Die Festung Lüttich als Zeitfaktor

Real begann die große Niederlage 1914 auf dem rechten Flügel des Schlieffenplans, also ausgerechnet dort, wo man zuvor schon wusste, dass seine Stärke feldzugentscheidend war. Und zwar hinsichtlich seiner Schlagkraft, die eine zügige Umfassung von Paris garantieren sollte. Als Anfang September 1914 westlich von Paris erschöpfte deutsche Truppen auf neu gruppierte Franzosen und Briten trafen, rächten sich jetzt die Folgen von Moltkes Fehlentscheidungen. Im Nachhinein wurde er so zum falschen Mann zur falschen Zeit auf dem falschen Posten, obwohl er ohne Not auch die richtigen Entscheidungen hätte treffen können.


Generalstabschef Helmuth von Moltke - er war tatsächlich der falsche Mann für den Oberbefehl des deutschen Heeres. Dazu kommt noch seine Rolle als eigenmächtiger Kriegstreiber

Das deutsche Kaiserreich musste in einem Krieg gegen die Entente einen längeren Zweifrontenkrieg vermeiden, denn er wäre auf Dauer nicht zu gewinnen. Daher sollte, so Grundidee des ehemaligen Generalstabschefs Alfred von Schlieffen (1833–1913), die militärische Auseinandersetzung mit den kontinentalen Großmächten Frankreich und Russland in zwei nacheinander zu führende Einfrontenkriege aufgespalten werden. Das setzte einen schnellen Triumph im Westen voraus. Vorbild war der schnelle Sieg über die Armeen Napoleons III. 1870, der bereits nach vier Wochen geschlagen war und abgedankt hatte. Weitgehend an diesem 44 Jahre alten Beispiel orientiert, konzipierte der Generalstab den Feldzug gegen Frankreich 1914.


Was heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist: Schlieffen wollte auch durch Holland marschieren, um die Festung Lüttich zeitsparend zu umgehen!

32 bis 35 Tage nach der Mobilisierung sollten die deutschen Truppen nach dem Durchmarsch durch das neutrale Belgien in Nordostfrankreich die gegnerischen Armeen zur Entscheidungsschlacht stellen. Verschiedenen Kriegsspielen zufolge würde das zwischen den Flüssen Marne und Seine südöstlich von Paris der Fall sein. Gleichzeitig hatte Schlieffen vorgesehen, mit einer großen Zangenbewegung Paris zu umfassen und vom Rest des Landes abzuschneiden. Das würde die Moral des Gegners erschüttern. Dafür musste der rechte Flügel der Angreifer so stark wie möglich sein.

Eine sofortige Eroberung der Hauptstadt war dagegen nicht vorgesehen. Auch im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 hatten die preußischen Armeen die Metropole 131 Tage lang belagern und beschießen müssen, bis sie kapitulierte.

Entscheidende Bedeutung kam in dem Plan der deutschen 1. und der 2. Armee zu, die den weitesten Weg hatten: Sie sollten beiderseits von Lüttich durch Belgien vorstoßen und in einem großen Schwung westlich und östlich um Paris herummarschieren. Dann könnte die 1. Armee das Gros der französischen Armeen aus dem Rücken angreifen. Ein perfekter Plan – wenn er denn funktioniert hätte. Der Schlieffen-Plan hat seit Ende des Ersten Weltkriegs seinen eigenen Mythos entwickelt. Tatsächlich war der deutsche Kriegsplan 1914 längst kein originaler Plan des Alfred von Schlieffen mehr. Der Chef des Großen Generalstabs, Helmuth von Moltke, bezog sich auch ausdrücklich auf seinen Vorgänger und modifizierte ihn nach seinen Vorstellungen. Auch bei ihm sollte die Hauptmasse des Heeres zuerst offensiv gegen Frankreich eingesetzt werden und, um die französischen Befestigungen zu umgehen, über Belgien geführt werden.

Moltkes Modifikation war jedoch der berechtigten Furcht vor einer Blockade geschuldet, wofür er die Neutralität der Niederlande aufrecht erhalten wollte. Das machte jedoch eine handstreichartige Eroberung von Lüttich unerlässlich, die Schlieffen ursprünglich über Holland umgehen wollen. Seit 1913 galt deshalb nur noch ein einziger Aufmarschplan, der sich auf den Westen konzentrierte. Und so marschierten im August 1914 70 deutsche Divisionen gen Westen, während nur neun Divisionen für eine Verteidigung der Ostgrenze blieben. Die kaiserliche Hochseeflotte spielte weder bei Schlieffen noch bei Moltke eine Rolle, ein Fehler wenn man etwa an die Ostsee denkt, um dort die russische Flotte und ihre Häfen zu zerstören. Dazu kam noch, dass sogar die Hauptstadt Petersburg beschossen werden konnte, wenn man sich nur dazu entschlossen hätte!

Da Moltke im Unterschied zu Schlieffen nicht davon ausging, dass Frankreich sich defensiv verhalten würde, veränderte er den Plan in einer Weise, die ihm als „Schwächung des rechten Flügels“ später zum Vorwurf gemacht wurde. Der Verzicht auf die Grenzverletzung der Niederlande hieß, dass sich der rechte Flügel durch den engen Raum zwischen Aachen und der Südgrenze der Provinz Limburg hindurchzwängen musste: 600.000 Mann der 1. und 2. Armee samt Pferden, Ausrüstung, Verpflegung durch ein nur wenige Kilometer breites Nadelöhr.

Bis dahin war zunächst alles nach Plan gelaufen. In einer „administrativen Meisterleistung“ (Ian Morris) hatte man 8000 Eisenbahnzüge requiriert und 1,6 Millionen Soldaten und eine halbe Million Pferde an die deutsche Westgrenze transportiert. Von dort aus überrannten die deutschen Armeen in gewaltigen Tagesmärschen das neutrale Belgien, nur die Festung Lüttich fraß dem dem deutschen Plan entscheidende Zeit weg, die ihr vor Paris fehlen sollte.

Der australische Historiker Christopher Clark („Die Schlafwandler“) bedenkt mit Spott, dass die ordentlichen Deutschen vorher höflichst bei der belgischen Regierung nachgefragt hatten, ob sie gütigst das Durchqueren des Landes gestatte, da man nur so einen Angriff Frankreichs, ebenfalls durch Belgien, abwehren könne. Diese Anfrage zwang den belgischen König Albert I. zu einer deutlichen Antwort. „Wenn Moltke mit den Streitkräften einfach durch den Süden Belgiens marschiert wäre, hätte man den Bruch der Neutralität noch mit der militärischen Notwendigkeit rechtfertigen können.“ So aber wurde das Überraschungsmoment vermasselt und auch jener diplomatischer Vorwand geliefert, der England in den Krieg hineinzog.

Ursprünglich war es Moltkes Absicht den Einmarsch nach Belgien um eine Woche vorverlegen und entwarf dafür auch das Ultimatum an Belgien, das schon am 26. Juli ans Auswärtige Amt ging. Am Morgen des 3. August teilte er Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg mit, dass am nächsten Tag deutsche Truppen in Belgien einmarschieren würden, und empfahl, dies der belgischen Regierung bekanntzugeben, jedoch ohne Kriegserklärung, weil er hoffe, es könne mit der belgischen Regierung (Premierminister war Charles de Broqueville) noch zu einer Verständigung kommen. Doch im Verlauf der ersten Kriegswochen brach Moltke nervlich zusammen. Entscheidenden Anteil daran hatte der Kaiser gehabt, der am Vorabend der ersten Kampfhandlungen aufgrund einer unzutreffenden Meldung des deutschen Botschafters in London, nach der die Briten die Neutralität Frankreichs garantierten, wenn Deutschland Belgien unbehelligt ließe, den Abbruch der Militäraktionen gegen Belgien forderte, und der daraufhin die planmäßige Entfaltung der deutschen Kräfte für Stunden gestoppt hatte. Von dem als dilettantisch empfundenen Eingreifen in entscheidender Stunde konnte sich Moltke nie wieder ganz erholen.

Ob die Holländer tatsächlich gewährt oder gekämpft hätten, wäre auf jeden Fall zweitrangig gewesen, denn der Zeitgewinn einer nur belagerten Festung Lüttich, während die Hauptmacht einfach weitergezogen wäre, reichte sicher aus, dass alle feindlichen Gegenreaktionen vor Paris zu spät gekommen wären. Zum einen in Bezug auf Joffres Reservearmee vor Paris und zum anderen zu Moltkes Entscheidung Mitte August von der 1. und der 2. Armee je ein Armeekorps abzuziehen, um sie nach Ostpreußen zu transportieren.


Die Einnahme von Lüttich kostete dem deutschen Heer insgesamt 12 Tage Zeit. Ein vermeidbarer Fehler war die deutsche Durchmarschanfrage, wenn man sich zeitgleich seit 1908 den Handstreich auf Lüttich vorbereitet hatte. Das passt also nicht wirklich zusammen, denn die erwartete negative Antwort löste die Generalmobilmachung Belgiens aus, worauf bis zur Ankunft erster deutscher Einheiten 40000 Soldaten rund um Lüttich konzentriert werden konnte. Damit misslang auch Moltkes erhoffter Handstreich




Real am 24.8. gefallen, wäre das sehr viel früher geschehen, wenn entweder holländisches Gebiet mit einbezogen wäre, oder ein tatsächliches Überraschungsmoment für den Handstreich auf Lüttich existiert hätte. Die beiden britischen Expeditionskorps unter General French hätten keine Rolle gespielt, wenn Lüttich und Namur nur blockiert und das Heer noch in der ersten Augustwoche nach Frankreich eingefallen wäre.

Welche Zeit kosteten die belgischen Festungen Lüttich und Namur? Schlieffen wollte sie im Rahmen des Vormarsches durch den deutschen „Schwenkungsflügel“ nur blockieren, womit sie zeitsparend nicht zwingend eingenommen werden mussten! Insgesamt kostete die Einnahme von Lüttich und seiner Außenforts 12 Tage, die für die Einkreisung von Paris locker gereicht hätten. Zum einen wäre das britische Korps noch nicht eingreiffähig gewesen und zum anderen die französische Reservearmee unter Joffre noch nicht aufgestellt.

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Wenn Moltke auf Ludendorff gehört hätte


Alfed von Schlieffen
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Als am 1. Januar 1906 Helmuth von Moltke, als Neffe des Siegers von Sedan, den Posten des Generalstabschefs übernahm, musste zuvor Schlieffens Widerstand gebrochen werden, denn mit Moltke kam ein Mann auf seinen Posten, der absolut kein brillanter Kopf war. Doch der Kaiser vertraute ihm und half ihm, die Nachfolge von Schlieffen anzutreten, der über seine Verabschiedung sehr unglücklich war. Moltke war sich noch nicht einmal sicher, ob er die enorme Last überhaupt übernehmen wollte, in die Fußstapfen seines berühmten Onkels zu treten. Aber Moltke war sicherlich nicht der Schwächling, als den ihn seine späteren Kritiker gerne hinstellten. So gelang es ihm sogar, als Vorbedingung für seine Amtsübernahme den launischen und im Grunde kindischen Kaiser davon zu überzeugen, bei künftigen Kaisermanövern nicht mehr selbst zu führen. Schlieffen hatte das nie geschafft. Moltke war jedoch nicht der Mann, der eine radikal neue operative Planung ausgearbeitet hätte. Er verharrte vielmehr grundsätzlich bei den Entwürfen seines Vorgängers und wagte es nicht, den Schlieffenplan trotz seiner offensichtlichen Mängel aufzugeben. Statt dessen versuchte er sich und anderen einzureden, dass es keine Alternative zu Schlieffens Feldzugsplan gäbe. Dennoch waren Moltke einige Aspekte des Schlieffenplans offenbar nicht ganz geheuer.

Ab 1908 begann Moltke demgemäß signifikante Veränderungen im Detail vorzunehmen. So verlegte er Truppen vom offensiven rechten Flügel nach Süden, um die Verteidigung der Saarregion und Elsass-Lothringens zu stärken. Darüber hinaus gab er Schlieffens Idee auf, neben der Neutralität Belgiens auch noch die der Niederlande zu verletzen. Der Angriff sollte nunmehr ausschließlich durch Belgien und nicht mehr durch die Provinz Limburg geführt werden. Da dies jedoch eine wesentliche Verengung der Vormarschroute für die deutschen Armeen beinhaltete, wurde damit die Notwendigkeit verstärkt, die belgische Infrastruktur intakt in die Hände zu bekommen. Gemeinsam mit Oberst Erich Ludendorff arbeitete Moltke deshalb Pläne für einen Überraschungsangriff auf Lüttich aus. Dieser wichtige Verkehrsknotenpunkt sollte aus dem Stand heraus erobert werden, noch bevor die mobilisierten deutschen Truppen vollständig aufmarschiert waren.

Nach dem Wilhelm II. bekannten Plan sollte der rechte Flügel der deutschen Angreifer innerhalb von fünf Wochen im Norden durch die neutralen Nachbarländer Belgien, Niederlande und Luxemburg stoßen, die französischen Armeen einkesseln und Paris umfassen. Dafür sollte der rechte Flügel siebenmal stärker sein als der linke, der nur defensiv zu agieren hatte. Unter Schlieffens Nachfolger Helmuth von Moltke wurde diese Kräfteverteilung so zusammengestutzt, dass der rechte nur noch dreimal stärker war und dafür der linke Flügel verstärkt wurde. Der Gesamtplan ließ vor allem außer Acht, dass die Briten bei einem Angriff auf Belgien nicht neutral bleiben, sondern Deutschland den Krieg erklären würden, zudem unterschätzte Moltke die Möglichkeiten, dass die Russen schnell mobilisieren und Deutschland im Osten angreifen könnten, bevor der Krieg im Westen entschieden war.


Am 20.8.1914 wurde Brüssel besetzt, mit dabei österreichische Belagerungsartillerie, die Namur unerwartet schnell kapitulieren ließ.

War also unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch eine Umfassung von Paris möglich? Die verlorenen 12 Tage, die der misslungene Handstreich auf Lüttich bis zur tatsächlichen Eroberung gekostet haben, waren unwiederbringlich verloren und damit alle Chancen, die man damit verspielt hatte. In dieser Zeit kämpfte man schon um die Festung Namur und in den Stäben ging man von einem ähnlichen Zeitrahmen aus, bis sie in deutscher Hand war. Doch die Schlacht bei Namur endete am 23.8.1914 mit einem deutschen Sieg und nur einen Tag später war Namur mit seinen neun Außenforts erobert, was für den weiteren Vormarsch günstige Bedingungen bedeutete. Zudem befanden sich die Mons geschlagenen Briten auf den Rückzug und auch die Franzosen zogen sich unter General Fournier auf Maubeuge zurück.



Für Moltke bot sich mit der Einnahme von Namur eine Gelegenheit an, das bedrohte Ostpreußen mit Truppen von rechten Flügel zu verstärken. Um die Russen in Ostpreußen aufzuhalten, hatte Moltke schon am 22. August Ludendorff nach Ostpreußen entsandt, der mit Hindenburg zusammen den unglücklichen Prittwitz ablösen sollte. Zur Verstärkung der 8. Armee entnahm er dem entscheidenden rechten Heeresflügel, der 2. und 3. Armee, je ein, für die geplante Schlacht um Paris unentbehrliches Armeekorps und riss mit ihrem Abzug nach Osten eine breite Lücke in die deutsche Marne-Front. Diese Lücke wurde von den Franzosen erkannt und führte am Ende zum deutschen Rückzug von der Marne.

War aber diese erneute Schwächung des rechten Flügels durch Moltkes eine selbstherrliche Entscheidung, die von den Befehlshabern der betroffenen Armee gebilligt wurden?


Protestierte erfolglos gegen Moltkes Verlegungsirrsinn: General Erich Ludendorff

Ludendorff wurde bereits am 22.8. 1914 mit einem Kraftwagen aus der Gegend von Namur in das Große Hauptquartier nach Koblenz geholt, wo er gegen 18 Uhr eintraf. Hier erfolgte bereits eine Unterredung mit Moltke, ob die Verlegung von Truppen vom rechten Flügel der Westfront bereits besprochen wurde ist unbekannt und dürfte angesichts der noch nicht erfolgten Einnahme von Namur auch noch kein Thema gewesen sein. Ein Sonderzug, in den Hindenburg in Hannover zustieg, beförderte beide darauf Richtung Osten. Als von Hindenburg und Ludendorff am 23. August im westpreußischen Marienburg ankamen, stoppten sie sofort den Rückzug und und begannen die vorhandenen deutschen Truppen so zu verschieben, dass man mit ihnen der russischen Armee unter Samsonov eine Falle stellen konnte.


Deutsche Truppen beim Fußmarsch an der Westfront (1914) - So mussten auch die zwei Armeekorps von Namur nach Aachen zurückmarschieren, die Moltke sinnlos an die Ostfronst verlegte und für Tannenberg, wie angekündigt zu spät kamen.

Zur gleichen Zeit wurde an diesem Tag die Schlacht von Namur gewonnen und Ludendorff erfuhr an diesem Tag auch, dass von Moltke beschlossen hatte, drei Armeekorps und eine Kavallerieabteilung von der Westfront nach Osten zu verlegen. Das wurde ihm telefonisch von Moltke mitgeteilt, worauf Ludendorff energisch protestierte. Nach seiner Meinung würden sie für den bevorstehenden Kampf gegen Samsonov zu spät kommen, um etwas zu bewirken. Gleichzeitig würde eine solche Verlegung den Kampf gegen Frankreich schwächen, den es würde so erneut der rechte Flügel geschwächt werden. Von Moltke hielt jedoch Ostpreußen politisch für zu wichtig, um es an die Russen zu verlieren und ignorierte die Proteste von Ludendorff. Im Telefongespräch sagte er das Ludendorff nicht, doch als am nächsten Tage auch die Festung Namur fiel waren die Würfel für Moltke gefallen und er entschied sich nur noch zwei Armeekorps Richtung Ostfront abzuziehen: das XI. Armeekorps und das Garde-Reserve-Armeekorps!

Am 25. August war man in der deutschen Obersten Heeresleitung (OHL) immer noch so optimistisch, dass man endgültig den Abzug der beiden Armeekorps zur Ostfront beschloss, die zuvor die Festung Namur belagert hatten. Von den benannten Verbänden war das XI. Armeekorps bis zu diesem Zeitpunkt noch völlig unverbraucht und hatte an keinem einzigen Kampf teilgenommen. Da ein Transport mit der Eisenbahn nicht möglich war, mussten die Soldaten zu Fuß von Namur nach Aachen marschieren. Sie kamen wie von Ludendorff prophezeit für Tannenberg zu spät, wo Samsonovs Armee sogar vernichtet wurde.

Diese letzte Schwächung des rechten Flügels des Westheeres war Moltkes größter Fehler, denn beide Korps sollten bald bitter vermisst werden! Hätte hingegen Moltke sein unnützes Vorhaben aufgegeben, oder auch Namur erst nach dem Sieg bei Tannenberg (30.8.1914) kapituliert, wären beide Korps im Westen verblieben. Es wäre keine Lücke an der Marne entstanden und von Kluck hätte tatsächlich Paris westlich umgehen können und in diesem Vormarsch auch die Briten von den Franzosen getrennt.

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Die Mission des Richard Hentsch und der 9. September 1914

Als im Westen der kriegsentscheidende Abmarsch des XI. Armeekorps und des Garde-Reserve-Korps Richtung Aachen begann, musste darüber auch Ludendorffs Ostfront HQ in Marienburg informiert werden. Zwischen dem 26.8. und 29.8 herrschte während der entscheidenden Tage der Tannenbergschlacht auch nachts immer eine fieberhafte Tätigkeit. Gegen elf Uhr nachts meldet sich am Fernsprecher das Hauptquartier in Koblenz. Am Apparat ist Oberst Tappen. Ludendorff reicht Hoffmann den zweiten Hörer hinüber, damit er für dieses Gespräch einen Zeugen hat. Tappen erklärt, dass er auf Grund einer Unterredung mit Seiner Exzellenz General von Moltke nicht drei Armeekorps, wie zugesagt, sondern nur zwei abtransportieren lasse, dass er das Garde-Reserve-Korps und das XI. Korps schicke, das V. Armeekorps aber im Westen behalte.

Ludendorff etwas ärgerlich:
"Diese Verstärkung ist momentan, wie ich schon erklärte, unnötig. Es wäre besser, Sie würden auch diese beiden Korps im Westen behalten, zur Schlacht kommen sie ohnehin zu spät. Lassen Sie also die Korps dort, Sie werden sie im Westen nötiger haben!"

Der Abtransport dieser Truppen nach dem Osten ist aber bereits im Gange. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Während im Osten der vollständige Sieg errungen ist, öffnet man den verzweifelt kämpfenden Franzosen kurz vor der Entscheidung durch die Herausnahme dieser Korps eine Gasse und macht damit erst das Wunder an der Marne möglich, dass die Franzosen und Engländer am meisten verwunderte. Tappen war sicher auch außer Stande etwas zu verändern und doch war das noch einmal eine mit Nachdruck formulierte Absage Ludendorffs gegen diese sinnlosen Verstärkungen. Denn auch er wusste: Wird Frankreich geschlagen, kann das gesamte Westheer gegen Russland geworfen werden und auch dort wäre es nie zu einem Stellungskrieg gekommen. So aber näherte sich dieses Heer jetzt Paris und war trotz dieser Schwächung noch immer optimistisch den Gesamtsieg über Frankreich zu erringen. Noch am Abend des 7.Septembers hatte der Kaiser die Weisung ausgegeben: "Angreifen, solange es geht - auf keinen Fall einen Schritt zurück!"


Wenige Tage später: Die Marneschlacht tobte auf 400 Kilometern Länge, mit Taxis wurden Truppen an die Front gekarrt: Paris stand Anfang September 1914 vor dem Fall! Doch den angreifenden Deutschen wurde aus heiterem Himmel der Rückzug befohlen. Bis heute ist unklar, wie es zu der bizarren Order kam - die den Lauf der Geschichte änderte.

Schon in den ersten Wochen zeigte der große Krieg der europäischen Staaten seine Unmenschlichkeit. Frankreich, das von Anfang an mit aller Kraft kämpfte, erlebte den blutigsten Tag seiner Geschichte. Vom 20. bis 23. August 1914 verloren seine Armeen etwa 40.000 Mann an Toten, 27.000 davon am 22., einem Samstag. Die industriell erzeugten Waffen, vor allem die moderne Artillerie, kosteten entsetzliche Verluste. Im Osten, im österreichisch-ungarischen Galizien (heute in der Ukraine) trafen die Truppen Kaiser Franz Josephs auf russische Armeen. Dort wurden bereits in den ersten Wochen so viele Truppen vernichtet, dass Arthur von Bolfras, der Generaladjutant des Kaisers in Wien, kommentierte: "Mars ist sehr gefräßig geworden."

Die französische Armee begann den Krieg mit einer Offensive auf die damals deutschen Teile Lothringens. Die Angriffe scheiterten, vor allem bei Saarburg und Mörchingen erlitten die Franzosen schwere Verluste. Bereits nach wenigen Tagen erstarrte die Front zwischen Mülhausen und Verdun.


Die Deutschen bei der 1.Armee im Vormarsch

Doch die deutschen Armeen drangen über Belgien nach Nordfrankreich vor. Anfang September standen sie vor Paris, hatten die Marne überschritten und Reims eingenommen. Die Hauptstadt war bedroht, die Deutschen griffen nach dem Symbol von Frankreichs Macht, nach dem Kern seiner Industrieproduktion und dem Knotenpunkt seiner Verkehrswege. Am 6. September ordnete Generalstabschef Joseph Joffre den Gegenangriff an. Im Befehl wies er seine Soldaten an, "das eingenommene Gelände zu halten, koste es was es wolle, und sich eher an Ort und Stelle töten zu lassen als weiter zurückzuweichen". Die Order löste einen gigantischen, noch nie erlebten Kampf aus, der sich über 400 Kilometer vom Elsass bis Meaux unweit Paris über mehrere Tage ereignete. Es kam nicht zu einer Schlacht, sondern eine tobte neben der anderen, und die Oberkommandos beider Seiten hatten Schwierigkeiten, den Überblick zu erlangen.

Joffre verstärkte seine Truppen vor Paris durch eine riesige Rochade mit der Eisenbahn, die Division um Division von Lothringen in den Westen brachte, wo die Entscheidung sich anbahnte. Im Gegensatz zum französischen Oberbefehlshaber war sein Gegenspieler Helmuth von Moltke weit ab von den Geschehnissen, Hunderte von Kilometern entfernt im deutschen Hauptquartier in Luxemburg. Dort erfuhr der preußische Kriegsminister Erich von Falkenhayn am Morgen des 9. September, es gebe keinerlei Nachrichten von der Front. Wie er berichtet, ging er daraufhin zu von Moltke, "weil mir das unglaublich erschien. Aber das Unglaubliche ist wahr. Moltke hat seit gestern früh nur eine Meldung von den Armeen 1-5."


Viel beschrieben und überbewertet: Die Pariser Taxis, die Soldaten an die Front fuhren, doch dieser Frontabschnitt wurde von der 1.Armee durchbrochen!

Trotzdem schienen am 9. September die Dinge für die Deutschen gut zu stehen. Vor der französischen Hauptstadt, bei Nanteuil-le-Haudouin, hatten sie die feindlichen Linien durchbrochen - obwohl diese sogar mit Hilfe von Taxis verstärkt wurden, die Soldaten direkt an die Front fuhren. Weiter im Osten, am Rand der Champagne, hatten die Truppen Kaiser Wilhelms II. die Sümpfe von St-Gond passiert und La-Fère-Champenoise eingenommen. Sie hatten die Armee von General Ferdinand Foch zurückgedrängt, der gut vier Jahre später das deutsche Gesuch um Waffenstillstand entgegennehmen sollte. In der wohl gründlichsten Schilderung der Geschehnisse an der Marne aus französischer Sicht kam Henry Contamine zum Schluss: "Die Armee Foch war die einzige, die von den fünfzehn auf beiden Seiten aufgereihten besiegt war."


Die Lage des Westheeres vor Paris und an der Marne am 8.September - Von der 9. Armee unter Foch drohte keine Gefahr, sie war zu dieser Zeit aus alliierter Sicht vernichtet.

In diesem Moment kam die Order zum Rückzug. Beunruhigt durch die Schwere der Kämpfe und die eigenen Verluste hatte von Moltke einen Generalstabsoffizier, Oberstleutnant Richard Hentsch, zu den Armeen im Brennpunkt geschickt, um die Lage zu klären. Die Mission führte zu einem der seltsamsten, zugleich entscheidendsten Befehle der Weltgeschichte. Die Truppen, die sich an vielen Punkten als Sieger fühlten, folgten der Anweisung zum Rückzug oft ungläubig, zum Teil erst nach mehrfachen Nachfragen.

Selbst eine Untersuchung, die noch während des Krieges durchgeführt wurde, konnte nicht klären, was genau sich ereignet hatte. Auch noch lange nach Kriegsende andauernde, zum Teil erbittert geführte Diskussionen konnten daran nichts ändern. Bis heute steht nicht einmal fest, wann genau und von wem der Befehl an die deutschen Armeen gefasst wurde, die erreichten Positionen zu räumen. Moltke ist 1916, Hentsch 1918 gestorben. Darüber hinaus verwickelten sich die Beteiligten in schwere Widersprüche.

Moltke war zu dieser Zeit von Sorgen bedrückt. In einem Brief an seine Gattin vom 7. schreibt er über die Last, die er zu tragen hätte und das ihn ein Grauen überkäme, wenn er an die Ströme von Blut denke, die schon geflossen seien (Moltke "Erinnerungen, Briefe, Dokumente"). So trug die Nachricht von der 1. Armee, dass diese am 8. September den Erfolg sicherstellen könnte, zuerst zu einer Besserung seiner Stimmung bei. Aber sein Blick galt weiterhin, und zwar zu Recht, der Lücke, die sich zwischen der 1. und 2. Armee aufgetan hatte. Und genau hier hätte er die beiden Armeekorps seit dem 24. 8 einschieben können, die er Richtung Ostfront abkommandiert hatte. Auch schien die Lage bei der 2.Armee kritisch zu werden, der zuvor das Garde Reserve Korps unterstand.

Zu dieser Zeit meldeten Flieger, dass das westliche Belgien und Nordfrankreich feindfrei sei. Also konnte man Heeringen endlich den Befehl endlich erteilen, dass seine 7.Armee aus dem südlichen Elsaß herausgezogen werden kann und an die rechte Flanke des Heeres umgruppiert werden soll. Moltke entschloss sich zu einer Besprechung, an der Oberst Tappen als Chef der Operationsabteilung, der Chef der politischen Abteilung, Oberst v. Dommes, und der Chef der Nachrichtenabteilung, Oberstleutnant Hentsch teilnahmen. Bedeutsam ist, dass der Generalquartiermeister v. Stein, der formelle Vertreter des Chefs des Generalstabes, nicht zu dieser Besprechung befohlen war. Erstaunlich ist auch, dass letzterer in seinem Buch "Erlebnisse und Betrachtungen aus der Zeit des Weltkriegs" nicht mit einem Wort auf diesen wichtigen Umstand eingeht!

Bedenklich stimmte Moltke, dass der Schlußsatz der Meldung des AOK 2 vom Vortage lautete: "Armee hat infolge starker Verluste nur noch Gefechtskraft von drei Korps." Aber, hatte die Armee damals nicht nur 3 1/2 Korps in der Front? Folglich konnten die Verluste doch nicht so dramatisch sein! Der Chef des Generalstabes kam immer wieder auf diesen Satz zurück. Tappen und Dommes konnten ihn schließlich umstimmen, indem sie auf die Tapferkeit und Durchhaltekraft der Truppen verwiesen. Nur Hentsch beurteilte die Gefahr der Lücke negativer, als seine beiden Kollegen, äußerte sich jedoch nicht nach den Aussagen von Tappen und v.Dommes während der Besprechung. Schließlich wurde der Entschluss gefasst, dass "jemand" die Lage vor Ort, also bei den AOK's prüfen solle. Aber wer sollte fahren? Moltke und Tappen waren unabkömmlich, also bot sich Oberst v.Dommes an zu fahren, da er am entbehrlichsten erschien. Aber Moltke entschied sich für Hentsch, nicht zuletzt aus dem Grunde, "weil dieser schon einmal dort war" (General Kabisch, Marneschlacht).


Richard Hentsch - seine dubiosen Rückzugsbefehle kosteten den Sieg an der Marne

Es ist sicher, dass der Generalstabsoffizier Hentsch im Lauf des 8. September mehrere Armeen besuchte. Bei der 2. stellte er fest, dass zur benachbarten 1. Armee eine etwa 30 bis 40 Kilometer breite Lücke entstanden war. Der Befehl bedeutete, dass die deutsche Seite genau in jenem Moment die Schlacht abbrach, als sie ihrer Entscheidung zustrebte. Dabei bleibt ungewiss, ob der Befehl die Deutschen vor einem Desaster bewahrte oder einen Triumph verhinderte. In die Lücke waren Teile des britischen Expeditionskorps und französische Truppen eingedrungen, so dass eine Bedrohung im Rücken der deutschen Armeen möglich schien. Andererseits war nicht auszuschließen, dass die Deutschen sich behauptet hätten - dann wäre aus der Lücke eine Falle geworden. Und wie auch immer das ausgefochten wurde, die herausgezogene 7. Armee hätte man ebenfalls noch im September in diese Entscheidungsschlacht werfen können, denn real befand sich ab dem 13. September 1914 das Hauptquartier der 7. Armee in Laon, womit sie auf dem rechten Flügel stand.


Josias von Heeringen, der Befehlshaber der 7. Armee - Seine Armee stand bereits in der zweiten Septemberwoche auf dem rechten Flügel. Ohne Rückzugsbefehl, hätte sie in einer völlig anderen Marneschlacht noch entscheidend eingreifen können.

Entweder am Abend jenes Tages oder am darauf folgenden Morgen muss die Entscheidung gefallen sein. Sowohl die Rolle Hentschs als auch die des Chefs der 2. Armee Karl von Bülow bleibt dabei im Dunkel. Es gibt keine Protokolle der entscheidenden Besprechungen. Gewiss ist nur, dass Hentsch am späten Vormittag des 9. September auch den Rückzug der vor Paris stehenden 1. Armee durchsetzte, da deren Nachbararmee bereits begonnen habe, ihre Stellungen aufzugeben. Am Tag nach dem Rückzugsbefehl stellte der Chef des kaiserlichen Militärkabinetts Moriz von Lyncker fest, sollte der Feldzug doch noch gewonnen werden, so wäre es "das Verdienst der Truppe, nicht aber des Generalstabs". Auch für ihn waren an jenem Tag die Schuldigen bereits ausgemacht, denn die Führung habe nicht gut gearbeitet, und man könne "jetzt wohl ohne Widerspruch behaupten, die Zügel schleiften am Boden". Die Heeresleitung war in den entscheidenden Tagen vor Paris nicht in der Lage, sich auf schnellstem Wege Nachrichten zu beschaffen und Befehle zu übermitteln. Das deutsche Heer blieb ohne Koordinierung, ja ohne Führung. Der Stabschef der 1. Armee Hermann von Kuhl berichtete: "Vom 5. bis 9. September schwieg die O.H.L."

Eine Reihe von Berichten deutet darauf hin, dass der Chef der Obersten Heeresleitung während jener Septembertage eine schwere persönliche Krise durchlebte, ja unter der Last der Verantwortung zusammenbrach. Am Tag nach der Entscheidung versuchte Moltke etwas auf der Karte zu zeigen, was ihm kaum gelang, da seine Finger wild zitterten, und er versuchte Befehle auszusprechen, die seine Umgebung nur schwer verstand. Contamine urteilte in seinem Buch zur Marneschlacht, der deutsche Generalstabschef habe nicht nur den Überblick verloren, sondern sogar begonnen, Angriffe des angeschlagenen Gegners an verschiedenen Punkten zu sehen - was als "vollständig eingebildet" anzusehen war.

Mit anderen Worten: Moltke und sein Favorit Hentsch haben maßgeblich die deutsche Niederlage an der Marne verschuldet. Ohne die Mission Hentsch, wäre die Schlacht an der Marne ausgefochten worden und erst recht, wenn statt Hentsch der optimistischere Oberst v. Dommes gefahren wäre.


Primärquelle: https://www.spiegel.de/geschichte/erster...g-a-948460.html

Der Weg zum Westsieg (1914)

Schon am 13. August flatterte eine Aufklärungsmeldung beim deutschen OHL, die zunächst beunruhigen sollte: So meldeten Patrouillen, das britische Expeditionskorps unter Feldmarschall Sir John French sei am 13. August in Ostende, Calais und Dünkirchen an Land gegangen -- in Wahrheit hatte es sich in Boulogne, Rouen und Le Havre ausgeschifft. Es war also auf dem Festland, nur viel weiter Weg von der Front. Auswirkungen hatte das kaum, als die Briten schließlich erstmals auf die Deutschen bei Mons trafen, wurden sie verlustreich zurückgeworfen, womit sie ihre Feuertaufe in den Sand gesetzt hatten.


Deutsche Marnestellung (1914)

Anfang September war die Lage der französischen Armee verzweifelt. Ihre eigene Offensive war gescheitert, halb Nordfrankreich war von den Deutschen besetzt. Lille war gefallen, Cambrai, Arras, Amiens - sogar Reims, die Krönungsstadt der französischen Könige. Die Deutschen hatten die Sambre und die Somme überschritten, ebenso Oise und Aisne und bedrohten Paris. Am 2. September floh die Regierung aus der Hauptstadt nach Bordeaux. Der französische Oberbefehlshaber, General Joseph Joffre, erwog, seine Truppen hinter die Seine zurückzunehmen und Paris aufzugeben. Nur ein Fluss lag noch vor den Deutschen: die Marne.

Die Franzosen nennen das, was in der zweiten Septemberwoche an der Marne und ihren Nebenflüssen - der Ourcq, dem Petit Morin, dem Grand Morin - geschah, bis heute "das Wunder an der Marne". Und sicher glich es einem militärischen Wunder, dass die britischen und französischen Truppen die Deutschen dort in einem letzten Aufbäumen aufhalten konnten. Ein Wunder für das Moltke und Hentsch verantwortlich waren!

Doch es gab auch profanere Gründe: Zum einen waren die deutschen Soldaten nach der Hatz durch Nordfrankreich ebenso abgekämpft und müde wie ihre Gegner. Zum anderen waren die britischen und französischen Armeen zwar schwer angeschlagen, aber eben nicht besiegt. Der lange Rückzug verlief einigermaßen geordnet, es war keine Flucht. Die einzige Armee, die aus alliierter Sicht als vernichtet galt, war Fochs 9. französische Armee, die der 2. Armee unter Generaloberst Max Freiherr von Hausen gegenüberlag.


Deutsche Infanterie in den Argonnen (1914)

Moltke selbst war trotz aller Siegesmeldungen beunruhigt, weil die Deutschen nur wenige französische Gefangene gemacht hatten. Die französische Armee, so Tuchman, war in ernster Gefahr, aber sie "war weder gebrochen noch vom Feind eingeschlossen; sie kämpfte hart, und Joffre ließ keinen Zweifel daran, dass er weiterzukämpfen gedachte". Einen Dienst erwies den Alliierten zudem der deutsche General Alexander von Kluck, Kommandeur der 1. Armee, jenes Truppenverbands, der am äußersten rechten Rand des deutschen Angriffsflügels marschierte. Anstatt sich an Moltkes Befehl zu halten und Paris im Westen zu umgehen, verfolgte Kluck verbissen die britischen und französischen Truppen, um sie einzukesseln und zu vernichten. Dabei marschierte er östlich an Paris vorbei und stieß - wiederum entgegen seinen Befehlen - sogar bis über die Marne nach Süden vor. Als französische Aufklärungsflieger Klucks Marschroute meldeten, konnten die Generäle ihr Glück kaum fassen: Der deutsche General bot der Garnison Paris seine offene Flanke dar. Warum Kluck ostwärts von Paris einschwenkte, statt war jedoch nicht einer sturen Verfolgungsjagd geschuldet, sondern er kam einem Hilferuf der 2. Armee unter Bülow nach.

Bereits am 17. August hatte Moltke zwar Bülow auch die 1. Armee unterstellt, doch der aggressiv-ehrgeizige Kluck verweigerte Bülow so heftig den Gehorsam, dass Moltke schon zehn Tage später am 27. August seinen Befehl zurücknahm. Der sensible Generalstabschef zeigte hier Führungsschwäche, er war kaum in der Lage den Führern der Armeen klare, bedingungslose Befehle zu erteilen, so führte in dieser entscheidenden Zeit jede Armee ihren eigenen Krieg. So blieben die drei Armee-Führer Kluck, Bülow und Hausen sich und ihren Rivalitäten allein überantwortet. Auch sie hielten kaum Kontakt miteinander; meist hörten die Armeestäbe den Funk der Kameraden ab, als gelte es, Operationen des Feindes zu enträtseln.

Kluck, Oberbefehlshaber der stärksten der drei Armeen, gab den Ton an: Ihm war schon vor Kriegsausbruch die führende Rolle bei dem Marsch nach Paris konzediert worden. Bülow drang auf enge Zusammenarbeit der Rechts-Armeen, während Hausen, Herr über die kleinste Streitmacht, sich oft nicht recht ernst genommen fühlte. Vor allem Bülow monierte ständig die geringen Kampf- und Marschleistungen der Sachsen. Hausen, eher an gepflegten Gesprächen und behaglichen Quartieren interessiert, ließ seine hungernde und erschöpfte Truppe ein gemächliches Tempo anschlagen. Sie bewältigte durchschnittlich nur 23 Kilometer pro Tag, Klucks Armee jedoch schaffte bis zu 40 Kilometer. Zudem kränkelte die Führung der 3. Armee: Hausen litt an Typhus, seine Offiziere befiel mancherlei Unwohlsein, Folge des ungewohnten kalten Champagners.


Sächsische Dragoner nahe Reims (September, 1914). Am Abend des 3. September besetzten 13 Dragoner unter Leutnant von Humbracht das Stadthaus von Reims.

Der mangelnde Kontakt riß Lücken zwischen der 2. und 3. Armee, zuweilen entstanden auch tödliche Missverständnisse. Artillerie der 2. Armee beschoss Reims und traf sächsische Soldaten, die -- ohne die Preußen zu informieren -- bereits die Stadt besetzt hatten. Das geschah am 4. September und die Sachsen hielten Reims bis zum 13. September. besetzt.

Auf das Zusammenwirken der drei Armeen kam es jetzt mehr denn je an, denn der Krieg nahm eine neue Wendung. Joffre hatte bereits am 24. August die mörderische Schlacht in Lothringen (französische Verluste: 300 000 Mann) abgebrochen und begonnen, die Mitte und den linken Flügel seiner Verteidigungsfront zurückzunehmen. Desto rascher drängten die aus Belgien heranrückenden Deutschen nach, in wenigen Tagen standen sie im Raum Paris.


Die Deutschen an der Marne.

Durch Klucks Vorstürmen war jedoch eine Lücke zwischen seiner 1. Armee und der östlich neben ihm stehenden 2. Armee entstanden. Der deutsche Hammerkopf hatte einen Riss bekommen. Joffre entschloss sich zur Gegenoffensive an der Marne - zu einer Schlacht, "von der das Schicksal des Landes abhängt", wie es in seinem Tagesbefehl vom 6. September hieß. Die ersten Gefechte begannen am 5. September, in den Tagen darauf tobte entlang des gesamten Flusses, auf einer Länge von mehr als 300 Kilometern eine heftige Schlacht. Französische Einheiten griffen Klucks Armee von Westen aus an - einige Tausend Soldaten wurden per Taxi aus Paris an die Front gebracht -, zugleich attackierte die eilig verstärkte französisch-britische Hauptmacht die Deutschen von Süden. Im Raum Amiens, an Klucks rechter Flanke, wurde eine neue Armee unter General Maunoury aufgestellt und auch die Truppen Bülows wurden ostwärts von Paris durch eine andere französische Armee überraschend angegriffen. Die 2. Armee geriet so stark in Bedrängnis, dass Bülow den noch im Norden von Paris agierenden Kluck zu Hilfe rief.


Befehlshaber der 2. Armee General Karl von Bülow - Nach General Wilhelm Groener fehlte Bülow jedes strategisch-operative Verständnis. Zudem rechnet er Bülow zu jenen Oberbefehlshabern, die seinem militärischen Verständnis nach für die Niederlage an der Westfront verantwortlich waren, weil diese Offiziere den sog. Schlieffen-Plan verpfuscht hätten. Groener weiter: „zudem war er durch die intensive Beschäftigung mit der Ausbildung seines Korps auf dem Truppenübungsplatz so stark in taktische Theorien, man darf sagen verstrickt, daß ihm der operative Flug der Gedanken, das seherische Vermögen des Feldherren vollkommen abging.“


Das beschossene Reims mit seiner schwer getroffenen Kathedrale

Ein Hilferuf mit Folgen, denn als Kluck dem Folge leistete, wurde die Westumfassung aufgegeben und Joffre so zum Flankenangriff aus Paris heraus eingeladen. Zugleich wurde der Lückenangriff zwischen der ersten und zweiten Armee vorbereitet. Bevor Bülows Armee so unter Bedrängnis kam, hatte sich Hausens Armee eigenmächtig am 5. September an der Marne verhaltend, einen Tag Marschpause gegönnt, ausgerechnet jene Armee, der die zerschlagene 9. Armee Fochts gegenüber lag. Spähtrupps hatten zudem feindfreies Gelände und geräumte Stellungen festgestellt, was den weiteren Vormarsch zur Seine gebot. Was auch immer Focht noch hatte, sie waren nicht in der Lage die Sachsen zu attackieren, was wiederum Hausen suggeriert haben muss, er habe tatsächlich Zeit, seinen Truppen einen Ruhetag zu gönnen. Ohne diesen Ruhetag wären Fochts Armeereste weiter zurückgeworfen worden, was wiederum Bülow entlastet hätte. Dieser hätte wiederum keinen Kluck um Hilfe gerufen, womit die stärkste deutsche Armee westlich von Paris vorgestoßen wäre. Schon vor der Überschreitung der Seine, wäre Joffre klar gewesen, dass ihm von "hinten" Gefahr drohte und er hatte nichts, was Klucks Armee an seiner westlichen Flanke gefährden konnte. Heeringens 7. Armee wurde in dieser Zeit vom Elsass in den Raum Laon verlegt und begann die Flanken der Schlieffenoperation gegen General Maunourys Armee zu decken.


General Max von Hausen, Befehlshaber der 3. Armee - Während der Marneschlacht wurde er am 12. September seines Amtes als Oberbefehlshaber auf Grund einer vermeintlichen Ruhrerkrankung, die sich später als Typhus herausstellte, krankheitshalber vorübergehend enthoben.


Hausens Nachfolger: Generaloberst Karl von Einem - Er führte die 3. Armee bis zum Kriegsende

Geben wir diesem Szenario noch die sinnlos an die Ostfront verlegten beiden Armeekorps hinzu, hätte es kaum Frontlücken gegeben, das mobile Garde Reserve Korps wäre bei Bülows 2. Armee verblieben und hätte von Namur kommend Fühlung zu Kluck gehalten, dass XI. AK wäre hingegen bei der 3. Armee geblieben, womit Hausen wesentlich breiter zur 2. Armee hin aufgestellt war. Zudem war es unverbraucht und hätte eine entscheidende Rolle gespielt, wenn Hausen Fochts 9. Armee vor sich hergetrieben hätte. Danach war die rechte Flanke der 5. französischen Armee bedroht, was zur Zurücknahme der Linien geführt hätte. Falls nicht wären Hausens Truppen bis zur mittleren Seine vorgestoßen und hätten im Rücken der Franzosen gefochten. Eine Rücknahme der französischen Linien hätte auch die 2. Armee soweit entlastet, dass sie ihre Stellungen weiter behauptete, bis Kluck sich westlich von Paris befand, vor ihm befanden sich nach Aufklärungsberichten keine nennenswerten Truppen. Danach waren Joffres Linien im Rücken bedroht und die französische Hauptstadt konnte eingekesselt werden. Man kann jedoch auch den anderen Fall durchrechnen. Die starke Pariser Garnison wurde auf Befehl von Joffre herausgezogen, um Kluck an der Einkreisung zu hindern, dann wäre aber auch das eingetreten, was Joffre alternativ geplant hätte: Paris aufgeben und mit der Garnison Kluck von der 2. Armee abzuschneiden. Doch dazu hätte er auch in der Lage sein müssen. Er musste auch Hausen stoppen, der nur die Reste der 9. vor sich hertrieb. Im weiteren Verlauf hatte im September Hausen entweder die Seine schon forciert, oder Joffre hätte ihm den Weg mit einer zurückgezogenen 5. Armee verlegt, deren Linien jedoch so überdehnt waren, dass auch Bülows Armee wieder nachstoßen konnte. Falls zu dieser Zeit Kluck Paris belagerte, begann die gleiche Belagerungsartillerie in die Stadt hineinzuschießen, die bereits Lüttich und Namur zur Aufgabe zwang. Im anderen Fall hatte Joffre sie räumen lassen, um die Stadt vor großen Zerstörungen zu bewahren.

Die Einnahme von Paris im September/Oktober 1914 wäre als große Niederlage empfunden worden, zugleich fiel der wichtigste französische Verkehrsknotenpunkt weg und eine große Zahl von Rüstungsbetrieben wäre den Deutschen in die Hände gefallen. Der Nachschub stockte jetzt auch bei den Franzosen und es war nur noch eine Frage der Zeit wann Frankreich um Waffenstillstand ersuchte. Von den bei Tannenberg geschlagenen Russen war keine Hilfe zu erwarten und auch in England mehrten sich die Stimmen, diesen politisch umstrittenen Krieg abzubrechen. Als es illusorisch wurde die Deutschen wieder aus Frankreich zurückzudrängen, gab auch Joffre seinen Widerstand gegen einen Waffenstillstand auf. Deutsche, französische und britische Unterhändler trafen sich im Spiegelsaal von Versailles und handelten Mitte Oktober einen Waffenstillstand aus, der unmittelbar den Abzug des angeschlagenen britischen Korps vom Festland bedeutete. Das Septemberprogramm Kaiser Wilhelms für einen Friedensschluss mit Frankreich machte in diplomatischen Kreisen die Runde. Darin befanden sich keinerlei Forderungen gegen britische Besitztümer, nur die Interessen dieser Großbritanniens wurden auf dem Festland beschnitten.


Der französische Oberbefehlshaber Joffre - wollte im September 1914 Paris räumen. Ohne deutsche Fehlentscheidungen hätte es kein "Wunder an der Marne" gegeben!

Als der Waffensillstand geschlossen wurde flatterte schon seit längerem die schwarz weiß rote Fahne am Pariser Eifelturm und obwohl das schmerzlich für alle Franzosen war, nahm die Weltgeschichte ab dieser Zeit einen Lauf, der keinen 2. Weltkrieg mehr heraufbeschwören sollte.

Das Septemberprogramm für einen Friedensvertrag 1914


Was auch immer über dem Septemberprogramm geschrieben wurde, es dürfte kaum eine primäre Rolle gespielt haben, wenn man in Versailles den Krieg beendet hätte. Ja man wollte Frankreich als bedrohende Macht westlich des Kaiserreiches für alle Zeiten ausschalten und auch Belgiens Zukunft wurde diskutiert. Doch was wäre wirklich in einem Friedenvertrag gestanden, wenn das OHL den westlichen Kriegsschauplatz abschließen wollte, für den es anfangs 6 Wochen veranschlagt hatte? Sind es vielleicht am Ende sogar 8 Wochen gewesen, musste jetzt die Ostfront verstärkt werden. Der Verbündete in Wien musste ebenfalls gestützt werden, der die Russen verzweifelt in den Karpaten aufzuhalten versuchte.


Paris am 1.9. 1914 - Einen Tag später floh die Regierung nach Bordeaux und wurde von vielen als Anfang einer französischen Niederlage betrachtet. Nach Moltkes Befehlen, war der 2. Armee bestimmt Paris zu erobern, doch viel einfacher hätte es von Klucks 1. Armee von Norden, Westen oder Süden gehabt, wo Paris über keinerlei Befestigungen verfügte.

Um sich besonders mit England zu einigen wäre also eher ein Verständigungsfrieden herausgekommen, wobei man kaum ein europäisches Wirtschaftsbündnis anvisiert hätte, was ihnen den Zugang zu den europäischen Märkten verwehrte. Beim vermeintlichen Autor des Septemberprogramms Kurt Riezler findet sich aus dem August 1914 nur eine erhellende Notiz, wie man nach einem Sieg über Frankreich fordern wollte: „Coblenz 19/8 Abends langes Gespräch über Polen und die Möglichkeit einer loseren Angliederung von anderen Staaten an das Reich – mitteleuropäisches System von Differentialzöllen. Gross Deutschland mit Belgien Holland Polen als engen, Oesterreich als weiten Schutzstaaten.“ Dazu sei schon einmal angemerkt, dass man 19.8. noch unter dem Eindruck des Verlustes ostpreußischer Landkreise an die Russen stand, womit eine Diskussion über ein neues Polen ohnehin noch keinen Wert hatte. Trotzdem die polnische Idee eine Rolle gespielt haben, wobei unter einem siegreichen Deutschland auf jeden Fall kein Polen entstanden wäre, was real unter Pilsudski zu einem deutschfeindlichen Staat wurde. Ein Pufferstaat zu Russland ja, aber vollkommen an Deutschland gebunden, wirtschaftlich und militärisch.


Kurt Riezler - Der Architekt des Septemberprogramms

Inhaltlich konnte man alle diskutierten Ziele auch dieser Kernaussage des Septemberprogramms unterordnen, wo für ausufernde Forderung der Alldeutschen keinerlei Platz war. Im Sinne einer Unterbindung einer erneuten feindlichen Einkreisung stand deshalb die „Sicherung des Deutschen Reiches nach West und Ost auf erdenkliche Zeit." an erster Stelle. Das heißt wiederum Pufferstaaten in Ost und West, was mindestens für Polen und Belgien sprechen würde. Maximal wäre aber auch Holland bei dieser Sicherung dabei, dem ein Schutz- und Trutzbündnis angeboten werden sollte, was auch ihre Kolonien mit umfassen sollte. Holland sollte zwar Teil des deutsch beherrschten Mitteleuropas werden, aber ein anzustrebendes engeres Verhältnis müsse „bei der Eigenart der Holländer von jedem Gefühl des Zwanges für sie frei sein. Für die deutsche Kriegsflotte wäre das ideal gewesen, denn so kam sie auch in der Karibik und im Malaiischen Archipel Stützpunkte, was ihre Effektivität merklich erhöht hätte.

Weiter schreibt Riezler: "Zu diesem Zweck muss Frankreich so geschwächt werden, dass es als Großmacht nicht neu erstehen kann, Russland von der deutschen Grenze nach Möglichkeit abgedrängt und seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker gebrochen werden.“ Um das zu erreichen, sollte Frankreich Reparationen zahlen, einen Handelsvertrag zum Vorteil Deutschlands unterschreiben und auch die Erzfördergebiete um Longwy-Briey in Lothringen abtreten. Luxemburg sollte zudem als Bundesstaat an Deutschland angeschlossen werden und Belgien auf Niveau eines Vasallenstaates herabsinken, wobei es noch weitere Grenzgebiete abtreten sollte. In erster Linie wäre sicher das Neutral-Moresnet mit dabei gewesen, dazu noch weitere deutschsprachige Orte. Recht bedeutsam war auch die geforderte Annektierung von Lüttich und Verviers an Preußen, womit Belgien seine wichtigste Festung verloren hätte.


Kaiser Wilhelm 1911 in Tanger - In einem Friedensvertrag 1914 wäre das französische Protektorat über Marokko abgeschafft worden

Wie auch immer Belgiens tatsächlicher Status nach einem Friedensvertrag im Detail ausgesehen hätte, seine Kongo-Kolonie sollte deutsch werden, auch wenn das Riezler nicht ausformuliert hatte. Eine sinnvolle Verbindung zwischen Kamerun und Ostafrika zu schaffen, wäre jedoch deutscherseits auf jeden Fall umgesetzt worden, wobei man einem deutschen Mittelafrika auch das französische Kongogebiet mit Gabun zugeschlagen hätte. Dazu kam sicher auch andernorts der Statuswechsel über Marokko, dass bei zwei vorangegangenen Krisen zwischen Deutschland und Frankreich sicher zum deutschen Protektorat wurde.


Eine durchaus vorstellbare Europakarte nach einem deutschen Sieg 1914 - mit Polen


Und hier die Variante ohne Polen und ohne Belgien


Diese Variante zeigt ein deutsches Marokko und erneut ohne Polen

Anders als heute die EU, wäre sicher auch ein Wirtschaftsbund entstanden, in dem allein Deutschland die Führung hatte. Also mit Belgien und vermutlich auch Frankreich, Holland, Dänemark, Schweden und Norwegen, sowie Österreich-Ungarn und Italien. Zu Italien ist dazu noch festzustellen, dass diesem Land ein Krieg erspart blieb, denn es hatte real erst 1915 den Dreierpakt verraten. Für Südtirol und das Küstenland mit Triest, Istrien und der Krain bedeutet das nichts anderes, als das diese Grenze bis heute Bestand gehabt hätte und keinerlei Vertreibungen von Deutsch-Österreichern geschehen wären.


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Deutsch-Mittelafrika - Der koloniale Gewinn bei einem Sieg 1914


Paul Reichard erschloss den Katanga für Deutschland, bekam aber keinen Reichsschutz von Bismarck

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg gab es mehrere Versuche, das deutsche Kolonialreich auf Gebiete Zentralafrikas auszuweiten. In der Frühphase versuchte Paul Reichard Teile der späteren Provinz Katanga für Deutschland zu erwerben. Reichards Expedition unterstützte die Anlage einer belgischen Kolonialstation in Mpala. Dann wandten sie sich nach Südwesten, überschritten im Oktober 1883 den Luapula und entdeckten den Upembasee in Katanga, wo wiederum Böhm am 27. März 1884 an einer Fiebererkrankung verstarb. Nach dessen Tod entdeckte Reichard die Kupferlagerstätte von Katanga, etwa bei 11° südlicher Breite und zwischen dem 26.° und 27.° östlicher Länge. Unter vielen Gefahren in Msidis Reich kämpfte er sich ostwärts zurück zum Tanganjikasee, den er am 30. November 1884 wieder erreichte. Auch auf dem weiteren Rückweg kam es zu Kämpfen, bis er die Küste des Indischen Ozeans erreichte und nach fünf Jahren und sieben Monaten Abwesenheit wieder in Sansibar angelangte. Böhm und Reichard hatten in den Landschaften, durch die sie kamen, nach europäischem Verständnis „Landerwerbungen“ gemacht. Reichard erbat deshalb im Februar 1886 ein deutsches Protektorat über Teile Katangas. Das Gebiet westlich des Tanganjikasees wurden aber von der deutschen Regierung dem sogenannten "Kongo-Freistaat" zuerkannt, so dass kein „Reichsschutz“ erteilt wurde. Der Hintergrund war dass dieser "Kongo Freistaat" als Privatbesitz des begischen Königs Leopold für Bismarck einen willkommenen Puffer zwischen den britischen, französischen und portugiesischen Anspruchsgebieten in Afrika bildete. Daher untersagte Bismarck nach vorauseilenden Eigeninitiativen von Eduard Schulze bei Nokki und Paul Reichard in Katanga deutschen Kolonialerwerb im Kongo. Zudem hatte Leopold nur begrenzte Mittel zur Verfügung und schien als Monarch ungefährlich.


Nokki wurde für Deutschland erworben und hätte womöglich bei einer Befürwortung Bismarcks das Mündungsgebiet des Kongo unter deutscher Kontrolle gebracht.

Die Eigeninitiative von Eduard Schulze fand bei Nokki am unteren Kongo statt. Seine Expeditionsgruppe reiste von Hamburg über die neuen deutschen Kolonien Togo und Kamerun zum Mündungsgebiet des Kongo. Schulze traf am 26. September 1884 in Ambrizete ein und legte den Ausgangspunkt der Expedition an den unteren Kongo. Von Nokki, wo die Schiffbarkeit endete, wollte er ins Inland aufbrechen. Bei Nokki erwarb Schulze von einheimischen Oberhäuptern ein Stück Land für die Afrikanische Gesellschaft. Am 12. Dezember 1884 ließ Schulze Grenzpfähle setzen und hisste die deutsche Flagge. Das Ziel, eine deutsche Kolonie am Kongo zu gründen, stand jedoch den Verhandlungen der Kongokonferenz entgegen, die zeitgleich in Berlin tagte. Otto von Bismarck entzog dem Unternehmen daher jede Unterstützung, so dass es nach kurzer Zeit scheiterte. Schulze und Büttner reisten weiter und trafen am 18. Dezember 1884 in San Salvador (heute M’banza Kongo in Angola) ein. Dort bekam Schulze starkes Fieber und starb am 15. Februar 1885 an einer Tropenkrankheit, wahrscheinlich Malaria. Am nächsten Tag wurde er im Garten der britischen Mission von San Salvador beigesetzt.

Zwischen 1894 und 1911 drückte sich der deutsche Vorstoß geographisch auch durch den sogenannten Entenschnabel im Nordosten der deutschen Kolonie Kamerun aus. Dieser Gebietsvorsprung reichte schnabelförmig in das Gebiet des heutigen Staates Tschad. Er wurde jedoch 1911 im Tausch gegen Neukamerun an Frankreich abgetreten. Frankreichs Angebot eines Tausches des deutschen Togo gegen ein noch größeres Gebiet in Äquatorialafrika wurde nach Protesten deutscher Kolonialpolitiker und -händler fallengelassen.

In den deutsch-britischen Verhandlungen vor dem 1. Weltkrieg wurde über die Aufteilung der portugiesischen und belgischen Afrikabesitzungen verhandelt und wofür erste konkrete Pläne entstanden. Im Juli 1913 einigte sich der Regierungsvertreter von Kühlmann mit den britischen Verhandlungspartnern: Für den Fall finanzieller Schwierigkeiten Portugals sollte Deutschland Anspruch auf Angola haben, außer dem Grenzgebiet zu Nordrhodesien, sowie auf Sao Tomé und Principe, während England Mosambik bis zum Lugenda beanspruchte. Ein Vorschlag des Staatssekretärs des Reichskolonialamtes Wilhelm Solf zur Beschneidung des Belgisch-Kongo, mit Katanga und dem äußersten Nordosten an Großbritannien, der Region nördlich des Kongo an Frankreich sowie einer breiten Verbindung zwischen Angola und Deutsch-Ostafrika an das Reich, scheiterte letztlich am britischen Widerstand. Ansprüche gegen das verschuldete Portugal durchzusetzen, erschien viel leichter als gegen das wirtschaftlich prosperierende Belgien. Doch mit einer Niederlage 1914 hätte man diese Ziele ohne das Mitspracherecht der Engländer durchgesetzt, die im Gegenzug kaum Gebietsverluste zu beklagen hätten.


Auch wenn man das portugiesische Angola und die nördliche Hälfte von Mosambik wollte: 1914 befand sich Portugal nicht im Krieg mit Deutschland, weswegen Deutsch-Mittelafrika nur aus belgischen und französisches Gebiet entstanden wäre. Autobahnen hätte es sicher auch einmal gegeben, denn dafür wurden schon vor dem 1.Weltkrieg in Kamerun steuerliche Voraussetzungen geschaffen. Das sogenannte Wilhelmmeer basierte auf dem Plan den Kongo für ein Wasserkraftwerk aufzustauen

Nach einem Vorschlag von Solf, im August und September 1914 wurde ein konkretes Mittelafrikaprojekt entworfen, was die Verteilung der afrikanischen Kolonien Frankreichs, Belgiens und Portugals umfasste und von Reichskanzler Bethmann Hollwegin sein Septemberprogramm aufgenommen wurde. Das neue geschlossene mittelafrikanische Kolonialreich Deutschlands sollte folgende Gebiete umfassen: Angola, die Nordhälfte von Mosambik, Belgisch-Kongo, mit den Kupfergruben Katangas als wertvollstem Einzelobjekt, Französisch-Äquatorialafrika bis auf die Höhe des Tschadsees, Dahomé und das Gebiet südlich des Niger-Bogens bis Timbuktu, was auf jeden Fall Obervolta betraf.


Ein Deutsch-Westafrika war ebenfalls nach einem Sieg 1914 möglich. Als Grenze wurde jedoch im Norden der Nilbogen mit Timbuktu anvisiert

Für Deutsch-Togo bedeutet das eine erhebliche Erweiterung bis zum Niger im Norden und zur Westgrenze Nigerias, aber keine Landverbindung zu Mittelafrika. Wegen des anvisierten Nilbogens hätte sicher auch das Gebiet von Elfenbeinküste dazugehört, womit ein Grosstogo die britische Goldküste (Ghana) vollständig umfasst hätte. Am Ende war auch ein Deutsch-Westafrika möglich.

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