Ohne Varusschlacht in eine römische Zukunft - Die Germania Magna als römische Provinz


Im Vorfeld zur Varusschlacht im Teutoburger Wald ist es doch so gewesen: Tiberius hatte den Befehl in Germanien und schuf dort durch eine kluge Politik eine prorömische Stimmung. Die Elbe als neue Reichsgrenze wurde anvisiert, war aber noch lange keine gesicherte Grenze. Zudem fehlten auch unter Kaiser Augustus entsprechende Pläne, die Germania Magna als römische Provinz dem Reich anzuschließen. Arminius gehörte zudem zum Gefolge des Tiberius und war von ihm und der römischen Lebensart beeindruckt.

Ein Illyreraufstand brach jedoch los und Kaiser Augustus berief ausgerechnet Tiberius ab und ersetzte ihn durch den unfähigen Varus, der von Beginn seines Auftretens an, das prorömische Fundament zerstörte. Er brachte also dort, wo er wirkte die barbarischen Stämme gegen sich und so auch gegen Rom auf. Das alles kulminierte in der Varusschlacht, worauf Rom jegliche weitergehende Ambitionen rechts des Rheins zurückstellte oder gleich aufgab. Doch auch nach der Varusschlacht folgte keineswegs ein "Germanischer Befreiungskrieg", denn die Stammesbündnisse waren zu dieser Zeit immer nur fragil, der Verbündete heute konnte schon morgen dein Feind sein.


Arminius Erfolg war das Produkt einer verhängnisvollen Befehlskette von Kaiser Augustus. Bei einem in Germanien weiter wirkenden Tiberius wäre er nie auf die Idee gekommen, einen Aufstand gegen Rom zu organisieren und auch nur zu wagen.

Gegen Varus konnte Arminius auch nur ein zeitlich begrenztes Zweckbündnis schließen. Er hatte dazu nur wenige Tage Zeit, weil er ein Tischgast (!) im Lager des Varus war. Jeder barbarische Stamm dachte zudem nur an sich und war bestrebt nur sein eigenes Territorium weiter auszudehnen. Was man nicht halten konnte, wurde zum Ziel von Überfällen.

Was wäre also geschehen, wenn Tiberius durch andere Befehle in Germanien verblieben wäre, Augustus also selbst eine andere Abfolge der Geschichte einleitete, nur weil er an diesem Tag den Illyreraufstand nicht die nötige Aufmerksamkeit schenkte und jemand anderes als Tiberius gegen die Illyrer entsendete?


Ohne Varusschlacht, wäre die Germania Magna schrittweise zur römischen Provinz geworden - mit einschneidenden Auswirkungen auf die weitere Zukunft. Bis zu Weichsel (Vistula) war die Ausdehnung des Römischen Reiches möglich, wo die Römer noch die Nachfahren Ambronen angetroffen hätten.

Die Entwicklung war ziemlich vorhersehbar. Die Germania Magna hätte man mindestens bis zur Elbe-Saale-Linie dem Römischen Reich angeschlossen, womit die meisten Barbarenstämme Mitteleuropas innerhalb des Römischen Reiches gelebt hätten. Innerhalb von 150 Jahren wären diese vollständig romanisiert worden, in der Provinz wären dazu römische Städte entstanden, die man an das weiter ausgebaute, robuste römische Pflasterstrassennetz angeschlossen hätte.


Ohne Varusschlacht hätte der fähige Kaiser Germanicus auch keinen Rachefeldzug führen müssen, sondern sich allein der Festigung römischer Positionen in der Germania Magna widmen können.

In dieser Provinz wären dazu die wichtigsten und kampfstärksten Legionen ausgehoben worden, was das späte weströmische Heer belegt, dass im 4.und 5. Jahrhundert fast nur aus germanischen Söldnern bestand. Ausgehend von einer solchen Provinz, wäre sicher auch das Markomannenreich Teil des Römischen Reiches geworden. Dieser Zugewinn als römisches Reichgebiet hätte auf jeden Fall ausgereicht, das Römische Reich vor gefährlichen Barbareninvasionen abzuwehren, was seine Existenz wesentlich verlängert hätte. Eine deutsche Sprache hätte es natürlich nie gegeben, man hätte sich nur noch dem Vulgärlateinischen bedient. Dafür wäre auch keine Völkerwanderung zustande gekommen, man hätte sich in den weiteren Jahrhunderten in den angestammten Siedlungsräumen gehalten, weiterentwickelt und womöglich noch weiter ausgedehnt. Östliche Heidenstämme hatten ohnehin keine Kraft in ein solch gefestigtes Reich einzudringen. Die römischen Germanenlegionen hätten den Reichsbestand für viele weitere Jahrhundert gesichert, wobei der Übergang ins Mittelalter möglicherweise ohne größere Katastrophen vor sich gegangen wäre.

Wer war Varus?



Varus hinter seinen Legionären

»Das bartlose Gesicht mit der geraden Stirn, der großen, spit­zen Nase, den weit zurücktretenden Augen und dem blöden Zug um den Mund macht keineswegs einen bedeutenden oder auch nur angenehmen Eindruck. Und dieser erste Eindruck verstärkt sich sogar noch bei näherem Zusehen. Das breite Gesicht und der fette Hals lassen auf einen wohlbeleibten, phlegmatischen Herrn schließen, der sich weder geistig noch körperlich gern anstrengte.«

Das klingt wie ein Steckbrief, und etwas Ähnliches ist es auch, denn wer hier gesucht wird als »Bösewicht« und »Sün­denbock«, ist niemand anderes als Quintilius Varus: Wenn es auch höchst zweifelhaft erscheint, anhand eines fast 2 000 Jahre alten Münzportraits - und darum handelt es sich bei dem vorliegenden Zitat - das Charakterbild eines Menschen zu entwerfen. Historiker aller Richtungen haben ihm fast ausnahmslos schlechte Zensuren erteilt. Und wenn man es recht betrachtet, so nur, weil er eine Schlacht verlor. Keine gewöhnliche Schlacht, sondern eine sogenannte »welthistorische«, eine, die die Ge­schicke der Völker bestimmte.

Velleius Paterculus, der in Germanien als Reiteroffizier diente und dem Feldherrn persönlich begegnet war, qualifi­ziert ihn als einen Menschen ab, der »mehr an das Nichts­tun im Lager gewöhnt war, als am wirklichen Kriegsdienst im Feld«, dazu aus einer Familie stammte, die »mehr bekannt war denn vornehm«... In Wahrheit war Quintilius Varus weder ein besonderer Halunke noch ein besonderer Versager, sondern ein durch­schnittlich begabter hoher Verwaltungsbeamter, wie es sie im römischen Staatsdienst zu Dutzenden gegeben hat.

Bevor er nach Germanien kam, verwaltete er die Provinz Afrika, war dann Statthalter in Syrien, wo er schon einen der stärksten Heeresverbände des Reiches mit drei Legionen befehligte. Er löste damit Gaius Sentius Saturninus ab, der später in Germanien gegen das Markomannenreich Marbods mit einem Legionärsheer zog. Es muss nichts bedeuten, aber es fällt auf, dass Varus dem Sentius Saturnius nach Germanien folgte, weil Tiberius wegen dem Illyreraufstand für 3 Jahre ausfiel. Offenbar war Varus für Kaiser Augustus eine verwaltungstechnische Allzweckwaffe.


Kaiser Augustus (links) entstammt als rothaariger Mann dem Familien-Clan der Octavier, die wiederum Angehörige des römischen Ritterstandes waren (Equites)

In der Porvinz Syria war er politischer Berater des Herodes in Judaea und an dem Prozess gegen dessen Sohn Antipatros maßgeblich beteiligt und sorgte bei den ausbrechenden Revolten nach dem Tod des Herodes für Ruhe und Ordnung. Varus fungierte eine Zeitlang als politi­scher Berater des Königs Herodes, schlug nach dessen Tod den Aufstand der Juden nieder und besetzte Jerusalem. Den Er­gebnissen der neueren Forschung zufolge war es die Zeit, »da ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass in alle Welt geschätzt würde«, und der Zimmermann Joseph aus Nazareth mit seiner Frau Maria nach Bethlehem zog.

Jesus Chri­stus wurde demnach noch unter der Statthalterschaft des Va­rus geboren und damit war er einer der vielen Geburtshelfer des Christentums! Denn was wäre gewesen, wenn die Legionen des Varus in der Provinz Judäa nach der Jagd nach aufständischen Juden die Wege des Joseph aus Nazareth mit seiner Frau Maria gekreuzt hätten? Den Abschied des Römers aus Syrien kommentierte die of­fizielle Geschichtsschreibung jedenfalls mit den Worten: »Arm hatte er das reiche Land betreten, reich verließ er ein armes Land.« Und das sagt alles aus, wie er dort regiert hatte. Diese Worte bekam Varus nie wieder los, über seinen Charakter sagt es dennoch nichts aus. Die meisten Statthalter pflegten die ihnen anvertrauten Provinzen wohlhabender zu verlassen, als sie gekommen waren.

Cäsar hatte als Ver­walter Südspaniens seine astronomisch hohen Schulden in­nerhalb eines knappen Jahres getilgt und sich gründlich sa­niert. Quintilius befindet sich also in bester Gesellschaft. Noch etwas spricht nicht unbedingt gegen ihn: die Tatsache, dass Kaiser Augustus ihn nach Germanien schickte! In eine Provinz, die noch keine war, sondern erst eine werden soll­te, in ein Land, über dessen Bewohner man immer wieder siegte, ohne sie zu besiegen.

Der Posten des Oberkommandos am Rhein war ein Schleudersitz, und es ist nicht anzuneh­men, dass Augustus ihn einem unfähigen Mann anvertraut hätte. Nach seiner Rückkehr nach Rom verschwägerte sich Varus nach dem Tod der Vipsania Marcella erneut mit der kaiserlichen Familie, indem er in dritter Ehe wiederum eine Großnichte des Augustus, Claudia Pulchra, heiratete. Von 7 bis 9 nach Christus war Varus Legatus Augusti pro praetore in Germanien. Varus war nun ein Mann Mitte 50, fast 15 Jahre älter als während seiner syrischen Statthalterschaft, und neigte – hier stimmt Velleius Paterculus mit Josephus überein – zur Bequemlichkeit.

Varus bekam von Kaiser Augustus den Auftrag die römische Macht in der künftigen Provinz Germania Magna weiter auszubauen und das Fernziel Albis (Elbe)-Grenze niemals aus den Augen zu verlieren. Kaiser Augustus schärfte ihm eine wachsame Defensive ein, um die Abwesenheit der im Illyreraufstand gebundenen Legionen zu überbrücken. Danach wurden ausgiebige Operationen im Raum der Elbgermanen geplant, um dort eine neue, militärisch gesicherte Reichsgrenze zu installieren. Kurz, das was man besaß sollte ausgebaut und gesichert werden, bis Legionen verfügbar waren. Kaiser Augustus hatte damit gut erkannt, dass ein Varus niemals einen Tiberius oder gar Drusus ersetzen konnte.

Als Varus gegen Ende des Jahres 6 am Rhein erschien herrsch­te Ruhe und niemand konnte ahnen, dass es die Ruhe vor dem Sturm war. »Die Barbaren wurden zur Ordnung der Rö­mer erzogen. Märkte wurden eröffnet und friedlicher Verkehr mit ihnen unterhalten.« - »So tiefer Friede waltete, dass die Menschen umgewandelt, die Erde eine andere, der Himmel selbst sanft und milder schien als sonst.«

Zwischen Xanten und Mainz erstreckte sich nun eine Ket­te stark ausgebauter Garnisonen, in denen bis zu 5 Le­gionen lagen. Im Vorfeld der Kastelle waren ganze Vorstädte entstanden, gebildet aus dem Tross der Handwerker, Zeugmeister, Bauarbeiter, der Kammerdiener, Dolmetscher, Schreiber, der Ärzte, Opferbeschauer, Vermes­sungsbeamten, der Boten, Heizer, Bademeister, aus dem ge­samten Personal, das eine hochtechnisierte Armee brauch­te. Die canabae legionis, wie diese Lagervorstädte hießen, wurden noch vergrößert durch jenes Gefolge, das sich seit al­ters im Dunstkreis jeder militärischen Einheit zu bilden pflegte. Gemeint sind die Wagen und Buden der Wirte, Gauk­ler, Possenreißer, Wahrsager, Glücksritter und jener Mäd­chen, deren Unmoral noch stets die Moral der Truppe geho­ben hat. In Bonna befand sich eine Flottenbasis und Colonia Agrippina war durch den Sitz des Obersten Priesters ein religiöser Mittelpunkt. Breite Heerstraßen, eingeteilt in Fahrdamm und Marschierstreifen, durchzogen das Land, ein in Hunderttausenden von Arbeits­stunden gegrabener Kanal verband den Niederrhein mit der Zuidersee und ermöglichte den Kriegsgaleeren raschen Zu­gang zur Nordsee.

Varus Aufgabe war es diesen Frieden dauerhaft zu machen, ein noch unterentwickeltes Land in eine zi­vilisierte römische Provinz umzuwandeln. In der Praxis be­deutete das die Organisierung der Verwaltung, die Einführung eines Maß-, Münz- und Gewichtssystems, die Aktivierung der Wirtschaft durch die Anlage von Gewerbebetrieben, Aus­beutung der Bodenschätze, Verbesserung der Landwirtschaft, aber auch die Einführung römischen Rechtes und römischer Steuergesetze. Varus war in erster Linie Verwaltungsfachmann, ein Jurist par excellence und zutiefst von dem Gedanken durchdrun­gen, dass Halbwilden nichts Besseres passieren konnten, als an den Segnungen seiner Rechtsprechung teilzuhaben.

Das germanische Recht hingegen bestand aus ungeschriebenen Gesetzen, denen man den Charakter von Sprichwörtern gegeben hatte, damit sie leichter von Mund zu Mund weitergegeben werden konnten.


der rekonstruierte Thingplatz in Gulde
Bild Clemensfranz, Wikimedia Commons,CC-BY-SA-3.0-migrated

Angewandt wurden sie vor dem Thing, der germanischen Volks- und Gerichtsversammlung. Allerdings nur in Fällen, in denen der Schuldige gegen die elementar­sten Tabus verstoßen hatte: wenn er Verrat geübt, Ehebruch begangen, einen Meineid geschworen. Wer einen anderen Mann im Zorn getötet oder ihn heimtückisch ermordet hat­te, brauchte seine Verurteilung nicht zu fürchten, wenn er sich zu seiner Tat offen bekannte. Bereits zu römischer Zeit "freuten" sich dessen Bürger über Grundsteuern, Gewerbesteuern, Lizenzsteuern, Mo­nopolsteuern, Kopfsteuern, Umsatzsteuern, Vermögenssteu­ern, Erbschaftssteuern, und wenn dem Fiskus keine Bezeich­nung mehr einfiel, so nannte er die neuesten Steuern einfach Sondersteuern, aus denen meist in Kriegen die Versorgung der Legionäre bestritten wurde. Gezahlt wurde mit Vieh, Korn, Wolle, Milch, Käse, ja Honig, mit harten Silberstücken und wer weder Gut noch Geld hatte, besaß zwei Hände, um seine Steuerschuld abzuarbeiten.

Wegen der Aufstände südlich der Sonau bis nach Illyrien war Varus gezwungen, jede innere Unruhe in seinem Amtsbereich zu unterbinden und daher im Interesse Roms auf die Beendigung der internae discordiae bestrebt zu sein. Bereits Sentius Saturnius hatte nach Aufstandsbeginn, auf eine vorsichtige Reichspolitik gegenüber den Germanen gesetzt. Varus führte also diese Politik nur fort. Diese vorsichtige Politik bewog sogar Varus dazu, auf dem Bericht des Segestes über Aufstandspläne des Arminius dem Cheruskerfürsten keinen Glauben zu schenken. Was für eine Geschichtswendung, wenn Varus sich aufgerafft hätte, dieser Gefahr auf den Grund zu gehen, wo doch in Zeiten des Illyreraufstandes es ein Gebot der Vernunft gewesen wäre!


Primärquelle: Fischer-Fabian, Die ersten Deutschen

Die letzten Tage der römischen Provinz Germania Magna

Die Barbaren zwischen Nordseeküste, Rhein und Weser galten aus römischer Sicht nach dem abgebrochenen Feldzug gegen das Markomannenreich als weithin befriedet. Die römische Hegemonie in der Germania Magna wurde hauptsächlich durch rechtsrheinisch angelegte Militärlager, wie in Haltern, Anreppen oder Bad Nauheim, gesichert. Das Drohpotential der Legionsstandorte am Rhein sicherte ,dass die direkt unterworfenen Barbaren oder mit römischen Schutzverträgen gebundene Stämme effizient unter römischer Kontrolle gehalten wurden. In dieser Phase des in seinem unmittelbaren Befehlsbereich gesicherten Friedens wurde also Publius Quinctilius Varus Statthalter (legatus Augusti pro praetore) der gallischen Provinzen (Tres Galliae) und in dieser Funktion Oberbefehlshaber über die Rhein-Legionen (7-9 nach Christus).


Und so sollte schrittweise die Germania Magna zur römischen Provinz ausgebaut werden

Die Römer hatten in den rechtsrheinischen Urwäldern zwischen Rhein und Weser erst noch wenige befestigte Stützpunkte. Römische Legionäre lagen dort in Winterquartieren, Städte entstanden um diese Lager und die betroffenen Germanen unterlagen einer sich ausbreitenden Romanisierung. Märkte wurden eröffnet und friedlicher Handelsverkehr mit ihnen unterhalten. Verwaltungstechnisch war der rechtsrheinische Raum bereits in mehrere Saltus (kaiserliche Domäne) gegliedert. Doch bis zu Civitas reichte es wegen des teilweise undurchdringlichen Urwalds noch nicht. Civitas waren in etwa das, was man unter Landkreise verstand und über diese bekam dann der römische Senat die Oberhoheit. Ähnlich war es bei den kaiserlichen und den senatorischen Provinzen. Als die Römer zwischen Rhein und Elbe die Provinz Germania Magna schaffen wollten, gingen sie, wie überall auf der Welt, etwa nach folgenden Schema vor:

In bestimmten strategisch wichtigen Gebieten unternahm man Feldzüge. Verwehrten die dort siedelnden Barbaren den Legionen den Durchzug, kam es zum Kampf. Fast immer siegte dann die disziplinierte römische Militärmacht. Hatten die Römer gesiegt, oder Stammesgebiete ohne Kampf eingenommen, boten sie den besiegten bzw. friedfertigen Stämmen Föderatenverträge an, mit denen sie an das Römische Reich gebunden wurden. Diese Verträge bezogen sich besonders auf gegenseitigen militärischen Beistand. Das sahen die kriegerischen Stämme positiv, da sie oft im Streit mit ihren Nachbarstämmen lagen. So schlossen sie mit den Römern Verträge, und hatten kaum Einwände, wenn die Römer bei ihnen Kastelle erbauten und Soldaten stationierten.

In Freizonen, die zwischen den Stämmen lagen und bis 30 km breit waren, richteten die Römer dann Saltus mit villae rusticae (Landgüter) ein, eröffneten Märkte und erbauten feste Ansiedlungen (Städte).
Nachdem über die Stammesgebiete ein Netz römischer Einrichtungen errichtet war, und in den Saltus römische Kolonisten angesiedelt waren, begannen die Römer mit dem Aufbau einer Administration. So gelang es neue Gebiete schnell und effektiv zu romanisieren und genau das befand sich in der geplanten Provinz Germania Magna im Werden.


Das Huy Kastell im gleichnamigen Wald, nordwestlich von Halberstadt ist ein steinerner Zeuge, dass die römische Provinz Germania Magna bereits existierte

Römische Saltus gab es schon bis in das nördliche Harzvorland hinein, wahrscheinlich schon bis zur Elbe, sie beweisen auch, dass die Provinz Germania Magna nicht nur „fast“, sondern auch de jure bereits den Status einer römischen Provinz hatte und als befriedet galt. In der augusteischen Zeit waren derartige Gebietssicherungen noch nicht überall üblich. Erst mit dem Bau des Limes in Obergermanien und Raetien wurden sie zur Normalität. Neben den Burgi aus Stein oder den Turres aus Holz, sicherten Kastelle den Saltus.

Trotz dieser um sich greifenden Romanisierung hatten aber die Barbarenstämme noch längst nicht ihre freie und kriegerische Lebensart vergessen. Und so lange die Romanisierung ein schleichender kaum wahrnehmbarer Prozess war, empfanden sie die Veränderung ihrer Lebensart nicht drückend und merkten nicht, wie sie sich veränderten. Doch mit Quintilius Varus , dem Tiberiusersatz, wurde ein Mann Oberbefehlshaber in Germania Magna, der dieses römische Aufbauwerk in den rechtsrheinischen Gauen durch maßlose Steuerpolitik vernichten sollte.

Varus war ein Mann von ruhigem Charakter, mehr an die Muße des Lagerlebens, als an den Felddienst gewöhnt. Wie in Syrien, das er verwaltet und ausgepresst hatte, wollte er es auch im rechtsrheinischen Germanien handhaben, obwohl es es diese Provinz noch nicht gab und nur die ersten Fundamente dafür entstanden waren. Varus wollte sich wie viele seines Standes vor dem Kaiser profilieren und die Romanisierung Germaniens mit größerer Schnelligkeit und mehr Nachdruck vorantreiben. Er erteilte den Barbarenstämmen in den Saltus Befehle wie Sklaven, forderte ständig neue Abgaben und setzte das römische Recht, über das der Barbaren. Schon nach kurzer Zeit breitete sich wütende Verbitterung in den rechtsrheinischen Urwäldern aus. Ein Pulverfass entstand, deren Lunte bereits brannte.

Ein offener Aufstand war aber zu riskant, weil sie um die römische Militärmacht am Rhein wussten und auch in den Germanengauen dominierend und kampfstark operierten. Varus Legionen standen im Jahre 9 tief im Land der Cherusker und operierten im Satus nördlich vom heutigen Osnabrück bis zur Weser. Vom vorgelebten offensichtlichen Frieden geblendet, gab Varus Anfragen germanischer Siedlungen nach, die um Soldaten baten um entweder irgendein Lager zu bewachen, Räuber einzufangen oder auch nur Getreidetransporte zu begleiten. Dadurch sank die Kampfstärke sichtbar zusammen, weil die Legionen zusehends über das unwegsame Land verteilt wurden. Ein kaum wahrnehmbarer Fehler für Varus, aber die betroffenen Cherusker wussten ihn auszunutzen.

Primärquelle: Fischer-Fabian, Die ersten Deutschen

Arminius - Römer und Barbarenführer


Arminius wurde um 17/18 v. Chr. als Sohn des Cherusker-Fürsten Segimer geboren. Als Kind wurde er zusammen mit seinem Bruder Flavus zur Erziehung und militärischen Ausbildung nach Rom geschickt und lernte in einer römischen Militärschule unter anderem die lateinische Sprache. Im Jahre 4 nach Christus führte er eine cheruskische Abteilung innerhalb einer römischen Legion, die unter Befehl des Tiberius stand und wurde so mit dem römischen Militärwesen vertraut.

Über Arminius existiert ein Bericht des bereits im Zusammenhang mit Varus erwähnten Reiterobersten Velleius Paterculus, ein auf vielen Kriegsschauplätzen bewährter Legionär, der ne­benbei die Schriftstellerei betrieb. Er bezeichnete ihn als »einen jungen Mann von vornehmer Abkunft, persönlicher Tapferkeit, rascher Auffassungsgabe und einer genialen Klugheit, die normalerweise jenseits der Begabung eines Barbaren liegt ... Schon sein Gesichtsausdruck und seine Augen verrieten das Feuer seines Geistes.« Arminius war des Velleius Paterculus Kriegsgefährte, der nach dem Frontwechsel des Barbaren keinen Grund gehabt hätte, ihn zu loben. Arminius lernte Velleius in der römischen Militärschule kennen, diente zusammen mit ihm in Germanien und nahm später als Führer eines aus seinen Landsleuten bestehenden Hilfskorps an der Niederwerfung des Aufstandes in Pannonien teil. Dafür wurde er mit der Ritter­würde ausgezeichnet und erhielt das römische Bürgerrecht.


Arminius (Film, "Hermann der Cherusker") - Ohne die von Varus provozierte Schlacht, wäre er nicht als "Germanenführer", sondern als römischer Ritter in Geschichte eingegangen

Unter dem Eindruck des niedergeschlagenen Aufstands in Pannonien kehrte Arminius im Jahre 7 nach Germanien in den Saltus der Cherusker zurück. Und plötzlich hatte der römische Zögling nichts anderes zu tun, als mit diplomatischem Geschick, psychologischem Einfühlungsvermögen und Raf­finesse den Aufstand der Cherusker und benachbarter Barbarenstämme vorzubereiten. Der gerade 24jährige hatte gründlich von den Römern gelernt. Dass er die römische Militärtechnik und Kriegstaktik verstand und über ihre Stra­tegie mehr wusste als seine Lehrer, darf bei der ihm bescheinigten raschen Auffas­sungsgabe vorausgesetzt werden.
So wie er die Vorteile einer römischen Legion erkannte, hatte er aber im Krieg gegen die pannonischen Rebellen auch deren Schwachpunkt erkannt: römi­sche Legionen waren in offener Feldschlacht schwer zu besiegen wa­ren, aber in Urwäldern anfällig für plötzliche Überfalltaktiken.

So also wie die Illyrier und Pannonier es bei ihrem Aufstand getan hatten, der letztlich zwar scheiterte, aber einen so hohen Blutzoll gefordert hatte wie kein Feldzug Roms zu­vor. Arminius hielt den Kreis der Eingeweihten klein, ließ sie Schweigsamkeit schwören, reiste unter Vorwänden durch die Gaue, verhandelte mit Fürsten, um möglichst viele Stämme zur Beteiligung am Aufstand zu gewinnen: die Chat­ten (Katten), die Angrivarier, die Chatturarier (Katten), die Usipeter, Tubanten, Kalukonen, die Marser und die Brukterer. Innerhalb weniger Monate gelang Arminius das scheinbar Unmög­liche: vorher zerstrittene Barbarenstämme, die stets untereinander im Stammeskrieg lagen, wurden zu einem Bund zu vereinigt. Wer nicht mitmachen wollte, wurde gefangengesetzt oder beseitigt.

Armin war jedes Mittel recht, um sein Ziel zu erreichen. Auch das der bewuss­ten Täuschung. Und hier gelang ihm sein Meisterstück, nämlich Quintilius Varus derart zu verblenden, dass er den erbittertsten Feind für den besten Freund hielt. Er machte sich dabei die größ­te menschliche Schwäche zunutze, die Eitelkeit. Varus war eitel auf seine zweifellos bedeutenden juristischen Fähig­keiten, und Arminius beutete diese Schwäche aus. Als Trä­ger der Würde eines römischen Ritters genoss er ohnehin das Vertrauen des Statthalters. Er war häufiger und gerngesehe­ner Gast an seiner Tafel und verstand es dabei immer wieder, den Gastgeber auf sein Lieblingsgebiet zu locken, die Juriste­rei.


typischer rothaariger Barbarenkrieger, gegen die römische Legionäre kämpfen mussten.

»Die Barbaren«, berichtete Velleius mit spürbarem Be­fremden, »sind Menschen, die bei aller Wildheit äußerst ge­rissen sind, ja sie scheinen geradezu geboren zur Verstellung. Man sollte es kaum glauben, wenn man es nicht selbst erlebt hätte. Sie führten eine ganze Kette frei erfundener Recht­streitigkeiten, verklagten sich gegenseitig, vergaßen aber nie, dem Statthalter zu danken, wie weise er alles mit seinem Gerechtigkeitssinn entscheide, wie sehr ihre Wildheit durch die neue, ihnen bis dahin unbekannte Instanz gebändigt werde, wie wohltuend es sei, dass Streitfälle, die man gewohnt war mit den Waffen auszutragen, nun auf dem Rechtswege ge­schlichtet würden.«

Schauplatz dieses Schauspiels war das Sommerlager des Statthalters irgendwo auf dem linken Ufer der mittleren We­ser. Der genaue Platz ist ungewiss. Zwischen Höxter und Min­den sind eine ganze Reihe von Orten genannt worden, je nachdem, wo der betreffende Forscher anschließend »sein« Varusschlachtfeld platziert haben wollte. Denn beides steht naturgemäß in engem Zusammenhang. Den Winter pflegten die Römer vorsichtshalber in den stark befestigten Garnisonen am Rhein zu verbringen. Ein Zeichen, wie wenig sicher sie sich noch in der urwalbedeckten Germania Magna fühlten. Erst noch wenige feste Lager, die von einheimischen Hilfstrup­pen unter römischem Kommando besetzt waren, sogenann­ten Auxilien, sorgten für eine notdürftige Präsenz. Mit dem Be­ginn der warmen Jahreszeit unternahmen die sonnenverwöhnten Legionen dann ihre Sommerfeldzüge im rechtsgermanischen Raum, die aber zu dieser Zeit kaum zu Kämpfen führten.

Marschierte eine Legion waren 6 000 waffenstarrende Legionäre unterwegs, mit teilweise enormen Marschleistungen. In den Flanken waren sie gedeckt von den Bogenschützen und der Reiterei, die Feldzeichen, aus Silber getriebene Adler, funkeln im Licht, Hörner und Tuben dröhnen, in der Mitte die Trainwagen und Lasttiere,- die schweren Wurfgeschütze und Belagerungsma­schinen folgen im Tross und hinterlassen tiefe Räderspuren. Der Legionskomman­deur zu Pferde, umgeben von den ordengeschmückten Stabsoffizieren führte die jeweilige Legion, die immer ein eindrucksvolles Bild von er­schreckender Großartigkeit den Barbaren vermittelte.

Endstation der Sommerfeldzüge waren die großen Sommerlager. Varus liebte in diesen Lagern den Prunk, einer reichbesetzten Ta­fel, wo er geistreiche Gespräche hielt. Hier betrieb er sein Steckenpferd, die Rechtsprechung, empfing Delegatio­nen der einzelnen Stämme, ermutigte die römerfreundlichen Parteien unter ihnen und versuchte, die römerfeindlichen ab­zuschrecken. Das alte Spiel des divide et impera, des Zwietrachtsäens, um zu herrschen, das er in der Provinz Syria so vollendet beherrscht hatte, versuchte er nun auch hier. Und, wie es anfangs schien, mit Erfolg.

Gerade unter den Cheruskern hatten sich die Fraktionen Contra- und Pro-Rom stärkstens profiliert. Dem Arminius stand Segestes gegenüber, Stammesfürst wie er und von gro­ßem Einfluss, auch körperlich ein Hüne, wortgewaltig, ein Mann, der ursprünglich von den besten Absichten getragen schien, auch wenn er seine Römerfreundschaft nicht zuletzt zur Stärkung seiner eigenen Position ausnützen wollte. Aber das tat Arminius umgekehrt auch. Nach Segestes Ansicht war es kein »Verrat« ein Unternehmen was er als Wahnsinn empfand, zu durchkreuzen. Wartete doch bei einer Niederlage unweigerlich das römische Strafgericht in Form der kampfstarken Rheinlegionen.


Segestes; aus dem deutschen Stummfilm Die Hermannschlacht (1924) - römerfreundlich, hatte auch er die Möglichkeit die Varusschlacht zu verhindern, womit die römische Oberherrschaft bis zur Elbe erhalten geblieben wäre

Segestes trägt trotzdem das Kainsmal des Verräters auf der Stirn, ein Ergebnis tragischer Verstrickung von Politik und Privatleben. Arminius hatte ihm die Tochter Thusnelda ge­raubt, die einem anderen Mann versprochen worden war. Aus politischer Gegnerschaft wurde so persönlicher Haß. Segestes war es deshalb, der die Aufrührer des geplanten Aufstandes beinah in letzter Minute den Römern ausgeliefert hätte.


Hermann und Thusnelda
Bild Lippisches Landesmuseum Detmold, CC BY-NC-SA

Kurz vor dem Verlassen des Sommerlagers hatte Arminius die Empörung eines »entfernter wohnenden« Stammes mel­den lassen. Varus nahm den Köder sofort an und beschloss, die Insurgenten auf dem Rückmarsch in die Rheinfestungen nie­derzuschlagen, sozusagen als Abstecher. Damit war für die Germanen eine wichtige Voraussetzung ihrer Strategie erfüllt: Zeitpunkt und Gelände der vorbereiteten Schlacht bestimmten sie! Da erschien Segestes und enthüllte das Komplott bis in die Details. Varus hörte ihn geduldig an, glaubte ihm aber nicht. Das Gehörte erschien ihm zu phantastisch. Es erinnerte ihn in peinlicher Weise an die Kabalen, die während seiner Statt­halterschaft in Syrien die Mitglieder des Hauses des Herodes gegeneinander angezettelt hatten.

Als Segestes forderte, ihn und den Arminius in Ketten zu legen und so lange gefangenzuhalten, bis seine Worte sich als wahr erwiesen hätten, stutzte er, lehnte aber schließlich doch ab. Es war einfach unglaubhaft, dass ein römischer Ritter, der hochdekorierte Führer eines Hilfskorps, ein Cheruskerfürst, den er wie einen Sohn behandelt hatte, der fast täglich Gast unter seinem Dach gewesen war, dass ein solcher Mann ihn, Varus, verraten könnte. Des Varus größter Fehler war dasser verkannte, dass die Barbaren in Germanien keine Syrer waren, aber so verschlagen sein konnten wie Syrer. Eine Glaubensangelegenheit ebnete also den Weg in die berühmte Schlacht, die mit einem Haftbefehl aber nie geführt worden wäre. Varus hatte es also selbst in der Hand, die Provinz Germania Magna für Jahrhunderte dem Römischen Reich zu erhalten, war aber sich dessen Tragweite in diesem Legionärslager nicht bewusst.

Ein Befehl Varus, die Segstes Ansinnen entsprachen und die Weltgeschichte hätte einen anderen Verlauf genommen! Den Cheruskern wäre es nicht anders ergangen, als den Sugamber, dessen Führer in römische Hand fielen und der Stamm so fast unkriegerisch unterworfen wurde. Die prorömische Fraktion hätte sich durchgesetzt und nichts und niemand hätte die neue römische Reichsgrenze an der Elbe verhindert! Eine Völkerwanderung romanisierter Germanen hätte es nicht gegeben und die dort ausgehobenen kampfstarken Legionen, hätten auch viele real abgelaufene Barbareneinfälle größtenteils in Germania Magna abgefangen und vernichtet! Das schon einmal fast eroberte Markomannenreich wäre ebenfalls mit großer Sicherheit, Teil des Römischen Reiches geworden. Die Herausbildung einer deutschen Sprache hätte es in der heutigen bekannten Form nie gegeben...

Primärquelle: Fischer-Fabian, Die ersten Deutschen

Die Schlacht in den Urwäldern


Varus schickte zuerst die Auxilien in ihre überall im Land verteilten Standlager. Dann verließen die drei Legionen unter Zurücklassung einer kleinen Besatzung das Lager durch die porta piaetoiia, das glückbringende Tor, das diesmal kein Glück bringen sollte. Der Tross, in seiner Schwerfälligkeit oh­nehin die Achillesferse jeder marschierenden römischen Ein­heit, war diesmal besonders groß. Da die Offiziere im Sommerlager auf keine der Bequem­lichkeiten verzichten wollten, die ihnen in den Garnisonen am Rhein zustanden, wimmelte es von Sklaven und Freige­lassenen, von Ehefrauen und Prostituierten, von Marketen­dern und Hasardeuren, von einer Vielzahl von Nichtkombattanten. Unter den Freigelassenen zwei junge Burschen namens Thiaminus und Privatus, die der Unteroffizier Marcus Caelius aus Bologna als Diener beschäftigte. Ihre Gesichter sind, zusammen mit dem ihres Herrn, als einzige aus der Zahl der 25 000 Todgeweihten bekannt.


der Grabstein des Marcus Caelius

Publius Caelius, der Bruder des Marcus, hat sie auf einem Grabstein portraitgerecht verewigen lassen, in der Hoffnung, dass es eines Tages möglich sein werde, die sterblichen Über­reste aus den germanischen Urwäldern heimzuholen.


Niemand ahnte von den Legionären, daß ihnen in den Urwäldern ein germanisches Heer auflauerte

Der Marsch der Legionäre in den Tod hat begonnen. Varus ist nach wie vor ahnungslos. Er hat noch nicht einmal Gefechts­bereitschaft befohlen. Die Kolonnen bewegen sich vorwärts in den für den Reisemarsch vorgeschriebenen Abständen, 90 Zentimeter von Mann zu Mann, in Sechsenreihen. Die Rei­hen lösen sich auf an engen Stellen, vermengen sich mit dem Troß, stauen sich, quellen an den Seiten hervor: Ein Heer­wurm kriecht durch die Landschaft, unbeweglich, langsam, jedem plötzlichen Überfall ausgeliefert.

Doch von irgendeinem Hinterhalt kann nicht die Rede sein. Die barbarischen Stammesfürsten scheinen dafür zu bürgen. Sie reiten im Gefolge des Statthalters, begleiten den Zug eine lange Strecke Weges, melden sich dann in aller Form ab: Sie wollen, so geben sie vor, ihre Truppen mobilisieren, um dann zum römischen Heer zu stoßen. Zur gemeinsamen Niederschlagung des Aufstandes. Diese Truppen sind jedoch längst da - wenn auch nicht zur Unterstützung der Römer. Wie eine Geisterarmee sind sie den Legionen seit dem Ab­marsch gefolgt, getarnt durch das ihnen genau bekannte Ge­lände, auf den Befehl zum Zuschlagen wartend. Das Land zwischen Mittelrhein und Mittelweser steht bereits in hel­lem Aufruhr. Immer mehr Stämme schließen sich an. Der Kampf gegen Rom wird zur Sache des Volkes erklärt, die Füh­rer der romfreundlichen Parteien, wie Segestes, sind nun gezwungen mitzumachen - und bereits mitschuldig geworden: Die bei den einzelnen Stämmen postierten Kommandos der Römer hat man bis auf den letzten Mann niedergemacht.


Das römische Heer bricht mit 3 Legionen Richtung rheinische Winterlager auf, insgesamt 20000 Legionäre


Römische Legionäre dringen in den Teutoburger Urwald vor

Die Legionen marschieren weiter. Das Terrain ist unweg­sam geworden, waldig, von Schluchten zerrissen. Regen setzt ein, es ist der schwere, tagelang anhaltende Regen des Herb­stes, der in diesen Landstrichen fällt, von Arminins ersehnt, ja, in die Pläne einkalkuliert. Dazu ein Sturm, der immer stär­ker wird, Bäume stürzen und bilden schwer zu beseitigende Hindernisse, ein kleiiger Boden hemmt den Schritt, die Wa­gen bleiben stecken, der Himmel verfinstert sich, macht den Tag zur Nacht, in das heillose Durcheinander schreiender fluchender Menschen stoßen urplötzlich die barbarischen Kampftrupps.


Die Barbaren greifen an...

Es sind Kämpfer zu Fuß, schnell, beweglich, ausgerüstet mit leichten Waffen, die kurze vernichtende Angriffe ausfüh­ren, sich sofort wieder in das Dickicht zurückziehen, wenn sie auf Widerstand stoßen. Ihr Ziel ist es, die einzelnen Marschkolonnen zu zerteilen, die Kräfte des Gegners aufzu­splittern, ihn von der Straße wegzulocken. Varus bleibt gelassen, gibt in kluger Erkenntnis der Situa­tion den Befehl, den Feind nicht zu verfolgen, lässt mit Ein­bruch der Dunkelheit ein Lager errichten. Das römische Feldlager mit seinem Graben, seinem Wall, seinen Palisaden, bewährt in tausend Feldzügen, soll wieder
einmal die schon gesunkene Moral der Legionäre aufrichten. Auch hofft Varus zuversichtlich auf das baldige Eintreffen des treuen Arminius, der mit seinen Auxilien dem Spuk ein En­de bereiten wird.

Blutige Ironie, oder, wie Velleius es mit dem Pathos des rö­mischen Historikers treffend ausdrückte: »... wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit, und bewir­ken so auf unheilvolle Weise, dass das, was geschieht, mit vollem Recht zu geschehen scheint, und so verwandelt sich tiefes Unglück in tiefste Schuld.« Der andere Morgen scheint nicht anzubrechen, so dunkel ist der Himmel. Varus beginnt zu ahnen, dass er in eine Falle geraten ist. Er befiehlt, die Trosswagen und das Gepäck zu verbrennen, alles, was nicht unbedingt dem Kampf dient, zurückzulassen, und setzt seinen Weg, nun in Gefechtsord­nung fort, wobei er zu seiner Erleichterung bald freieres Gelände erreicht, das seinen Kohorten die Möglichkeit zur Entfaltung ihrer Kampfkraft bietet. Er erwartet, dass die Ger­manen in dem für sie typischen Schlachtkeil angreifen.
Diesen Gefallen tut Arminius ihm nicht. Er behält die Tak­tik des vorangegangenen Tages bei, nur dass die Stoßtrupps jetzt in zehnfacher Zahl auf die Legionäre eindringen. Wieder schlagen sie ein Lager auf, doch es wird nur ein kläglicher Verhau, die Kraft reicht nicht mehr zum Schanzen. Der dritte Tag bringt das Ende.


Nördlich des Wiehengebirges, am Kalkriese fand der Endkampf von Varus dezimierten Heer statt, es wurde vollkommen vernichtet.

Das stark zusammengeschmolzene Heer gerät in ein ver­sumpftes Waldgebiet. Sturzflutartiger Regen bricht aus den Wolken, die Sicht beträgt nur wenige Meter, von allen Seiten tönt jetzt der Schlachtgesang der Barbaren, sie haben Zuzug erhalten von jenen, die bisher zögerten, nun aber die Beute wittern. Die Römer wehren sich mit dem Mut, den die Ver­zweiflung verleiht. Es kommt zu einer Vielzahl von Tragödi­en, die man auch Heldentaten nennen kann: So stürzt sich ei­ner der Adlerträger mit dem geheiligten Symbol seiner Legion in den Sumpf, um sich nicht in Feindeshand fallen zu lassen; ein anderer tötet sich mit Hilfe der Ketten, mit denen er be­reits gefesselt war. Der letzte Widerstand erlischt, als die rö­mische Kavallerie ihr Heil in der Flucht sucht, vergeblich je­doch, sie wird abgefangen und vollkommen aufgerieben.

Über das Schicksal des Varus berichtet Velleius in mi­litärischer Knappheit: »Der Feldherr hatte mehr Mut zum Sterben als zum Kämpfen. Getreu dem Vorbild seines Vaters stürzte er sich in das Schwert.« Die römische Art, Harakiri zu begehen, bevorzugte auch der Lagerpräfekt Lucius Eggius zu­sammen mit zahlreichen hohen Offizieren. Tausende von grauenhaft verstümmelten Toten bedecken den Waldboden. Der Sieg der Barbaren ist total, nur einigen wenigen Versprengten gelingt es, sich in das Kastell Aliso zu retten. Arminius, der Sieger, erscheint und erlebt, auf einem Hügel stehend, den großen Triumph seines Lebens. Er spricht zu den Kriegern und dankt ihnen für ihren Mut, der den Sieg über die unbesiegbar geglaubten Römer ermöglicht hat.

Man bringt ihm die Leiche des Varus, sie ist halb verkohlt, einige Männer aus seinem Stab hatten versucht, sie zu ver­brennen, damit der Feind sie nicht schänden konnte. Armini­us befiehlt, den Leichnam zu köpfen, und schickt den Kopf dem Markomannenkönig Marbod nach Böhmen. Er hofft auf diese Weise, den großen Zauderer unter den germanischen Führern durch diese schaurige Siegestrophäe zu gemeinsamen Handeln zu bewegen. Es war eine vergebliche Mühe...

Sechs Jahre später suchte der römische Feldherr Germanicus das Schlachtfeld auf, um die Gebeine der Gefallenen zu be­statten. Über diesen sentimentalen Marsch in die Vergangen­heit liegt ein Bericht des Tacitus vor, der die Ereignisse unmittelbar nach der Katastrophe in faszinierender Eindring­lichkeit wiedergibt. »Sie betraten die düstere Stätte, die mit so schmerzlichen Erinnerungen belastet war. Das erste Lager des Varus war noch deutlich erkennbar an seinem gewaltigen Ausmaß und der Größe des Hauptversammlungsplatzes, eine Anlage, die deutlich von der Schanzarbeit dreier Legionen zeugte. Unweit davon verrieten ein halbfertiger Wall und ein flacher Graben, dass hier das letzte Aufgebot versucht hatte, sich in den Boden zu krallen. Zwischen den beiden Lagern sa­hen sie die bleichen Knochen der gefallenen Kameraden über den Boden verstreut und zu kleinen Hügeln gehäuft, je nach­dem, wie der Tod sie ereilt hatte: fliehend oder kämpfend. Dazwischen die Trümmer der Waffen, die Gerippe der Pferde. Aus dem Gewirr der Äste starrten Totenschädel, die man an die Bäume genagelt hatte. In den Waldlichtungen fanden sie die Altäre, auf denen die vornehmsten Gefangenen den Göt­tern geopfert wurden.

Die Legionäre, die dem Inferno damals entkommen waren, schauten sich um und erzählten: "Ja, dort, da sind die Gene­rale gefallen !" - "Und hier, hier haben uns die Barbaren die Ad­ler entrissen!" - Dann zeigten sie den Ort, wo Varus verwun­det wurde und jenen anderen unseligen, an dem er sich mit eigener Hand den Tod gab, auch den Erdhügel, von dem herab Arminius zu seinen Kriegern sprach, und sie erzählten, wie viele Galgen er habe errichten, wie viele Opfergruben für die Gefangenen er habe ausheben lassen. So bestatteten sie, sechs Jahre nach der Katastrophe, die Gebeine der Soldaten von drei Legionen. Da aber niemand mehr erkennen konnte, ob es die sterblichen Überreste seiner Feinde waren oder seiner Kameraden, die er mit Erde bedeck­te, so begruben sie alle in dem Glauben, es seien ihre Ver­wandten, ihre Blutsbrüder, ihre Freunde. All das geschah mit wachsender Erbitterung gegenüber einem solchen Gegner, und sie wurden traurig und zornig zugleich...


Primärquelle: Fischer-Fabian, Die ersten Deutschen
Screenshots ZDF Zweiteiler Kampf um Germanien

Die Rache der Römer

Die Nachricht vom Untergang von drei Legionen traf in Rom zu einem Zeitpunkt ein, der zum Feiern vorgesehen war und nicht zum Trauern. Der Aufstand auf dem Balkan, von 200000 Pannoniern und Illyriern entfesselt, war nach vier Jahre währenden Feldzügen endgültig nieder­geschlagen worden. Was die Römer in der Hauptsache ihrem Feldherrn Tiberius, Augustus' Stiefsohn, verdankten, und zu seinem Empfang hatte der Senat alle Vorbereitungen getrof­fen. Es war mehr als ein Wermutstropfen, der jetzt in den Sie­gesbecher fiel. Es war eine Hiobsbotschaft, die, wie stets bei solchen Botschaften aus Germanien, vergangene, aber nicht vergessene Schrecken wachrief, die noch gesteigert wurden durch den Kopf des Varus, den der Markomannenkönig Marbod an Augustus weitergereicht hatte.

Der Biograph der Cäsaren, Gaius Suetonius, gibt einen Eindruck von der Verwirrung, die in Italien herrschte, wenn er über Augustus schreibt: »Schwere und schimpfliche Nie­derlagen hat der Kaiser überhaupt nur zwei erlitten während seiner Regierungszeit, und beides mal waren Germanen schuld daran. Die, welche der Legat Lollius (16 v. Chr. in Gallien) er­litt, brachte eher Schande denn Schaden, die des Varus aber war nahezu vernichtend, denn drei Legionen mit ihrem Feld­herrn, den hohen Offizieren und sämtlichen Hilfstruppen fan­den den Tod.

Nach dem Eintreffen der Nachricht wurden die Truppen Tag und Nacht in Alarmbereitschaft gehalten, damit kein Aufruhr ausbräche, auch verlängerte er den Statthaltern in den Provinzen ihre Amtszeiten, um die Bundesvölker auch wei­terhin von erfahrenen Männern in Schach halten zu lassen. Dem Jupiter Optimus Maximus gelobte er feierlich die glän­zendsten Spiele, wenn dem Vaterland geholfen würde. Man erzählt sich, dass der Kaiser derart verstört gewesen sei, dass er seinen Bart und seine Haare monatelang habe wachsen lassen und bisweilen seinen Kopf gegen die Türpfo­sten stieß, wobei er laut rief: »Quintilius Varus, gib mir die Le­gionen wieder!« Noch Jahre danach soll er den Tag der Kata­strophe als einen Tag der Trauer und des Unglücks begangen haben.«

Eine Zeitlang fürchtete Augustus ernsthaft, dass die Germanen, einmal entfesselt, nach Italien einfallen würden. Nur so erklären sich die rigorosen Maßnahmen, die er ergriff und die an die Notverordnungen erinnern, mit denen Marius die »Rettung des Vaterlands« gegen die Kimbern und Teutonen vorbereitet hatte. Auch Augustus griff sich seine Soldaten, wo er sie greifen konnte, und es war ihm gleichgültig, ob es Frei­gelassene waren, Veteranen, Pöbel oder Angehörige der Ge­sellschaft. Da sich von den Bürgern niemand freiwillig zum Kriegsdienst in Germanien melden wollte, konfiszierte er per Losentscheid das Vermögen jedes Zehnten, entzog ihnen die Rechte eines civis Romanus, ließ sogar einige besonders Wi­derstrebende hinrichten.

Zum Oberbefehlshaber der neu gebildeten Armee wurde Tiberius ernannt, ein Mann ohne Glanz, düster, verschlossen, von den Soldaten geachtet, aber nicht geliebt, doch als Tech­niker des Krieges absolut zuverlässig und stets erfolgreich. Er musste auf den ihm zustehenden Triumphzug verzichten und nach Germanien ausrücken. Seine acht Legionen trugen weit­gehend dazu bei, dass sich die Lage normalisierte.


Kaiser Augustus

Tiberius übte die Strafgewalt, die dem Oberbefehlshaber zur Erhaltung der Disziplin zustand, erbarmungslos aus. Ver­abfolgung von Gerste statt Weizen, Kampieren außerhalb des Lagers auf freiem Feld, Reduzierung des Soldes, Degradierung waren vergleichsweise milde Strafen gegenüber dem Spießru­tenlaufen, das meist tödlich für den Delinquenten endete. Diese Art der Hinrichtung wurde selbst bei so geringen Verstoßen angewandt wie dem Schanzen ohne umgehängtes Schwert. Im übrigen sorgte der Rebstock der Centurionen für den nötigen Gehorsam. Als die Legionen am Rhein nach dem To­de des Augustus meuterten, erschlugen sie einen Unteroffi­zier, der den Spitznamen trug »Nen-andern-her«: Er pflegte so lange auf einen Soldaten einzuschlagen, bis er »'nen andern« Stock brauchte.


Als Kastell Aliso wird heute das Römerlager Haltern angesehen

Auf dem rechten Rheinufer blieb es ruhig. Die Germanen hatten ihren Sieg nicht ausnutzen können. Zwar war es ihnen gelungen, alle Kastelle zu nehmen, die Lippe-Festung Aliso je­doch, in die sich die Reste der Varusarmee geflüchtet hatten, berannten sie vergeblich. Für eine regelrechte Belagerung fehl­ten ihnen die dazu notwendigen Maschinen. Sie beschränk­ten sich darauf, die Zufahrten zu blockieren, um die Besat­zung auszuhungern. Zwischendurch trugen sie auf langen Spießen die Köpfe gefallener Römer an den Wällen vorüber. Die beabsichtigte Schockwirkung blieb jedoch aus. Der Festungskommandant Caedicius, ein alter Haudegen aus dem Mannschaftsstand, war ihnen ohnehin über: In ei­ner stürmischen Nacht schickte er seine Trompeter durch die Linien, ließ sie Signal blasen, wagte dann mit seiner Truppe den Ausbruch. Die Trompetensignale sollten die Germanen glauben machen, dass von Vetera her (dem heutigen Xanten) Entsatz im Anmarsch sei; sie fielen prompt auf diese Kriegs­list herein und Caedicius entkam, wenn auch unter Verlu­sten.

Der große Plan des Arminius, die Markomannen zum Ein­fall in die römisch besetzten Donauländer zu veranlassen und selbst in das ebenfalls römische Gallien zu marschieren, so
das Imperium an zwei Nahtstellen zu bedrohen, kam nicht zur Ausführung. Marbod machte, trotz der grausigen »Sieges­depesche« in Form des Varuskopfes, nicht mit und neue Stämme konnten nicht zu gemeinsamem Vorgehen gewon­nen werden. Die Vision eines "germanischen Endsiegs" zu formulieren, blieb einem Dichter vorbehalten, Heinrich von Kleist, der am Schluß seiner »Hermannsschlacht« Arminius sagen läßt:

"Uns bleibt der Rhein noch schleunig zu ereilen,
Damit vorerst der Römer keiner
Von der Germania heil'gem Grund entschlüpfe:
Und dann - nach Rom selbst mutig aufzubrechen!
Wir oder unsre Enkel, meine Brüder!
Denn eh' doch, seh' ich ein, erschwingt der Kreis der Welt
Vor dieser Mordbrut keine Ruhe,
Als bis das Raubnest ganz zerstört,
Und nichts als eine schwarze Fahne
Von seinem öden Trümmerhaufen weht!"

Tiberius wagte es nicht, trotz seiner acht Legionen, die Ger­manen in ihrem eigenen Land zu stellen. Seine Feldzüge wa­ren Scheinunternehmen und seine Siege Siegesmeldungen, dazu bestimmt, das Volk Roms einzulullen. Zwar setzte er über den Rhein, begnügte sich aber damit - nach bewährtem Muster - breite Einfallsschneisen in die Wälder zu schlagen, Dörfer in Brand zu stecken, Felder zu verwüsten. Er operierte dabei mit äußerster Vorsicht, ließ die Kolonnen stets in Ge­fechtsordnung marschieren, verstärkte vor allem die Aufklä­rung, hielt regelmäßig Kriegsrat, ritt nie ohne einheimische Kundschafter. Bei den Flussübergängen war er sich nicht zu schade, die Trosswagen persönlich zu kontrollieren, wobei er das private Gepäck und alles, was ihm überflüssig schien, kurzerhand ins Wasser werfen ließ. Den schwerfälligen, jede Bewegung behindernden Tross zu verkleinern, der so manche Niederla­ge verschuldet hatte, konnte in diesem unwegsamen Opera­tionsgebiet von entscheidender Wichtigkeit sein. Das Trauma jedes Feldherrn in Germanien seit der Varusschlacht war es, in einen Hinterhalt gelockt zu werden.

Primärquelle: Fischer-Fabian: Die ersten Deutschen

Schlussakkord - Als Segestes römischer Bürger wurde



Germanicus - Über einen weiteren fiktiven römischen Kaiser Germanicus verfasste Kirk Mitchel eine Trilogie, in der das Römische Reich bis in die Neuzeit weiter existierte.


Als Einzelbände erhältlich, verraten die Cover, dass man mit Schienengaleeren und Flugzeugen die Welt eroberte

Germanicus, Neffe und Adoptivsohn des Tiberius, der 13 nach Christus das Kommando übernahm, setzte die Strategie der verbrannten Erde fort. Es war ein langwieriges, schmutzi­ges Geschäft und warf keine Lorbeeren ab für einen ehrgeizi­gen jungen Mann. Die ehrenvolle Anerkennung, die ihm der Senat für die Vernichtung der Marser hatte zuteil werden las­sen, konnte ihm kaum behagen. Germanicus führte im Feldzug gegen die Marser neben 12.000 Legionssoldaten auch 26 Kohorten Bundesgenossen (sociae cohortes) und 8 Reiterschwadrone (equitum alae) mit sich. Die Marser konnten keine Gegenwehr leisten , weil deren Krie­ger nach einem Opferfest total betrunken waren.

So war es nichts weiter als ein Abschlachten, bei dem weder Greise noch Frauen, noch Kinder geschont wurden.

Derartige Aktionen waren in damaligen Kriegen normal. Was aber dem Vorgehen die schau­erliche Pointe verlieh, war dies: Die Legionäre hatten gemeu­tert, die Meuterei war niedergeschlagen worden, damit sie aber nicht erneut ausbrach, mussten die Soldaten beschäftigt werden. Das wahnwitzige Morden war also nichts anderes als eine Beschäftigungstherapie, um den Geist der Truppe wie­derherzustellen. Im Ergebnis führte das zur Verhärtung des germanischen Widerstandes, zur Mobilisierung letzter Reserven. Arminius konnte das Bündnis der Stämme, das bedenkliche Risse bekommen hatte, wieder kitten; er bekam Vollmacht, energisch gegen die romfreundliche Fraktion vorzugehen, die besonders in seinem eigenen Stamm immer noch eine starke Position innehatte. Ihr Führer war Segestes, der nach wie vor auf die römische Karte setzte. Er saß jetzt auf seinem burgar­tig befestigten Hof und hatte ein kostbares Faustpfand: Thus­nelda, seine Tochter, die Frau des Arminius.

Durch einen Handstreich hatte er sie in seine Gewalt be­kommen und war gewillt, seinen Vorteil zu nutzen. Da erschien Arminius mit einem Trupp ausgesuchter Leute, riegelte die Burg von allen Seiten ab und bereitete sich zum Sturm vor. Ehe er den Befehl dazu geben konnte, sah er sich selbst bedroht. Von einem Feind, der ihm zahlenmäßig über­legen war, und dem er weichen musste. Es waren die Legionen des Germanicus. Er hatte durch Boten von der Belage­rung gehört und war sofort zum Entsatz aufgebrochen. Er tat das nicht, weil er Segestes besonders gemocht hätte, sondern weil die Freunde Roms erfahren sollten, dass Rom sie niemals im Stich lassen würde. Eine wichtige Voraussetzung für die Politik des divide et impera.


Römische Legionäre mit vollen Marschgepäck

Segestes war seinen schlimmsten Gegner los, ohne allerdings genau zu wissen, ob er in Germanicus nicht einen noch schlimmeren fand. Denn er hatte - wenn auch mehr gezwun­gen als freiwillig - am Aufstand gegen Varus teilgenommen, sich also auf die Seite der Feinde Roms geschlagen. Wenn der kaiserliche Prinz nicht ohnehin vorgehabt hätte, die Segestes-Sippe mit Nachsicht zu behandeln, die Rede, die Segestes nach seiner Befreiung hielt, hätte genügt, ihn milde zu stimmen. Die Römer bewunderten niemanden mehr als ei­nen Menschen, der die Rhetorik beherrschte. Einem Feind konnte diese Gabe sogar das Leben retten. In ihrer Geschich­te gibt es Beispiele, dass sie Gnade vor Recht ergehen ließen, wenn jemand sie durch die Macht des Wortes rührte, selbst wenn er ein Barbar war.

Segestes lieferte ein solch rhetorisches Meisterstück, als er ausführte: »Ich glaube, dass ich heute nicht zum ersten mal meine unbeirrbare Treue gegenüber dem römischen Volk be­weise. Seit jenem Tag, da mich der verewigte Augustus mit dem Bürgerrecht beschenkte, habe ich meine Freunde und meine Feinde nur in Eurem Sinne ausgewählt. Das tat ich nicht aus Hass gegen mein Vaterland, denn ich weiß sehr wohl, dass Verräter selbst denen widerwärtig sind, deren Par­tei sie ergreifen. Ich tat es, weil ich überzeugt bin, dass Römer und Germanen im Grunde dieselben Interessen haben, und dass der Friede besser ist als der Krieg. Das war der Grund, warum ich Arminius, den Mann, der meine Tochter geraubt hat, der das Bündnis mit Euch brach, bei Varus verklagt habe. Aber die Schwäche des Feldherrn ließ ihn untätig bleiben, auch dann noch, als ich ihm vorschlug, mich, den Arminius und seine Mitverschworenen in Fesseln zu legen. Jene Unheilsnacht ist meine Zeugin, und ich wünsch­te, sie wäre meine letzte gewesen. Was dann folgte, kann ich nur bedauern, doch nicht entschuldigen. Nun jedoch, da ich die Möglichkeit habe, Euch Auge in Auge gegenüberzutreten, will ich zeigen, dass meine alte Ge­sinnung meine wahre Gesinnung ist und nicht mein späteres Verhalten. Ich tue das nicht, um irgendwelchen Lohn zu ern­ten, ich tue es, um mich von dem Makel der Treulosigkeit zu befreien. Im übrigen fühle ich mich als der berufene Vermitt­ler zwischen Römern und Cheruskern, wobei ich hoffe, dass mein Volk die Reue dem Verderben vorziehen wird.«

Segestes kam auf seinen Sohn zu sprechen, der sein Amt als Priester des Augustus-Altars in Köln damals verlassen hat­te, um zu den Aufständischen zu stoßen, und sagte: »Für die
jugendliche Verirrung des Segimund muss ich Euch um Ver­gebung bitten.« Er wandte sich Thusnelda zu und sagte: »Was meine Toch­ter angeht, so muss ich bekennen, dass sie nicht freiwillig hier bei mir ist.«

Germanicus gewährte Segestes und seiner Familie Straf­freiheit und wies ihnen einen neuen Wohnsitz an auf dem linken Ufer des Rheins, in Gallien. Auch Thusnelda wurde dort untergebracht, sie allerdings unter strenger Bewachung. Er selbst kehrte in sein Hauptquartier zurück, um einen kon­zentrierten Vorstoß mit der gesamten Rheinarmee vorzube­reiten... Trotz aller späteren Siege, das Fernziel einer römischen Grenze an der Elbe wurde wohl nie wieder anvisiert. Außer römischen Händlern marschierte nie wieder eine Legion an die Elbe, obwohl bereits Varus es in der Hand hatte, völlig unbeschadet die Winterlager zu erreichen. Kein einziger Wachturm hätte gebrannt, wenn er Arminius mit Segestes zusammen festgesetzt hätte. Und im folgenden Jahr war ohnehin Tiberius wieder in Germanien...