ganze Liven- und Lettengebiet und riefen die Bewohner zur Heeresfolge auf. Wahrscheinlich stand dahinter auch das Versprechen eines russischen Heeres, man war in Polock über die deutsche Schwäche ja wohlunterrichtet.

In Riga musste man sich des Ernstes der Drohung bewusst sein, die in einer Vereinigung des russischen und livischen Heeres lag. Die Drohung war dadurch nicht viel kleiner, dass die Letten, die alten Stammesfeinde der Liven, insgeheim bereits mit den Rigensern sympathisierten und den Russen die Heerfolge verweigerten. Bischof Albert lehnte jedoch unter Berufung auf seine fürstliche Würde in verbindlicher Weise das russische Ansinnen ab. Die Folge war, dass die christenfeindliche Partei der Liven am 30. Mai an der Oger praktisch unter sich war. Es zeigte sich aber auch schon, dass das Missionswerk inzwischen eine große Zahl getreuer Anhänger unter den Liven gewonnen hatte. Zwei von ihnen, Layan und Kyrian, hatten der Versammlung beiwohnen und dem Bischof berichten wollen; sie wurden von den zum Aufruhr entschlossenen Liven, da sie den Glauben nicht abschwören wollten, zu Tode gemartert. Dann fasste die Versammlung den Beschluss, die Burg Holme zu besetzen und von dort aus die Vernichtung Rigas vorzubereiten, gewiss in der Hoffnung auf baldige russische Hilfe.

Holme war nicht nur die stärkste Burg der Liven, sondern mit ihrer Besetzung wurde die an sich schon sehr schwache bischöfliche Macht in zwei Teile zerschnitten, da Konrad von Üxküll mit seiner Truppe die Verbindung mit Riga verlor. Von überall her zog die heidnisch-livische Heerführung Kräfte heran, aus Holme, Üxküll und Treiden, Ako selbst warb eine Litauerschar als Hilfstruppe. Spätestens am 1. Juni muss Holme besetzt und befestigt worden sein, gleichzeitig fielen die Holmer über ihren Priester Johannes von Wierland her, einen gebürtigen Esten, enthaupteten ihn und zerstückelten den Toten. Streiftrupps drangen bis Riga vor, raubten dort Pferde und erschlugen, wen sie zufällig auf dem Felde antrafen. Jeden Augenblick konnte die Lage verzweifelt werden, sobald russische Hilfe anrückte. Flüchtende christliche Liven aus Holme zeigten dem Bischof die genaue Lage an. Da begann spätestens schon am 3. Juni plötzlich ein Teil der Aufständischen sich zu zerstreuen. Wollte er erst beim Eintreffen der Russen wiederkehren? Hielt man die Burg mit ihrer gewiss mehr als 300 Mann starken Besatzung für gesichert genug, bis dahin allein auszuhalten?

Sicher ist, dass die Wendung sofort von bischofstreuen Liven nach Riga gemeldet wurde. Trotz der Schwäche der Verteidigung Rigas musste gehandelt werden. Ein Kriegsrat fasste den Beschluss mit 150 kampftüchtigsten Streitern, Ordenstruppen, Bischöflichen und Liven nach Holme zu marschieren, angeführt vom Ordensbruder Arnold. Wohl am Abend des 3. Juni bestieg diese kleine Abteilung einige mit Schleudergeschützen und anderem Gerät beladene Boote und erschien am 4. Juni vor der Insel Holme (Martinsholm). Die Liven und ihre litauischen Helfer besetzten sofort das Ufer, um die Landung zu verhindern. Vor ihrer großen Zahl sank den Angreifern zunächst der Mut, doch stärkten sie ihre Zuversicht durch ein Lied, in dem sie Gottes Gnade anriefen, und setzten zur Landung an. Arnold führte den Angriff aus dem ersten Boot, Noch im flachen Wasser vorgehend, wurden sie von einem Hagel von Lanzen und Steinen empfangen, aber die Armbruster fingen bereits an, unter dem Feind aufzuräumen. Das Ufer wurde gewonnen und die Heerhaufen gerieten aneinander. In heftigem Kampf wurden die Liven geworfen, ein Teil fiel, ein anderer rettete sich in das steinerne Kastell. Eine große Anzahl wurde abgedrängt und suchte sich schwimmend über die Düna ans andere Ufer zu retten, wobei viele ertranken. Auch Ako war unter den Toten. Sein Haupt wurde nach der Schlacht von einem Schwertbruder in einem Boot mit Verwundeten nach Riga mitgenommen und dem Bischof als Siegeszeichen überreicht. Inzwischen hatte auf Holme der Kampf um das Kastell begonnen. Die Patherellen, die kleinen Wurfmaschinen, wurden aufgerichtet und schleuderten Steine und Brandgeschosse in die Burg, die Armbruster vertrieben mit pausenlosem Beschuss die Verteidiger von der Mauerkrone, Feuer wurde angelegt, und endlich waren die Belagerten so dezimiert, dass sie um Frieden baten. Den Treidern wurde freier Abzug gewährt, sie waren fast alle verwundet. Die Holmer aber mussten sich ergeben, ihre Ältesten nahm Albert nach Deutschland mit, um ihnen dort die Macht und die Lebensweise der Christen vor Augen zu führen.

Es folgte noch ein Feldzug gegen die Treider Liven, den Albert vorwiegend mit Hilfe einiger Pilger und semgallischer Hilfstruppen ausführte, in Holme setzt er eine Besatzung von 20 Mann aus seinem eigenen Gesinde ein, endlich reist er im Sommer 1206 nach Deutschland, wirbt neue Pilger und läßt sich am 2. Februar 1207 in Gelnhausen von König Philipp als deutscher Reichsfürst belehnen.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Ein Drittel Livlands für die Schwertbrüder

Im Winter 1206/1207 wurde die bischöfliche Landesherrschaft im Livengebiet endgültig gesichert. Noch einmal brandete ein Angriff eines Polocker Heeres gegen die deutschen Befestigungen, um die verlorene Oberhoheit zurückzugewinnen. Nach elftägiger Belagerung der nur von zwanzig Deutschen verteidigten Burg Holme erhielt Fürst Vladimir die Meldung vom Eintreffen einiger Schiffe vor der Dünamündung und von wirkungsvollen Straßensperren vor Riga. Die Deutschen hatten alle Wege zu ihrer Stadt mit kleinen dreizackigen Nägeln ungangbar gemacht. Die Polocker Heeresleitung brach den Angriff ab und trat den Rückzug an. Tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich der heidnischen Partei unter den Liven, die von dem Feldzug die Rettung ihrer Sache erhofft hatte. Im Spätsommer oder Herbst unterwarf sie sich, neue Kämpfe vermeidend, den Rigensern und bat um die Taufe.


Das heidnische Baltikum vor der Errichtung des Ordensstaates der Schwertbrüder

König Waldemar von Dänemark hatte im gleichen Sommer nach dreijährigen Vorbereitungen seinen Vergeltungsschlag gegen die Öseler begonnen. Das Unternehmen sollte kein bloßer Plünderungszug sein, sondern die traditionelle nordische Mission fortführen, einen Stützpunkt in Estland schaffen und die gefährlichste heidnische Flottenbasis in der Ostsee ausschalten. Trotz glücklicher Anfangserfolge misslang das Unternehmen, weil sich im königlichen Heer der Dänen im folgenden Winter niemand zur Verteidigung der auf Ösel neu errichteten Burg bereitfinden wollte. In Riga war nicht wirklich jemand unglücklich, dass die Dänen sich nicht auf Ösel festsetzen konnten. König Waldemar kehrte unverrichteter Dinge wieder heim, aber der begleitende Erzbischof Andreas von Lund setzte mit zwei Proviantschiffen, dem Bischof Nikolaus von Schleswig und einigem Gefolge nach dem benachbarten Riga über und verbrachte dort den Winter.


Um 1200 vor der deutschen Gründung von Riga: Stammesfürstentümer und das Fürstentum Polock (Polozk) als Machtfaktor östlich von Livland

Bischof Albert, der kurz darauf in Riga eintraf, fand nun eine Milicia Christi vor, die an ihm mit der Forderung auf ein Drittel Livlands heran trat und dieses Verlangen unaufhörlich mit größtem Nachdruck wiederholte. Doch militärisch hätten die Schwertbrüder ihre Wünsche gegen den Bischof damals kaum durchsetzen können, weil Albert wieder genügend Pilger mitgebracht hatte. Ihre Forderung zielte auf einen ein für allemal festzusetzenden Anteil von einem Drittel an allen vergangenen und künftigen Eroberungen und war, gemessen an ihrem militärischen Einsatz und ihrer anwachsenden Zahlenstärke, durchaus nicht unvernünftig hoch. Für Livland selbst wurde die Dreiteilung zugestanden, doch nicht das ganze Livland ließ Albert teilen, sondern nur die Gebiete der Aa-Liven und die Landschaft Metsepole. Faktisch hätte Albert sicherlich sofort ganz Livland teilen können. Dass er es dennoch nicht tut, enthüllt eine Engherzigkeit, die bei allem, was wir über die politisch rechnende Art Alberts wissen, nur aus dem geheimen Bestreben erklärt werden kann, die Schwertbrüder künftig auch hier mit Brosamen abzuspeisen. Alles war auf Zeitgewinn abgestellt. Von den drei Teilen, die der Orden auf bischöfliches Ersuchen aus dem nördlichen Livland bildete, wählte Albert die Landschaft Treiden rechts der Aa, der Orden die andere Hälfte der Aa-Liven, die „pars Dabrelis". Dem Bischof blieb als sein zweites Drittel Metsepole.

Für den Orden war der wichtigste Schritt auf dem Wege zu seinem Ziel erreicht, das in den nächsten Jahren immer deutlicher hervortrat. Dem Beispiel der anderen, größeren Ritterorden folgend, erstrebten auch die Schwertbrüder von nun an die weitestgehende Autonomie. Wie die Templer einst nach den ersten Jahren ihres Bestehens die Abhängigkeit vom Patriarchen von Jerusalem gelöst und die unmittelbare Unterstellung unter den Papst mit weitgehenden Sonderrechten gegenüber der bischöflichen Diözesangewalt im ganzen Abendland errungen hatten, so wollten sich auch die Schwertbrüder von allen Bindungen außer denen an eine der beiden höchsten Gewalten, Papst und Kaiser, befreien. Mit dem zunächst noch kleinen livländischen „dominium" des Ordens schien dafür die beste Voraussetzung geschaffen. Von hier aus konnte man unabhängig weiter operieren, ja, eine so günstige Ausgangsbasis hatten einst nicht einmal die großen Ritterorden gehabt. Im Gegensatz zu den anderen Ritterorden standen die Schwertbrüder im Heidengebiet in völligem Neuland und so entstand schließlich der erste Ordensstaat der Geschichte.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Der Ordensstaat der Schwertbrüder

Beim inneren Aufbau seines Herrschaftsgebietes ging der Schwertbrüderorden ähnliche Wege wie der Bischof von Riga. Die gesellschaftliche Schichtung der Neubekehrten und ihre herkömmliche politisch-herrschaftliche Ordnung blieb im wesentlichen unangetastet. Abgesehen von gewissen Neuerungen, z. B. im Eherecht, die durch die kanonischen Bestimmungen notwendig wurden, gab es bei den Liven weiterhin ihre alten Einrichtungen, so die „seniores terre", die Landesältesten, wie Dabrel, die über ihre Burgen geboten. ferner die einfachen Ältesten auf den Dörfern und die Gemeinfreien, die Masse der persönlich freien Bauern auf ihrem ererbten Landbesitz mit Haus, Hof und Gesinde. Nicht einmal die meist aus den Gefangenen früherer livischer Beutezüge stammende Schicht der Drellen (=Sklaven) wurde beseitigt.

Über der unveränderten Struktur der Livenbevölkerung erhob sich jetzt aber als Neuschöpfung das Gefüge des Ordensregiments. Von drei Mittelpunkten aus wurde das kleine Schwertbrüderland verwaltet, vom Ordenshof Riga, dem Sitz des „magister superior", und von zwei neu geschaffenen Provinzialmeistersitzen; alle drei waren Konventsburgen, also Sitze von je einem Ritterkonvent, der in der Regel aus mindestens zwölf Ritterbrüdern und einem „Meister" (Provinzialmeister) bestand.

Das Amt des Provinzialmeisters, in den Quellen einfach „magister", entsprach wohl im wesentlichen dem des Provinzialkomturs beim Templerorden, der ein Provinzialmeisteramt nicht kannte. Nach der Templerregel hatte ein Provinzialkomtur ein Gefolge von neun Mann und neun Reittieren, die Aufsicht über den Schatz seiner Häuser, das Kleiderdepot und die Burgbesatzungen, konnte mit Kapitelbeschluss des Provihzialkapitels alle Beamten seiner Provinz ein- oder absetzen und bewilligte den Burgvögten deren Anträge auf benötigte Gelder für Anschaffungen. Der Provinzialkomtur durfte aber Ausgaben nur mit Wissen des Ordensmeisters vornehmen. Auch für Turnierspiele, Aderlässe, Pferderennen mussten die Brüder seine Genehmigung einholen. Jeder Provinzialkomtur des Templerordens führte ein eigenes Siegel, das gleiche ist daher für die Provinzialmeister der Schwertbrüder anzunehmen.


Burg Segewold, einer der wichtigsten Hauptsitze der Schwertbrüder

Der eine neue Meistersitz wurde in ein vom Orden vor 1209 gebautes neues Kastell am linken Aaufer gegenüber von Treiden gelegt. Diese Burg Segewold war damit der livischen Hauptburg dieses Landesteils Sattesele, unmittelbar benachbart und lag im Zentrum des livischen Ordensdrittels. Der zweite Provinzialmeistersitz wurde die kleine Heidenburg auf dem Nußberg beim späteren Wenden. Sie gehörte dem hierher versprengten kleinen Volkssplitter der neugetauften Wenden, der im 12. Jahrhundert zeitweise an der Windau und auf der Stätte des späteren Riga gesiedelt und sich dann im livisch-lettischen Grenzgebiet mühsam behauptet hatte. Das Schutzbedürfnis dieser kleinen Volksgruppe bot dem Orden begreiflicherweise sehr günstige Niederlassungsbedingungen in der schon vorhandenen Holzburg. Jede dieser Meister- und Konventsburgen war zugleich mit ihrem Burggebiet eine Verwaltungseinheit der Ordensherrschaft und daneben auch eine wirtschaftliche Einheit innerhalb der Finanzverwaltung des Ordens. Die Konvente bildeten auch Unterabteilungen des Ordensheeres.


Die Burg Wenden im alten livländischen Wenden. Zuvor befand sich eine Holzburg an diesem Ort, die von den Schwertbrüdern durch diese Burg aus Stein ersetzt wurde (1218-1224)

Die kleine Territorialherrschaft hatte vor allem drei Aufgaben zu erfüllen: Mission, Rechtsschutz und Landesverteidigung. Diesen Zwecken dienten auch die Pflichten, die der neubekehrten Bevölkerung auferlegt wurden. Sie hatte den Zehnt zu zahlen, das bedeutete eine Abgabe von einem Schiffpfund Korn jährlich (rund 158 kg) vom Haken, und einen Zehnt vom Vieh, Honig und andern Landeserzeugnissen. Diese im Grunde rein kirchliche Abgabe war damals in ganz West- und Mitteleuropa gebräuchlich.

Von den Zehnteinnahmen musste der Orden den Unterhalt der Pfarrer (anfangs wohl höchstens zwei) und der deutschen Burgbesatzungen bestreiten. Selbst bei sparsamer Lebensführung kann er damit zu dieser Zeit nicht mehr als etwa 80 bis 100 Schwertbrüder - Ritter und Diener zusammengenommen - unter den Waffen gehalten haben; das war im Anfang sein ganzes, auf die drei Burgen verteiltes stehendes Heer. Im Kriegsfalle konnte diese Truppe durch das Aufgebot der Liven vermehrt werden, das um 1207 im Ordensland erst etwa 250 Mann betragen haben kann. Die Liven waren verpflichtet, dem Wehraufgebot Folge zu leisten. Sie mussten außerdem im Bedarfsfall Dienste beim Burgen- und Kirchen-, Wege- und Brückenbau leisten.

Der Orden konnte mit seinen geringen stehenden Kräften nicht alle Anforderungen bewältigen. Schon früh ist die Ordensleitung daher dazu übergegangen, sich unter den Einheimischen eine Schicht zuverlässiger Dienstmannen heranzubilden. Noch vor 1209 belehnte Meister Wenno so den Liven Maneginte und dessen Familie mit Besitz in Ydowe beim späteren Lemburg. Solche kleinen Dienstlehen, verpflichteten Belehnten zu bestimmten Leistungen wie ständiger Waffenbereitschaft, Nachrichtendiensten oder ähnlichem.

Um seine bei den geringen Einkünften angespannte Wirtschaftslage zu verbessern, schritt der Orden auch bald zur Anlage der ersten eigenen Wirtschaftsbetriebe. Die erste Gelegenheit bot sich dazu in der allen Livländern zur Rodung freigegebenen Wildnismark rund um Riga. Hier erbauten die Schwertbrüder vor 1208 oberhalb von Riga an einem kleinen Nebenbach der Düna die Bruder Bertolds-Mühle, die durch einen steinernen Wartturm geschützt wurde und gleichzeitig den Zugang von Holme nach Riga deckte. Gegenüber der Nordspitze der Dünainsel Dahlen, auf der Bischof Albert den Vasallen Johann von Dolen belehnt hatte, entstand vielleicht schon bald nach 1207, jedenfalls vor 1226, das Allodium Blomendal des Ordens, ein Wirtschaftshof, der vermutlich vor allem der Viehhaltung diente und mit kriegsgefangenen Eigenleuten bewirtschaftet worden sein könnte. Insgesamt war das neue Ordensland noch recht klein und wird damals kaum 5000 Einwohner gezählt haben. Seine Geschlossenheit und seine für das Zeitalter des Lehnswesens verhältnismäßig straffe Verwaltungszentralisation ließen aber bereits deutlich werden, dass hier im Heidenland ein Machtgebilde entstanden war, das im Dienst einer zielbewussten Politik bald Bedeutung gewinnen konnte. Auch Bischof Albert, dessen Herrschaft noch fast dreimal so groß war, bekam das rasch zu spüren.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder
https://www.noz.de/lebenswelten/reisen-f...ltikum-40044500

1207/1208: Kampf gegen die Litauer

Kurz vor Weihnachten überschritt ein litauisches Heer nachts die Düna und fiel am 24. Dezember 1207 brandschatzend ins Treidener Bischofsgebiet ein. Es war die späte Antwort auf den Überfall der Schwertbrüder auf die Litauer bei Rodenpois im Jahr 1205. Zum erstenmal seit der Taufe erging das Landesaufgebot. Der Aufmarsch der Livländer wurde nach Lennewarden angesetzt, um rasch genug in der Rückzugslinie der Litauer zu stehen. Trotzdem konnte der bischöfliche Heerbann, zu dem außer Alberts Dienerschaft, Pilgern, Vasallen, Kaufleuten, Liven und den Letten von Ydumea auch der Orden gehörte, das nächtliche Entweichen des Gegners über die Düna nicht verhindern. Erst bei Ascheraden wurden die Litauer am folgenden Tage gestellt und in heißem Kampf geschlagen. Die gefangenen Livenfrauen und Kinder wurden befreit, die Beute zurückgewonnen.

An Nord- und Ostgrenzen des getauften Landes herrschte Ruhe; alles sprach daher jetzt dafür, mit den vorhandenen Kräften künftigen litauischen Einfällen einen Riegel vorzuschieben. Nach der militärgeographischen Lage konnte das nur auf eine Sperrung der Dünalinie hinauslaufen. Die untere Düna war durch die Befestigungen von Riga, Holme, Üxküll und Lennewarden hinreichend gedeckt, das weitere Vorfeld sicherten ohnehin die verbündeten heidnischen Semgaller. Gefahr bestand aber südostwärts des Livengebietes. Hier lagen drei wichtige Stromübergänge, jeder durch eine Burg gedeckt. Der Herr der einen war der russische Kleinfürst Vjacko von Kukenois. Mit den Herren der beiden andern Burgen Gercike und Seiburg hatten die Litauer Bündnisverträge hergestellt und sich so zwei ausgezeichnete Einfallstore ins Letten- und Livengebiet geschaffen.

In die Südrichtung wiesen außer reinen Verteidigungsgründen auch die Belange einer wichtigen Personengruppe, nämlich der frühhansischen Kaufleute. Ihre Flotten und Geldmittel hatten zum Gedeihen der Mission
Unentbehrliches beigetragen, es war daher nicht mehr als billig, dass die Livländer nun auch für die Wiedereröffnung des gestörten Dünahandels alles in ihren Kräften Stehende taten. War doch die Düna die Hauptschlagader des ostbaltischen Verkehrs, auch hing von dieser Handelslinie ab, ob das noch unbedeutende Riga zu einer wichtigen Handelsstadt aufblühen konnte oder nicht. So geriet zuerst das kleine Fürstentum Kukenois in den Schnittpunkt deutscher und litauischer Stoßrichtungen.


Kukenois als späteres deutschen Kukenhusen - Die Ruine ist die von Schwertbrüdern unter Albert errichtete Burg. Sie ersetzte die vormalige hölzerne Burg der Letten am Zusammenfluss von Düna und Pērse.

Hilfe aus Polock war für den Fürsten Vjacko offenbar nicht zu erwarten, gerade in den Jahren 1207-1211 zeigte Vladimir von Polock eine bemerkenswerte Untätigkeit gegenüber dem Vordringen der „Lateiner" an der unteren Düna. Polock litt wohl wieder, wie schon vor 1201 und später, nach 1216 unter litauischem Druck auf sein eigenes Kerngebiet. Vjacko von Kukenois mußte deshalb Anlehnung an Deutsche oder Litauer suchen. Nach dem 10. Juni 1207 weilte er längere Zeit in Riga und ließ sich endlich dazu bewegen, einen Bund mit Bischof Albert zu schließen, in dem er dem Rigenser eine Hälfte seines Gebiets gegen Zusendung von Waffenlieferungen und einer deutschen Hilfstruppe überließ. Hiermit waren die deutschen Abwehrmaßnahmen gegen den südlichen Gegner schon vor dem Einfall der Litauer eingeleitet.

Noch im Winter 1207/8 beschlossen die Livländer, auch das zweite Einfallstor in der Dünalinie zu verschließen. Bald nach dem Gefecht von Ascheraden rückte das Landesaufgebot, an dem auch der Orden teilnahm, wiederum dünaaufwärts und bezwang die Hauptburg der Selen. Die Operation stand nach dem Bericht Heinrichs unter Leitung von Propst Engelbert und Abt Dietrich, aber sachliche Erwägungen sprechen doch für eine militärische Führung durch erprobte Kriegsleute, in erster Linie den Vogt der Pilger und den Ordensmeister Wenno. Auch hier war das Ergebnis ein Bündnis gegen die Litauer; die Selen gaben Geiseln und gelobten, sich taufen zu lassen.

Reibereien zwischen den Mannen des Bischofsvasallen Daniel von Lennewarden und den Leuten des Fürsten Vjacko hatten einen kecken Handstreich der Lennewarder auf die russische Burg und die Gefangennahme des Fürsten zur Folge. Alberts Eingreifen, seine zu Ostern dem Fürsten durch Ehren und Geschenke in Riga geleistete Genugtuung konnten das Unheil nicht wieder gutmachen. Vjacko sann insgeheim auf Rache. Als er den Bischof mit dem großen Pilgerheer auf dem Seeweg nach Deutschland glaubte, überfiel er die ihm zum Ausbau seiner Burg zugesandten zwanzig Deutschen, als sie gerade die Waffen abgelegt hatten, um Steine zu brechen. Nur drei entrannen lebend dem Gemetzel. Dann erfuhr der Fürst, dass die Pilger noch in Livland standen. Er gab seine Sache verloren, verbrannte Kukenois und floh mit einigen Anhängern nach Russland, andere wurden beim folgenden Vergeltungszuge der Livländer aufgespürt und hingerichtet.

Vester von Terweten schlug nun eine gemeinsame Angriffsaktion gegen Litauen vor. Trotz großer Bedenken stimmte der livländische Kriegsrat endlich zu, eine kleine Freiwilligentruppe zu dem Angriff auszusenden. In die Kämpfe im Süden Livlands kam damit ein neuer Zug. Zum ersten mal sollte der litauische Gegner in seinem eigenen Gebiet angegriffen werden. Hier verfügten die Livländer noch über keinerlei eigene Geländeerfahrungen. So konnte es ganz vorteilhaft sein, dass man mit den dort sehr kundigen Semgallern marschierte. Bei der geringen Größe des deutschen Kontingents, etwas mehr als 50 Mann, war von vornherein nur an einen schnellen Plünderungszug zu denken, der für spätere Feldzüge wertvolle Erkenntnisse bringen konnte. Unter den Rittern und Schützen befanden sich auch einige Schwertbrüder. In Semgallen vereinigten sich die Deutschen mit dem großen Heer ihrer Verbündeten. Das Angriffsziel, über das keine näheren Ortsangaben überliefert sind, kann nach dem Befund der Siedlungsgeographie nur eine der beiden litauischen Siedlungszungen bei Schaulen oder am Nevežis gewesen sein. Man fand die Dörfer geräumt, die Bewohner mit der Habe geflohen, man musste Augenblick mit einem litauischen Angriff rechnen. In aller Eile sammelten sich die Verbündeten und traten den Rückzug an.

Die Deutschen lernten unversehens eine ihnen unbekannte Kampfweise kennen. Der Gegner umschwärmte das schwerfällig durch die Wildnis dahinziehende Heer plötzlich mit leichter Reiterei und stiftete durch kurze, rasche Angriffe Nervosität und Verwirrung. Es gab Ausfälle durch Lanzen und Schleudergeschosse. Die Deutschen wussten keine bessere Gegenmaßnahme als den engen Zusammenschluss ihres kleinen Trupps zu einem Keil, der die Nachhut bilden und die Semgaller decken sollte, deren Widerstandswille schon erlahmte. An der plötzlich ausbrechenden Panik unter dem Aufgebot der Bundesgenossen konnte das nichts mehr ändern. In wilder Flucht stob das semgallische Heer auseinander; die allein zurückbleibenden Deutschen erlagen nach tapferem Kampf der Übermacht. Nur ein Teil entkam nach Riga, die andern wurden erschlagen oder gefangengenommen.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Der Fall von Gercike und Autine

Das missglückte Unternehmen gegen die Litauer 1208 stellte einen militärischen Wendepunkt im Süden dar. Die Livländer hatten zum ersten Mal eine Niederlage erleiden müssen. Es zeigte sich, dass man auf einen Feind gestoßen war, der im Schutz seiner geographischen Lage zu bedeutenden Leistungen fähig war und nicht so leicht niedergeworfen werden konnte, wie die bisherigen Gegner. So wurde der Kampf an dieser Seite Livlands in Zukunft fast rein defensiv geführt. In seinem zunächst sechzehnjährigen Verlauf, in dem es nur wenige Pausen gab, kamen nur noch zwei kleinere livländische Vorstöße nach Litauen in den Jahren 1209 und 1213 zustande, die mehr Ablenkungsstöße oder Grenzkämpfen, als regelrechten Angriffen glichen. Im übrigen gelang es nicht einmal, die Dünalinie fest zu verschließen. Die fast alljährlich angreifenden Litauer erzielten mehrfach tiefe Einbrüche nach Livland, Lettgallen und Estland.

Gewiß trug zu der defensiven Haltung der Livländer das Aufflammen neuer Kämpfe im Norden bei. Aber auch während der dreijährigen Waffenruhe im Norden zeigte sich, dass die Heerführung in Riga größere Angriffe durch die selonisch-semgallische Grenzwildnis mit ihren langgedehnten Verbindungslinien (bis zu 140 km) damals noch nicht für angebracht hielt. Man beschränkte sich deutscherseits auf die alten Versuche, die Dünalinie zu sichern.


Die Wikingerwallburg Gercike an der Düna, sie wurde von Bischof Alberts Pilgerheer erobert


Gercike von der Düna aus gesehen - Ihr Name ist altnordischer Herkunft und bedeutet soviel wie Geris Sieg - Geri ist einer der Odin begleitenden weißen Wölfe

1209 traf Bischof Albert wiederum mit Pilgern in Livland ein, rückte bis Kukenois vor und ließ dort anstelle der verbrannten russischen eine steinerne deutsche Burg Kokenhusen erbauen. Sie bildete fortan den südöstlichen Eckpfeiler der deutschen Dünastellung, ein Drittel von ihr und dem zugehörigen ehemaligen Fürstentum sollte dem Orden gehören. Ob der Orden vor 1211 wirklich schon seinen Besitz antreten konnte, ist nach dem Wortlaut einer Teilungsurkunde von 1211 zu bezweifeln. Zwei lettische Heerhaufen deckten den Burgbau mit Ablenkungsstreifzügen nach Litauen. Noch vor dem Herbst des gleichen Jahres wurde auch der Angriff auf das benachbarte Fürstentum Gercike beschlossen, dessen Jarl Vissewald ein Wikinger war und mit seiner litauischen Gemahlin im Bunde mit dem Gegner stand. Der Zug war erfolgreich, die Burg wurde erstürmt. Zwar konnte Vsevolod fliehen, mußte aber, um die gefangene Fürstin und die Gefangenen auszulösen, nach Riga kommen und sich unterwerfen. Er hatte dem Bischof sein Fürstentum aufzutragen und empfing eine Hälfte als Fahnenlehen zurück, die andere, vor allem das Land nördlich der Ewst, verblieb dem Bischof von Riga. Außerdem musste sich der Fürst zum Bündnis mit Riga gegen die Litauer verpflichten.

Die Lehnsabhängigkeit des Restfürstentums Gercike ist im folgenden Jahrzehnt fragwürdig geblieben, erst von 1224 an konnten die Livländer ihren Einfluß auch südlich der Ewst verstärken. Bis dahin gab es immer wieder Verbindungen Vsevolods mit Litauen, 1214 und 1215 sogar offene Kämpfe mit den Deutschen. Unter dem Eindruck all dieser Vorgänge ist es 1210 und endgültig 1212 zu einem Frieden zwischen Riga und Polock gekommen. Sicherten die Livländer dem Fürsten Vladimir in dem ersten Abkommen noch den alten livischen Tribut zu, den er in der Zeit seiner Oberhoheit vor 1200 erhalten hatte, so musste Polock 1212 auch hierauf verzichten.

Als die deutsche Einflußsphäre sich im Winter 1206/7 bei Wenden bis an die Grenzen der Landschaft Tolowa vorschob, wurden die Neuankömmlinge von den Lettgallern mit großen Hoffnungen begrüßt. Die russische Tributherrschaft lag unvermindert auf den Lettgallern, ohne sie doch hinreichend durch Hilfe gegen die feindlichen Liven und Esten zu entschädigen. Da musste die Bezwingung der Liven durch die Kreuzfahrer als Entlastung empfunden werden. Schon 1200 war eine deutsche Kaufmannskarawane durch Tolowa und Adsel nach Pleskau gefahren und dabei von einer estnischen Streifschar auf lettgallischem Gebiet ausgeplündert worden. Deutsche Klagen über den hohen Verlust - sie betrugen 900 Mark Silber - wurden von den Esten nicht beachtet. Das stellte eine erste deutsch-lettische Interessenverbindung her. Viele Letten hofften, "von den Deutschen befreit und geschützt zu werden", seit Livland unter Bischofs-' und Ordensherrschaft stand. Den Schutz übernahm die Ordensburg auf dem Nußberg, die war zudem von drei Seiten von lettgallischem Siedlungsraum umgeben. Sie befand sich nahe den wichtigen lettischen Gaumittelpunkten Autine, Beverin, Tricatua und Sotecle, was sie wiederum befähigte Livlands östliches Vorland zu beobachten.

Die Schwertbrüder saßen noch kaum ein halbes Jahr in Wenden, als auch schon die Pleskauer Russen besorgte Blicke auf ihr Tributgebiet Tolowa richteten. Offenbar hatte der Orden schon missionierend in Aiutine Fuß gefasst, denn im Sommer 1208 erschien der dort herrschende Lettenälteste Waridote bereits im Bunde mit dem Provinzialmeister von Wenden. Autine stellte das territoriale Bindeglied zwischen Ordenslivland und Wenden her. Aus strategischen Gründen ist daher verständlich, dass die Schwertbrüder die Mission zuallererst hier ansetzten. 1213 ging der Burgbezirk endgültig in Ordensbesitz über. Autine gehörte zuvor zur Herrschaft des Wikingerfürsten von Gercike. Es war ein erstes Symptom für den Zerfall dieses Fürstentums, dass die Letten lautlos aus dieser Herrschaft zu den Deutschen überzugehen begannen. Eine der wichtigen Burgen in der Region Autine war die Burg Sarumkalns.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder
https://www.latvijas-pilskalni.lv/jersikas-pilskalns/

Feldzug gegen die Ugaunier

Noch im Sommer 1208 kam es zu einer Obereinkunft mit den Letten von Tolowa. Standen sie auch unter russischer Tributhoheit und waren der Ostkirche zugeführt worden, so konnte doch ein fester Interessenbund mit ihnen geschlossen werden, der diesen Lettgallern wegen der räumlichen Nähe der Deutschen schnellere Hilfe verbürgte als das ferne Pleskau. Auf diese Weise sicherten sich die Schwertbrüder durch Bundesgenossen einen großen Stärkezuwachs. Sie bauten ihn noch weiter aus, indem sie sich jetzt auch der Entschädigungsforderungen der frühhansischen Kaufleute mit ganz anderem Nachdruck annahmen als Bischof Albert im Vorjahr. Diese Fernhändler waren in Livland die finanzkräftigste Gruppe. Wer sie auf seiner Seite hatte, konnte fraglos auf Geldhilfe und weitreichende Beziehungen rechnen.


Odenpäh in Ugaunien

Eine aus Letten und Ordensleuten bestehende Gesandtschaft ging nach Ugaunien ab, um den Esten ihre Forderungen auf Schadenersatz zu unterbreiten. Ganz gleich, welches Ergebnis sie brachte, der Orden hatte in jedem Fall zu gewinnen. Leisteten die Ugaunier Genugtuung, so stieg das Ordensansehen. Lehnten sie ab, so erhielt der Orden Gelegenheit, den Friedensbruch mit der Waffe zu vergelten und dabei in Heidenland vorzustoßen, in dem ihm der Bischof von Riga nichts zu sagen hatte. Der Augenblick war günstig gewählt, Bischof Albert weilte in Deutschland und konnte erst ein halbes Jahr danach zurückerwartet werden. Die nachfolgenden Verhandlungen brachten nichts, die Ugaunier verweigerten Letten wie Deutschen jegliche Wiedergutmachung. Man trennte sich mit harten Worten.

Ein großes Aufgebot aus Livland und Lettgallen wurde nun nach Treiden versammelt, die Letten stießen wohl erst weiter nördlich dazu. An einem Tage im Spätsommer oder Frühherbst brach das Heer auf und zog das Aatal hinauf. Im ununterbrochenen Tag- und Nachtmarsch durchstieß es die Grenzwildnis und drang in Ugaunien ein. Der mit Unterbrechungen sechzehn Jahre lang dauernde Krieg um Estland hatte begonnen.

Die Livländer verheerten das Gebiet von Odenpäh, wobei die Burg in Flammen aufging. In den estnischen Gegenschlag, der die Lettenburgen Tricatua und Beverin nicht überwinden konnte, griffen auch die Esten der Landschaft Sakkala ein, so daß der Krieg sich sofort ausweitete. Ein Hilferuf erreichte den Ordensmeister Wenno nachts in Wenden, persönlich leitete er die Verfolgung des beutebeladenen Gegners. Einfallender Nachtfrost ließ die Pferde straucheln, man konnte dem Feind nur einen Teil der Beute abjagen.

Ein zweiter Einfall, den die Letten allein nach Sakkala unternahmen, machte durch seinen Angriffsplan das estnische Warnsystem wirkungslos. In einem einzigen Tag-und Nachtmarsch unterliefen die Letten die estnische Sicherung, so dass es zu einem besonders blutigen Verlust der in ihren Dörfern überraschten Sakkaler kam. Die Kraft der Südesten war schwer getroffen, aber auch auf livländischer Seite hatte es Verluste gegeben. Aufgebracht über die Verwicklungen im Norden, die seinem bischöflichen Herrn nur unlieb sein konnten, brachte der Vogt von Treiden, Hermann, eine einjährige Waffenruhe mit den Esten zustande. So endete der erste Waffengang ohne Entscheidung.

Ordensmeister Wenno wurde noch im gleichen Sommer zusammen mit seinem Kaplan vom abgefallenen Ordensbruder Wickbert mit der Doppelaxt auf einem Fest ermordet. Dem in die Georgskapelle flüchtenden Mörder wurde vom Orden das Asylrecht des Gotteshauses versagt. Nach gerichtlichem Urteil büßte Wickbert seine Untat mit dem Tod durch das Rad. Nachfolger von Wenno wurde Volkwin, der wohl einem Naumburger edelfreien Adelsgeschlecht entstammte. Im Kriege bewährte sich Volkwin als ein unerschrockener ritterlicher Streiter. In mindestens 19 Einsätzen, Feldzügen, Belagerungen und Schlachten hat er persönlich das Ordensheer und das livländische Gesamtaufgebot gegen den Feind geführt. In diesen Kämpfen erwarb er sich von allen Livländern die größten Kriegserfahrungen. Als Volkwin im Sommer 1209 sein Amt antrat, wartete gleichwohl eine Aufgabe politisch-diplomatischer Art auf ihn: die Auseinandersetzung mit dem Bischof von Riga.

Noch ehe es dazu kam, eröffnete nach Ablauf der Waffenruhe Meister Bertold von Wenden gegen Ende des Jahres 1209 durch einen heftigen Plünderungszug nach Ugaunien erneut den Kampf gegen die Südesten. Zu seinen Truppen zählten wiederum die Letten von Autine und der Lettenälteste von Sotecle, Russin, mit dem Bertold inzwischen eine persönliche, durch viele gemeinsame Unternehmen gefestigte Freundschaft verband. Um diese Zeit hatte Bischof Albert mit Pleskau schon einen Bund geschlossen, der durch die Ehe von Alberts Bruder, Theoderich von Bekeshovede, mit der Tochter des Fürsten Vladimir Mstislavic gefestigt wurde. Im Zusammenhang damit griffen Novgorod und Pleskau um den 1. März Ugaunien an und erzwangen in achttägiger Belagerung die tributäre Unterwerfung von Odenpäh, ohne aber dauerhafte Landgewinne zu behaupten.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

Riga in Not - Überfall der Kuren

Um den 18. April 1210 ging Bischof Albert an Bord der Pilgerflotte - wie es scheint, gemeinsam mit Meister Volkwin - und trat die Reise über Gotland nach Rom an. Später sollte sich zeigen, dass er auf dieser Reise diplomatische und militärische Vorbereitungen traf, um dem offen rivalisierenden Schwertbrüderorden in Estland zuvorzukommen. Über das Verhalten des Ordens liegen bis zum Juli keine Nachrichten vor. Dass er sich nicht beirren ließ, zeigt die Meldung einer weiteren Heerfahrt in das geprüfte Ugaunien, die Meister Bertold vor dem 13. Juli ausführte. Seit 1205 hatte sich der Zustand herausgebildet, dass Bischof Albert alle zwei Jahre ein größeres Pilgerheer nach Livland brachte. Die dazwischenliegenden Jahre waren für das Schiff der bischöflichen Macht wie Wellentäler, die der Orden ausnutzen konnte. Diesmal jedoch wurden die Hoffnungen der Schwertbrüder enttäuscht. Albert hatte richtig vorausgesehen, die Kraft des Ordens reichte für einen Alleingang gegen das mächtige Estland nicht aus. Noch dazu geriet Livland durch eine andere Gefahr fast an den Rand des Untergangs.


Das Kriegsgebiet Ugaunien und seine Entfernung zu Riga

Noch immer gab es eine heidnische Partei unter den Liven, die Christentum und Deutsche zugleich innig hasste. Sie hoffte auf eine Koalition aller Feinde Rigas, die angesichts der bestehenden Verzettelung der deutschen Kräfte beste Erfolgsaussichten hatte. Riga war erst ein kleines Städtchen von noch nicht 1000 Bewohnern, schwach befestigt und verteidigt. Die dort stehenden Kräfte bestanden nur aus einigen Bürgern, bischöflichem Gesinde, einer kleinen Pilgerschar des Vorjahrsheeres und geringen Teilen der noch nicht sehr viel vergrößerten Ordenstruppe. Die besten Truppen der Schwertbrüder mit ihren livisch-lettischen Hilfsmannschaften heerten im Juli gerade in Ugaunien.

Boten der unzufriedenen Livengruppe aus dem Bischofsgebiet an der Adia knüpften aussichtsreiche Verhandlungen mit den Kuren an, deren Flotte von den heimkehrenden Kreuzfahrern soeben vor Wisby in einem Akt der politischen Unklugheit gegen Alberts Willen angegriffen worden war. Bei den Russen und Semgallern hatte der Ruf der Liven dagegen keinen Erfolg. Die Kuren nutzten den Augenblick, als die zwei Koggen mit den noch zurückgebliebenen Pilgern abreisefertig in Dünamünde lagen und die Verteidigung Rigas dadurch noch weiter geschwächt war.

Am 13. Juli überfiel ein kurisches Heer die Stadt mit Übermacht. In eintägigem Kampf konnte der Schlag mit Mühe abgewendet werden, wobei die Ordensbesatzung einen wertvollen Beitrag leistete. Die Kuren hatten große Verluste und schlossen Frieden, aber um ein Haar wäre Riga, der wichtigste der acht deutschen Waffenplätze im Lande, verloren gewesen. Auch Frauen und Geistliche hatten auf der Mauer die Waffen führen müssen, als die Sturmglocke erscholl. Fast gleichzeitig war ein litauischer Angriff auf Kokenhusen gescheitert.

So groß die Gefahr gewesen war, sie hatte für die kirchliche Sache doch auch ihr Gutes. Sie brachte die Deutschen zur Besinnung und einte ihre Kräfte. Gleich nach der Kurenbelagerung bahnten sich die Verhandlungen des Ordens mit den Bischöflichen an, trotz Alberts Weisungen gemeinsam zu handeln. Nach dem Abwehrerfolg von Riga rückte Bertold von Wenden mit Unterstützung bischöflicher Kräfte wiederum nach Ugaunien ein, eroberte im Handstreich Odenpäh und verbrannte die Burg zum zweitenmal.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder

1211: Fellin wird erobert

Der Estlandkrieg trat mit der Zusammenfassung der livländischen Kräfte in ein neues Stadium. Wie es scheint, hatte der Orden den Bischöflichen für ihre Hilfe auch Zugeständnisse machen müssen. Anders ist die Ausweitung des Krieges auf die Strandlandschaften der Wiek in Nordestland unverständlich, die in die bisherigen Kämpfe von sich aus nicht nennenswert eingegriffen hatten. Da der Orden Ugaunien, ja auch Sakkala für sich allein gewinnen wollte, hat er den Bischöflichen wohl Kompensationen in der Wiek zugesagt, wie er sie noch später nachweislich anerkannte. Mit dieser Ausdehnung des Kampfschauplatzes zu einer Zeit, als weder Ugaunien noch Sakkala wirklich besiegt waren, zog aber eine neue Belastung der Livländer herauf. Sie wurde nicht wesentlich durch das Bündnis Bischof Alberts mit den Russen von Pleskau gemildert, wenn dieses jetzt auch dem Orden sogar zugute kam.

Für die Esten drohte nun der Verlust althergebrachter heidnischer Sitten und die Stammesunabhängigkeit, das ganze Land wurde nun durch die Priesterkasten in Aufruhr gesetzt. Die kirchlich-deutsche Seite glaubte nach all ihren Erfahrungen, einen dauerhaften Frieden nur erreichen zu können, wenn das Heidentum ausgeschaltet wurde. Und ein Dauererfolg würde nur eine stehende abendländische Rittermacht im Lande garantieren. Den Esten war das alles bewusst, sie lehnte eine Oberherrschaft Rigas ab und schritten zur Tat. Die Südesten überfielen das Land um Wenden und belagerten vier Tage lang die Burg. Eine danach den beutebeladenen Esten folgende Vorausabteilung des livländischen Entsatzheeres geriet an der Ymera auf Grund irreführender Nachrichten der Späher in den Hinterhalt der estnischen Übermacht. Trotz tapferen Kampfes unter der Führung des Ordensbruders Arnold, der hier wieder einmal den Angriff führte, wurde das kleine Häuflein verlustreich geschlagen; auch der Live Bertold, Sohn des berühmten Kaupo, war unter den Toten. Vierzehn Gefangene wurden von den Esten teils verbrannt, teils hieb man ihnen blutige Kreuze in den Rücken, bevor man sie erschlug, so in grimmiger Weise das rote Pilgerkreuz nachahmend.


Ende März 1211 wurde Fellin von den Deutschen erobert

Der benannte Ordensbruder Arnold war zuvor in Polock einen Vermittlungsfrieden mit Fürst Vladimir gegen einen Liventribut erreicht. Die deutsche Herrschaft an der Düna wurde aber so bestätigt. Im Rücken frei, konnte sich nun der deutsch-livländische Vorstoß gegen Norden ungehemmt entfalten. Sobald Weihnachten nahte und Frost einfiel, erging von Riga aus das allgemeine Wehraufgebot. Eine sehr große russische Abteilung aus Pleskau zog den Livländern zu Hilfe. Längs dem Meer rückte das Heer in das völlig überraschte Sontagana ein. Als taktische Besonderheit dieses Vorstoßes ist überliefert, dass berittene schnelle Truppen die estnischen Kundschafter ausschalteten, indem sie mit ihnen zugleich die ungewarnten Dörfer erreichten. Die Ergebnisse waren vernichtend, allein drei Burgen wurden erobert und verbrannt, die Beute war umfangreich.

Unangefochten erreichten die Livländer nach einigen Tagen wieder ihr Gebiet. Ein Vergeltungsangriff der Wiekesten gegen die livische Landschaft Metsepole brachte zwar der livländischen Seite ebenfalls Einbußen, konnte aber den für den Orden wichtigsten Teil des deutschen Gesamtplans nicht verhindern, nämlich einen entscheidenden Schlag gegen das Zentrum von Sakkala, die Hauptburg Fellin. Noch vor der Ankunft Alberts im Frühjahr wollten die Schwertbrüder den durch Angriffe geschwächten Widerstandswillen der Südesten an dieser Stelle brechen und einen ersten Unterwerfungsvertrag erzwingen.

Vor dem 25. März 1211 marschierte das livländische Heer in Sakkala vor und schloss Fellin von allen Seiten ein. Leichte livische und lettische Scharen durchstreiften das umliegende Land, um das Belagerungsheer mit Vorräten zu versorgen. Ein erster Angriff auf das gut verteidigte Burgtor endete für die Deutschen verlustreich, mehrere Ritter fielen, die Rüstungen wurden von den Esten erbeutet. Eine Aufforderung zur Übergabe unter der Bedingung der Taufe lehnte die Burgbesatzung ab. Es kennzeichnet die alttestamentliche Härte dieser Vorgänge, daß der Lettenälteste Russin einige estnische Gefangene, deren Freigabe man im Fall der Kapitulation in Aussicht gestellt hatte, vor den Augen der Belagerten niederhauen ließ. Unter dem Höhnen der Esten begann nun der regelrechte Belagerungsangriff. Pfeilschauer der Bogenschützen hielten die estnischen Verteidiger auf der Brustwehr nieder und fügten ihnen Verluste zu, während Liven und Letten den Graben mit Holz füllten und eine andere Gruppe einen fahrbaren hölzernen Wandelturm zimmerte18. Ein heftiges Hin und Her entbrannte um das sich im Graben türmende Holz, herabfahrende estnische Schlitten mit Feuerbränden suchten es zu vernichten, aber mit Schnee- und Eiswürfen wurde der Brand von den livisch-lettischen Mannschaften gelöscht; die Geschosse der Verteidiger kosteten auch manchem Belagerer das Leben, unter anderen fiel auch der bewährte Ordensbruder Arnold.

Unterdessen hatten die Deutschen ein kleines Schleudergeschütz zusammengesetzt. Im Tages- und Nachtbeschuss zerbrachen Teile des hölzernen Bollwerks der Burg Fellin und vor allem die auf die Steilwürfe einer solchen Waffe gar nicht berechneten Häuser im Innern. Viele der Esten waren gefallen, Vieh in der Burg wurde in großer Menge getötet. Vom vorgeschobenen Turm aus sandten Letten und Armbruster ihre Lanzen und Bolzen auf die Angriffsstelle. Am fünften Tag eröffnete endlich der bischöfliche Vasall Eilard von Dolen den Sturm. Über das bis zur Höhe des Plankenwerks getürmte Holz gelang der Überstieg, gerüstete Deutsche folgten, lösten die Planken der Verschanzung, stießen aber auf eine zweite innere Linie, die nicht genommen werden konnte. Stein- und Holzwürfe der Esten von dieser zweiten Linie warfen die Angreifer wieder hinaus. Ein angelegtes Feuer konnten die Verteidiger durch Lösen der brennenden Planken unwirksam machen und die Bresche am nächsten Morgen wieder schließen. Dennoch hatte der Kampf sie erschöpft; die meisten Überlebenden waren verwundet und litten unter Wassermangel. Am sechsten Tage kapitulierte Fellin unter der Bedingung der Taufe, was zugleich Anerkennung einer livländischen Oberhoheit bedeutete. Während die Felliner Ältesten Geiseln stellten, besprengten die Priester Menschen und Gebäude mit Weihwasser und unterwiesen die Esten in der christlichen Lehre; die Taufe wurde wegen des vorangegangenen Blutvergießens auf die Zukunft verschoben. Dann rückte das Heer aus Sakkala ab.

Die erste Eroberung von Fellin erwies sich allerdings nicht als der durchschlagende Erfolg, den der Orden bis zur Ankunft des Bischofs zu erringen hoffte. Um den 3. April nach Estland gesandte Unterhändler, die einen allgemeineren Frieden vorschlagen, zugleich aber die Pläne des Gegners erkunden sollten, meldeten die Vorbereitungen des estnischen Gegenangriffes. Es half Bertold von Wenden und den Seinen wenig, dass sie noch einmal eine Heerfahrt, diesmal in den Grenzgau von Sakkala, ausführten, die Initiative ging jetzt auf das überlegene estnische Gesamtaufgebot über, das zu einem Großangriff auf Livland ausholte.

Primärquelle: Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder