Tsingtau wie es liebt, lacht und lernt


Schiffe des deutschen Ostasiengeschwaders in Tsingtaus Hafen. Der Landgang ihrer Mannschaften litt im Pachtgebiet unter massiven Frauenmangel...

Das Faberhospital der Weimarer und das Krankenhaus der katholischen Mission - das Gesundheitswesen ist vorbildlich. In Polikliniken und einem unter Leitung von Marineärzten stehenden Krankenhaus für Chinesen werden Mittellose unentgeltlich behandelt. Dazu gibt's ein Prostituiertenhospital, wie es den Bedürfnissen von Soldaten und den Liebesgeld verdienenden Chinesinnen entspricht: Deutschlands Wacht im fernen Osten leidet unter einem krassen Frauenmangel. Seeleute und Seesoldaten suchen nach dem Glück im Winkel während ausgedehnter Vergnügungstrips. Wenn die Schiffe des Ostasien-Geschwaders in der Außenreede der Tsingtau-Bucht liegen, sind neben Gasthäusern und Bierkneipen Tapautaus Amüsierbetriebe überfüllt.


Tsingtaus "Amüsiermeile" Tapatau

Die Deutschen haben lokalen Chinesen gezeigt, wie man den Obst- und Gemüseanbau verbessert, der lokalen Rinderpopulation, nachdem Allgäuer die Seefahrt nicht überstanden hatten, schwarzbuntes Niederungsvieh mit ostfriesischen Blutlinien zugeführt.

Tsingtautypisch ist täglich Punkt 12 ein von der Zeitsignalstation abgefeuerter Kanonenschuss, damit man an Land und auf den Schiffen die Uhr danach stellen kann. »Chinas Kehrichtwinkel, dem das Land der Mitte einst naserümpfend den Rücken kehrte, ist eine schmucke Stadt geworden ..., Asiens Norderney« lobte Otto v. Gottberg. Tsingtau ist dort, wo Europäer leben, arbeiten oder ihre Freizeit verbringen, ein Postkartenidyll.


Die moderne deutsche Musterstadt Tsingtau, sie war der gesündeste Ort in China

Unter Asiens Europäern gilt Deutschlands Zwergkolonie als Asiens gesündester Platz. Die bekannt gewordenen Badestrände und das landschaftlich reizvolle Lauschan-Gebirge locken inzwischen Touristen aus der gesamten Region. Zu mehr hätte es - Hand aufs deutsche Herz - in so kurzer Zeit kein anderes Land gebracht. Tsingtau ist mit deutscher Gründlichkeit vom unscheinbaren Fischerdorf zur deutschen Musterstadt in Asien ausgebaut, das Reich hat seine Fähigkeit zur Modernisierung Chinas bewiesen. Und schon an dieser Stelle kann man sich gut vorstellen, was aus dieser Stadt heute geworden wäre, wenn es den 1. Weltkrieg nie gegeben hätte.

Tsingtau ist etwas wie eine ständige Ausstellung deutscher Leistungen in China, ein Schaufenster deutscher Kultur und Technik, was so fantastisch klingt, dass selbst die SPD Tsingtau-Etats unterstützt. Als Dr. Sun Yatsen, christlich getaufter Vater des republikanischen China, des Kaisers Musterländle besucht, stellt er vor Studenten der Deutsch-Chinesischen Hochschule Tsingtau als Modell für die chinesische Stadt der Zukunft, Deutschland als Vorbild für ein modernes China heraus. Etwas, das Kolonialdeutsche in Hurrastimmung versetzt, das offizielle Berlin beklatscht. Diese Perle Ostasien widerlegt zudem in herausragender Weise, wie verlogen die Behauptung der Alliierten nach dem 1. Weltkrieg war, dass Deutschland angeblich nicht kolonisieren konnte. Das Gegenteil war der Fall, aus Neid und Raffgier wurden Deutschland alle Kolonien geraubt, die alle auf dem besten Weg waren sich selbst finanziell zu tragen.


Bereits 1901 wurde eine erste Schule in Tsingtau eingeweiht (Bundesarchiv)

Die Deutsch-Chinesische Hochschule für Spezialwissenschaften, die nach modern-pädagogischen Erfahrungen deutsches Wissen und Geistesleben vermittelt, als Ort des uneingeschränkten Lobes! Die Hochschule, an die nahezu alle chinesischen Provinzen, Chinas beste Familien Schüler schicken, an die das Reich prominente Pädagogen vermittelt. Die Einrichtung war 1909, damit im Jahr des Hahns, ihrer Bestimmung übergeben worden. Die Unterstufe nach Vorbild der Realschule mit Deutsch und Chinesisch, Geografie, Rechnen usw. Die Oberstufe mit einer naturwissenschaftlich-technischen und einer rechtswissenschaftlich-staatswissenschaftlichen Fakultät. Dazu ein Internat, eine landwirtschaftliche Versuchs- und eine Übersetzungsanstalt. Die Schule gibt die deutsch-chinesische Rechtszeitung und den »Westöstlichen Boten« heraus.

Die Bildungsanstalt, für deren Gründung der Sinologe Otto Franke aus Gernrode als Sonderkommissar der Reichsmarine die Verhandlungen führte, hat die staatliche Stellung einer chinesischen Provinzial-Hochschule, wird mit Mitteln vorwiegend aus Deutschland unterhalten. Von der Einrichtung verspricht sich das Reich die Herausbildung einheimischer Eliten, die in entsprechenden Führungspositionen künftig ein Herz für Deutschland zeigen würden, damit diese Gegenwart nicht vergeht. Seit 1906 gibt es in Berlin einen Ausschuss zur Förderung der deutschen Kulturarbeit in China.

Primärquelle: Längin, Die deutschen Kolonien

Tsingtau hinter den Kulissen


Im Inneren der deutsch-chinesischen Schule

Natürlich ist das Pacht- kein unbedingtes "Prachtgebiet". Nach Kapitänleutnants Deimlings rund-herum »glücklichen Chinesen« muss man zum Beispiel suchen. »Die Stimmung der Bevölkerung ist immer noch eine bald latente, bald offen hervortretende Feindseligkeit« berichtet Arthur Graf v. Rex, Gesandter in Peking. Die kulturelle und soziale Distanz ist gegeben, doch auch die Einheimischen haben profitiert. Kraftwerk, Reparaturdocks, Kohlenmole, Moleschuppen und Ladebrücken, Werftanlagen, Hallenschlachthof und Eisenbahn ziehen Chinesen zu guten Arbeitern heran. Die gewerbliche Tätigkeit ist gesund, in Tsingtau hat sich aufgrund der Arbeitsmöglichkeiten die Einwohnerzahl in kurzer Zeit verfünffacht.

Dazu drucken die »Tsingtauer Neueste Nachrichten« des Redakteurs Fritz Secker die Bewerbung eines Chinesen ab: »Tsingtau Bauverwaltung: Ich haben gehört sagen Sie wollen bei B.V nur 2 Chinesen Beamten kein Deutschmann. Ich bitte Sie mir ein Baumeister Stellung geben. Viele Jahre ich schon bei B.V. arbeiten, kann Kanal machen Straßen machen Pumpstation Arbeiten auch sabbi, Alles machen was Baumeister machen auch gute deutsch sprechen und bisgen englisch. Früher Baumeister schon sagen Ich ganz gute Batu alles sabbi. Ich auch viel ehrlich maski nich zu viel Geld verdinen. deutsch schümpfen Chinese schümpfen plenti sabbi, Fert reiten auch sabbi! mir bitte schreiben wieviel bezalen wenn anfangen Herr Hao tschi fu, Pekingstraße.«


1908 - Deutsche Marineangehörige in Tsingtau, 10 Jahre deutsches Pachtgebiet

Tsingtauisch ist Tsingtauisch, kann doch auch der ansonsten feines Bürokratendeutsch sprechende Landsmann, so Zeitzeuge Hans Wirtz, hier zum absoluten Wortakrobaten werden: »Boy, spring mal kuai kuai in die fangtsy und hol mir meine mantsy« (Junge, spring mal schnell ins Haus und hol mir meinen Hut). Das Reich hat in die Erwerbung seit der Übernahme rund 200 Mio Mark investiert, ein Witz gegenüber zur heutigen Zeit, wo die BRD jährlich fast eine halbe Milliarde Euro "Entwicklungshilfe" jährlich an China überweist, was zeitgleich als einziges Land der Welt eine eigene Raumstatuin unterhält, die ISS ist "international". Zeitgleich zerfällt Deutschlands Infrastruktur und seine Bundesländer brachen selbst Entwicklungshilfe...

Wenn Kolonialplaner bilanzieren, haben sich trotzdem nicht alle Erwartungen erfüllt. Tsingtau ist Stapelplatz und Umschlaghafen für europäische Güter und Ausfuhrhafen für chinesische Erzeugnisse, was ohne 1. Weltkrieg noch heute funktionieren würde. Echt deutsche Kolonialwaren gibt es allerdings noch nicht. Vieles von dem, was Deutsche einführen könnten, wird in Schantung in wesentlich billigerer Heimproduktion hergestellt, was über die Stadt ausgeführt wird, stammt aus dem chinesischen Hinterland.


Die Germania Brauerei in Tsingtau

Eine Mineralwasser- und Brikettfabrik, Ziegeleien, eine Getreidemühle und die Germania Brauerei ..., als Industrieplatz steckt das Gebiet noch in den Kinderschuhen, lediglich die Kohlen- und Eisenerzvorkommen im Bereich der Schantung-bahn werden ausgewertet. Doch gerade die in die Schantungkohle von beiden Seiten der konzessionierten Eisenbahnlinie gesetzten Erwartungen haben sich nur zum Teil erfüllt, die Aktionäre haben noch keine Dividende gesehen. Die Hungschankohle aus dem Poshanrevier, bei Brennversuchen des Kreuzergeschwaders als zu aschenreich durchgefallen, bietet sich nach Inbetriebnahme einer Separationsanlage zur Verkokung und als Bunkerkohle an. »Braucht sich vor der Konkurrenz der übrigen chinesischen und japanischen Kohle nicht mehr zu fürchten«. Die Kohle der Fangzi-Grube im Weihsien-Feld eignet sich weder als Schiffskohle noch für die Eisenbahn, wird so auch lediglich als Hausbrand und in der Industrie genutzt.

Eine »Gesellschaft für Bergbau und Industrie im Auslande«, mit Konzessionen auf Goldgruben, Diamanten etc., hat sich nach aufwendigen Untersuchungen zurückgezogen. Doch für die Zukunft spricht die billige Arbeitskraft, immer auch ein Stück deutsch-chinesische Wirklichkeit. Die ethnischen Grenzen sind wie die ursprünglichen Prioritätsrechte etwas aufgeweicht. Für Einheimische, die im Minna¬oder Annie-Schacht, am Hafen oder bei der Eisenbahn malochen (ein Kohlenhauer erhält 50 Pf. pro Schicht), gilt weiterhin die sogenannte »Chinesen-Ordnung«. Nach der kann, wer nicht arbeiten will, mit zehn Hieben oder vier Tagen Haft bestraft werden. Als Maximun sind bei entsprechenden Vergehen bis zu 100 Schläge erlaubt, die in vier Intervallen zu je 25 Streichen zu verabreichen sind. Auf den Gesundheitszustand des Verurteilten ist Rücksicht zu nehmen. Auch für die deutsche Maulschelle ist noch kein rechtes Äquivalent gefunden, was so mancher Kuli bestätigen kann. Kulis sind hirsesuppeschlürfende, sojabohnenquark- und knoblauchessende Menschen in blau gefärbten Leinwandkitteln und Hosen, die den Weißen ihre Körperkraft anbieten, Rikschas ziehen und Schubkarren drücken. Dafür haben die Kolonialherren die Todesstrafe so weit abgemildert, dass nicht mehr zerstückelt, sondern nur noch enthauptet wird.

Primärquelle: Längin, Die deutschen Kolonien

1913: Tsingtaus letztes Friedensjahr


Tsingtau Iltisplatz, die Truppe paradiert für Prinz Heinrich

Im Januar finden die ersten Abschlussprüfungen der juristischen und landwirtschaftlichen Abteilungen der Deutsch-Chinesischen Hochschule statt ..., gehen die Aktien der Schantung-Bergbau in den Besitz der Schantung-Eisenbahngesellschaft über.

Im Februar beginnt das Jahr des Büffels nach chinesischer Zeitrechnung ..., kostet die Fahrt von Tsingtau nach Berlin in der 2. Klasse/Schlafwagen 536,75 Mark.

Im März übernimmt Fregattenkapitän Karl v. Müller aus Hannover in Tsingtau das Kommando über den Kleinen Kreuzer Emden, der in kurzer Zeit zur Legende werden sollte.


Die Docks von Tsingtau

Im April beschäftigt die Werft rund 2.000 Chinesen.

Im Mai wird das christliche Soldatenheim eröffnet..., trifft der Ablösungstransport für das Kreuzergeschwader an Bord der SMS Königin Luise ein.

Im Juni plant die Hochschule, die bereits einen tiefen Einfluss auf das chinesische Bildungswesen ausübt, den Ausbau auf 500 Schüler.

Im Juli tagt der Gouvernementsrat in der Stadt .... wird Batterie XII Bismarckberg, die auch Ziele auf kurze Distanz bestreichen kann, angeschossen.

Im August hat die chinesische Bevölkerung im Stadtgebiet verglichen mit 1910 um 55,97, die Zahl der Europäer um 27,62 Prozent auf 53.312 bzw. 2.069 zugenommen. Im Pachtgebiet leben 1.855 reichsdeutsche Zivilisten und 2.400 Militärs.

Im September ist ein Eisenwerk zur Verhüttung der gewaltigen Eisenvorkommen im landeinwärts gelegenen Tschinglichen geplant, womit Tsingtau aus dem Stadium der reinen Handelskolonie treten würde.


Tsingtau im Oktober 1913 (Bundesarchiv)

Im Oktober können Postsendungen auf dem Landweg über Sibirien befördert werden .... haben, aufs abgelaufene Berichtsjahr bezogen, 902 Schiffe mit 1.291.000 Netto-Registertonnen den Hafen angelaufen.


Tsingtaus 3. Marinebataillon

Im November finden umfangreiche Festungskriegsübungen statt.

Im Dezember hat die Schantung-Eisenbahn, aufs Jahr gerechnet, 1.317.438 Personen befördert ...

Primärquelle: Längin, Die deutschen Kolonien

Tsingtau vor dem Krieg


Deutsche Feldartillerie vor Tsingtau

Seit Jahren proben Kreuzergeschwader und Tsingtauer aufgrund des Welttheaters den Ernstfall für das Pachtgebiet. Umfangreiche Felddienst- und Landungsübungen lösen sich ab. Bereit sein ist weiterhin alles, fällt dem befestigten Tsingtau doch als einzigem deutschen Schutzgebiet eine tatsächliche militärische Bedeutung zu. Getestet werden die Armierung der im Halbkreis um das Stadtgebiet gezogenen fünf Infanteriewerke, die Entlüftung der Unterstände und selbst noch die Radfahrerbeleuchtung. Heran an den Feind ist die Losung.

»Ein Angriff von der Landseite ist nicht zu befürchten, weil Tsingtau ringsum von neutralem chinesischen Gebiet umgeben ist« meinte Helmuth v. Mücke, Erster Offizier des Kleinen Kreuzers Emden. Der Gegner wird ausschließlich von See her erwartet. Viele Geschützstellungen sind so auch zum Meer hin ausgerichtet, können gegen Landziele nicht feuern.


Helmuth v. Mücke, Erster Offizier des Kleinen Kreuzers Emden

Vorausgesetzt wird so auch, was nach dem Ausklammern einer Landfront einfach vorauszusetzen ist: Ein »gelber Feind« - der Japanern auffallend ähnlich ist - greift das Pachtgebiet von See her an. Natürlich ist es jeweils nur ein Manöver, ein simulierter Krieg. Doch wann immer Militärplaner wie Festungsbau-Oberleutnant Moslener oder Feuerwerks-Kapitänleutnant Falkenhayn sehen, wie spielend leicht fiktive Gelbe, von Tai kung tau kommend, in die Innenbucht, dort bis zum Großen Hafen vorstoßen, ist es mit jeder Zuversicht vorbei. Die Angreifer spielen mit den Verteidigern Katz und Maus. Nur dass die Maus eine deutsche ist. Natürlich würde es vom Gegner, der Qualität seiner Soldaten und Waffen abhängen. Tsingtau hat eine hohe Feuerkraft, hoch genug zur Abschreckung von Chinesen. Gegen den Angriff einer Großmacht wie das mit England verbündete Japan sind Stadt und Festung nicht gesichert. Und weil man das wusste, hätte man mehr tun können, doch dafür reichten wohl die Mittel nicht, oder wurden dafür nicht freigegeben. Tsingtau wäre dann doch wieder Nebenkriegsschauplatz, zu weit sind die Verbindungslinien zur Heimat.


Das Ostasiatische Korps im Lauschangebirge, eine Katastrophe für jedes Heer was auf ausgebaute Wege hoffte

Im Norden und Osten ist Tsingtau durch das wild zerklüftete Tung liu schui- und das Lauschangebirge mit seinen schwer zugänglichen Pässen tatsächlich durch die Natur geschützt, im Westen durch die Innenbucht. Doch vom Süden, vom Meer her, ist man gegen einen Gegner mit überlegener Schiffsartillerie verwundbar geblieben. Tsingtaus Geschütze sind zum Teil noch Erinnerungsstücke aus dem Krieg von 1870/71, zum Teil Beutestücke aus den Taku-Forts.

Tsingtaus eigentliches Dilemma beginnt allerdings mit seinem schwersten Geschütz: dem Kreuzergeschwader unter Konteradmiral Reichsgraf v. Spee. Tsingtau ist als Kohlenstation, Reparatur-und Ausrüstungshafen für die Flotte geradezu ideal, für den Konfliktfall eignet es sich nicht. Aufgrund der Gefahr, hier von feindlichen Verbänden eingeschlossen zu werden, muss das Geschwader mit Ausnahme der Torpedo- und Kanonenboote bei Kriegsausbruch die Weite des Pazifiks suchen. Dort kann es durch seine Präsenz an den Handelswegen und durch seine Beweglichkeit den Gegner beschäftigen, im Bestfall von einem Angriff auf Tsingtau abhalten.

Je näher die Welt dann der Weltkrieg kommt, muss sich dort, wo China deutsch geworden ist, die Überzeugung durchsetzen, dass des Kaisers Reich, die stärkste Großmacht des Kontinents, die schwächste Weltmacht geblieben ist. Mit am schwächsten in jenem Raum, in dem Tsingtau liegt. Die militärische hat mit der handelspolitischen Entwicklung nicht mitgehalten, großen Ankündigungen waren jeweils nur kleine Taten gefolgt. Daran kann in der verbleibenden Zeit selbst des Kaisers »Gott mit Euch« nichts mehr ändern.

Tsingtau im Jahre 17, nachdem Vizeadmiral Diederichs Wilhelm II. ein Stück Weltmacht erobert hat: Die Stadt ist als Austragungsort der Ostasiatischen Tennismeisterschaften bestimmt, im Frühjahr und Herbst sind Pferderennen angesagt. Im Lichtspieltheater des Seemannshauses an der Ecke Kronprinzen- und Friedrichstraße ist Asta Nielsen, der Stern des Stummfilms, zu sehen. Das Heimatgefühl stärken Platz- und Strandkonzerte der Kapelle des III. See-Btl. mit einem Repertoir vom deutschen Walzer bis hin zu »Heil Dir im Siegerkranz«. Einlaufende Schiffe werden mit voller Musik, am häufigsten mit »Alle Voglern sind schon da« begrüßt. Hin und wieder folgt »Ich bin ein Preuße« als Zugabe.


Tsingtaus Marinesoldaten beim Essen fassen

Die Germania-Brauerei wirbt für ihr Tsingtau-Bier, das Helle nach Pilsner, das Dunkle »nach Münchener Art analog dem bayerischen Braugesetz hergestellt«. Chor und Orchester proben für Cherubinis Requiem c-Moll, was - es klingt verrückt, aber es ist nun einmal so - auffallend an das Requiem am Abend vor dem katholischen Gedenktag Allerheiligen und Allerseligen in Li-chia-chuang erinnert.

Egal was ein Krieg gegen die Großmächte der Welt bringen würde, Tsingtau brauchte ein Wunder, um als kaiserliches Pachtgebiet zu überleben...

Primärquelle: Längin, Die deutschen Kolonien

Tsingtau im Krieg: Der Beginn


Letzter Gouverneur von Kiautschou Kapitän zur See Alfred Meyer-Waldeck (1864-1928)

Kiautschou kommt als einzigem überseeischem Besitz eine echte militärische Bedeutung zu. In Stadt und Festung Tsingtau singen sie »des Krieges erstes wahres Lied vom deutschen Heldentum«. Mit der Mobilmachung wird die ca. 2.900 Mann starke Garnison - das III. See-Bataillon unter Oberstleutnant v. Kessinger und die Matrosen-Artillerie-Abteilung unter Fregattenkapitän Haß - durch aus der gesamten Region eintreffende Reservisten, Zivilisten und Seeleute eingemotteter Schiffe verstärkt.


Die "Kaiserin Elisabeth" vor Tsingtau


Besatzungsmitglieder der "Kaiserin Elisabeth"

Bemerkenswert darunter die seit dem 27. Juli vor Tsingtau ankernde zum Teil ausgeschiffte Besatzung des k.u.k. Kreuzers Kaiserin Elisabeth unter Kapitän zur See Richard Makevitz mit 305 Vertretern aus den Ländern der Habsburger Doppelmonarchie. Das Eintreffen des Ostasiatischen Marine Detachments - nach dem Boxeraufstand in Peking und Tientsin stationierte Soldaten - bringt die Zahl der Verteidiger des nicht zu verteidigenden »Stückchens deutsche Erde« auf rund 4.900 Mann. In Kriegszustand versetzt, sieht die deutsche Stadt am Gelben Meer eher wie ein Heerlager aus.


Heerlager Tsingtau, hier wurde nur die Verteidigung des Pachtgebiets geplant

Vor Tsingtau dümpelt die am 2.8. 1914 von Schanghei gekommene SMS Jaguar, dazu noch das Torpedoboot S 90 und die schwach armierte Kaiserin Elisabeth, die bereits am 31.7. 1914 mobil macht. In der Werft liegen die aufgrund ihres Gefechtswerts für einen modernen Seekrieg untauglichen Kanonenboote Iltis, Tiger, Cormoran und Luchs.

S.M.S. EMDEN unter Fregattenkapitän Karl v. Müller bringt zu den Klängen der »Wacht am Rhein« den in der Tsushima-Straße aufgebrachten russischen Hilfskreuzer Rjasan als Prise ein.

Japan, das als letzte imperiale Weltmacht eine Chance für seine Asien-den-Asiaten-Politik sieht, lehnt Pekings Vorschlag zur Neutralisierung des Küstenstrichs ab und fordert den Abzug deutscher Kriegsschiffe aus japanischen und chinesischen Gewässern, die bedingungslose Kapitulation und die Übergabe des Pachtgebiets ohne Anspruch auf Entschädigung ultimativ. Was Gouverneur Meyer-Waldeck (»Einstehen für Pflichterfüllung bis zum Äußersten«) davon hält, bringt Exzellenz in einem vom Hurrapatriotismus des wilhelminischen Reiches befeuerten Tagesbefehl an die Festungsbesatzung unter: »Zu stolzer Freude gereicht es uns, dass nunmehr auch wir für Kaiser und Reich fechten dürfen, dass wir nicht dazu verurteilt sind, tatenlos beiseite zu stehen ... Von dieser Stätte, die wir mit Liebe und Erfolg seit 17 Jahren zu einem kleinen Deutschland auszugestalten bemüht waren, wollen wir nicht weichen. Will der Gegner Tsingtau haben, so mag er kommen, es sich zu holen.«


Die "Prinz Eitel Friedrich" - Sie gilt als einer der erfolgreichsten deutschen Hilfskreuzer des 1.Weltkrieges

Ab 4. August wird der Lloyd-Dampfer Prinz Eitel Friedrich als Hilfskreuzer eingerichtet, dafür werden die Geschütze von Iltis, Luchs und Tiger verwendet. Auch die am 5. August aufgebrachte Rjasan wird als Hilfskreuzer umgebaut, sie erhält Geschütze von der Cormoran und Tiger, die Besatzung der Cormoran übernimmt das Schiff. Bereits am 6. August verlassen die SMS Emden und der Hilfskreuzer Prinz Eitel Friedrich Tsingtau. Am 9. August 1914 versichern japanische Zeitungen noch, dass Japan nichts gegen Deutschland unternehmen wird, soweit es kein englisches Hoheitsgebiet angreifen wird...In Tsingtau wird Verdunkelung angeordnet und am 10. August verlässt das Russenschiff Rjasan als neue "Cormoran" Tsingtau als Handelsstörer.

Primärquelle: Längin, Die deutschen Kolonien
Kriegstagebuch Tsingtau

Tsingtau im Krieg: Unter Beschuss


Die deutschen Verteidiger marschieren zu ihren Stellungen nördlich Tsingtaus

Am 15. August einigen sich England und Japan über das Vorgehen gegen Kiautschou. Mit der Seeblockade wird Tsingtaus Außenbucht hermetisch abgeriegelt.


die SMS Jaguar

Der japanische Zerstörer Shirotaye strandet vor der Insel Tschu Scha Tau, die SMS Jaguar unter Fregattenkapitän Freiherr von Bodecker gibt ihm den Rest, was sie an Land mit nationalen Tönen feiern. Am 21. August läuft der Lloydd Dampfer Paklat mit 260 Frauen und Kindern aus Tsingtau aus um sie nach Tientsin zu bringen. Das Schiff wird von englischen Torpedobooten gestoppt und sie nach Waihaiwei zu entführen. Die deutschen Frauen und Kinder müssen in ein englisches Schiff umsteigen, mit dem sie nach Tientsin verschifft wurden, die Paklat wird beschlagnahmt.


Die kaiserliche S 90 mit seiner tapferen Mannschaft

Einen Tag später bekämpfen sich die deutsche S 90 und das englische Torpedoboot Kennet, die Engländer erleiden Verluste: 3 Tote und 8 Verwundete.

Anfang September landen japanische Truppen unter Verletzung der chinesischen Souveränität eine erste Angriffswelle im Hafen von Lungkou. Englische und indische Verbände, die gegen Ende des Monats folgen, werden lediglich noch zu Zaungästen im deutsch-japanischen Krieg. Hauptmann Graf von Herzberg marschiert mit einer Kompanie des Ostasiatischen Marinedetachments nach Scha Tzy Kou, Hauptmann von Stranz nach Litsun, Perschmann geht dem Gegner nach Fou Schan Hou entgegen.


Deutsche MG Stellung vor Tsingtau auf dem Bismarckberg

Während der Beerdigung von Reserveleutnant Freiherr von Riedesel zu Eisenbach, Legationsrat der Gesandtschaft in Peking, der als erster Deutscher gefallen ist, streicht Pfarrer Winter sein »Schön ist es, für das Vaterland zu sterben« heraus.

Der japanische Vorstoß zieht die Schlinge um das Pachtgebiet enger, Tsingtau wird von der See her und aus der Luft bombardiert.

Primärquelle: Längin, Die deutschen Kolonien
Kriegstagebuch Tsingtau

Die Helden von Tsingtau


Die Verteidiger von Tsingtau fügten dem angreifenden Feind schwere Verluste zu

Die erste Landungswelle, die am 2. September bei Lungkow an Land ging, bestand aus 2.300 japanischen und 2.000 britischen Soldaten. Die Befestigungen der Stadt wurden von den Verteidigern um behelfsmäßige Feldbefestigungen erweitert, um den Japanern die Annäherung zu erschweren. Als die Angreifer anmarschierten, zog Meyer-Waldeck seine Truppen von den äußeren zwei Verteidigungsringen zurück und konzentrierte sie auf der innersten Verteidigungslinie.

Bereits am 26. und 27. September versuchten die Angreifer vergeblich, die Befestigungen mit rollenden Sturmangriffen zu überrennen, und erlitten dabei schwere Verluste. Am Tage darauf war die Stadt völlig eingekreist, und die eigentliche Belagerung begann. Vorsorglich versenkten die Verteidiger in der folgenden Nacht die abgerüsteten Kanonenboote Iltis, Tiger, Luchs und Cormoran und den Minenleger Lauting.


Unser Held von Tsingtau: Gunther Plüschow


Eine "Rumpler Taube", es war Plüschows geflogener Flugzeugtyp

Während die Japaner sich immer näher an die Befestigungen heranarbeiteten, ihre Belagerungsartillerie in Stellung brachten und mehrere parallele Grabenlinien aushoben, bemühten sich die deutschen Verteidiger nach Kräften, die Arbeiten der Belagerer zu stören. Eines der beiden Flugzeuge stürzte bereits beim ersten Flug ab, wobei der Pilot, Leutnant Friedrich Müllerskowsky, schwer verletzt wurde. Das andere, von Gunther Plüschow geflogene leistete wertvolle Dienste durch Luftaufklärung und Lieferung von Zieldaten für die deutsche Land- und Schiffsartillerie. Zudem versetzte Plüschow den Japanern ständig lästige Nadelstiche, und die deutsche Propaganda machte aus ihm den heldenhaften „Flieger von Tsingtau“, der jedoch auch bei seinen Gegnern durchaus Respekt genoss. Plüschow gab an, ein japanisches Farman-MF.7-Flugzeug abgeschossen zu haben, und warf hin und wieder kleine aus Artilleriegranaten gebastelte Bomben auf ihre Stellungen und Schiffe.

Die Japaner waren in der Luft jedoch weit überlegen, und die Maschinen des Flugzeugmutterschiffes Wakamiya schrieben Geschichte als die ersten Flugzeuge, die erfolgreich von einem Schiff aus Land- und Seeziele angriffen. Der österreichisch-ungarische Kreuzer Kaiserin Elisabeth und das deutsche Kanonenboot Jaguar wurden vor Tsingtau am 6. September 1914 (mittags) Ziel des ersten seegestützten Luftangriffes in der Geschichte, beide Schiffe wurden dabei nicht getroffen. Die Flugzeuge der Wakamiya waren auch die ersten, welche nachts einen Bombenangriff flogen.

Die Seestreitkräfte der Verteidiger blieben ebenfalls nicht untätig, die Artillerie des Kanonenbootes SMS Jaguar und des k. u. k. Kreuzers Kaiserin Elisabeth gab der Infanterie Feuerunterstützung.


Vom deutschen Torpedoboot S 90 versenkt: Der japanische Kreuzer "Takachiho" (1905)

In der Nacht des 17. Oktober versuchte das Torpedoboot S 90 aus dem Hafen auszubrechen und versenkte dabei mit einem einzelnen Torpedo den japanischen Geschützten Kreuzer Takachiho, der mit 271 seiner 354 Besatzungsmitglieder unterging. Das Boot konnte jedoch den Blockadekräften nicht entkommen und versenkte sich nach Aufbrauch der Brennstoffvorräte in chinesischen Gewässern selbst.

Primärquelle: Längin, Die deutschen Kolonien
Kriegstagebuch Tsingtau

Kein Wunder Wunder von Tsingtau


Noch Mitte Oktober war man zuversichtlich für Tsingtau. Und wenn Moltke auf Ludendorff gehört hätte, wäre Paris bereits von Alexander von Klucks Armee besetzt gewesen. Trotz englischer Durchhalteparolen und trotz Verlagerung der französischen Regierung nach Bordeaux, hätte Frankreich kapituliert, das Herz von Frankreich wäre herausgerissen gewesen. Ohne Frankreich hätte auch England den Krieg beendet, gefolgt von Russland, dass nach Tannenberg das Schlimmste befürchten musste. Für Tsingtau hätte das bedeutet, spätestens Ende Oktober wäre die Belagerung beendet gewesen. Es wäre das Wunder von Tsingtau gewesen...

Am 31. Oktober unternahmen die Japaner einen Generalangriff, um die Stadt pünktlich zum Geburtstag des japanischen Kaisers Mikado zu Fall zu bringen. Sie wurden jedoch abgeschlagen, und so begannen sie mit einer siebentägigen planmäßigen Beschießung der Festungsanlagen, wobei sie eine ähnliche Vorgehensweise wählten wie neun Jahre zuvor bei der Belagerung von Port Arthur. Wie schon damals beschossen landgestützte japanischen 28 cm-Haubitzen die Befestigungen und Forts, während die Infanterie unter dem Schutz des Sperrfeuers ihre Laufgräben näher an die Stadt herantrieb, um zum Sturm ansetzen zu können.


Tsingtaus Verteidiger im Spätherbst bei einer Kampfpause

Die Deutschen leisteten zähen Widerstand und erwiderten das Feuer mit ihren schweren Geschützen, bis die Munition ausging. Am 2. November versenkte die Restbesatzung der Kaiserin Elisabeth ihren Kreuzer, nachdem diesem die Munition ausgegangen war.


Kurz hinter der deutschen Frontlinie

Am 7. November stürmen die Japaner, auf rund 65.000 Mann mit 140 Geschützen verstärkt, die Stellungen am Iltis- und Bismarckberg. Bevor die weiße Fahne der Kapitulation auf dem Observatorium hochgeht, werden die verbliebenen Verteidigungs- und Werftanlagen gesprengt, Iltis, Luchs und Tiger selbstversenkt und die Fahne des See-Batallions verbrannt. Die Übergabebedingungen werden in der Moltke-Kaserne diskutiert. Über Tsingtaus letzte Stunden meldet Meyer-Waldeck nach Berlin: »Festung nach Erschöpfung Verteidigungsmittel durch Sturm und Durchbrechung in der Mitte gefallen. Befestigung und Stadt vorher durch ununterbrochenes Bombardement von Land mit schwerstem Geschütz bis 28 cm Steilfeuer, verbunden mit starker Beschießung von See schwer erschüttert, artilleristische Feuerkraft zum Schluss völlig gebrochen, Verlust nicht genau übersehbar, aber trotz schwerstem anhaltenden Feuer wie durch Wunder viel geringer als zu erwarten.«

Für Gott, Kaiser und das ferne Vaterland sind 224 Verteidiger gefallen, rund 450 wurden verwundet. Heldentaten, »dass ein Deutscher gegen zehn Feinde kämpfen kann«, schrieb Otto v. Gottberg und Heldentod sind es, was den Tsingtau-Kämpfern zu »unsterblichem Ruhm« verhilft, sie in der Reichspropaganda zum Symbol für deutsches Heldentum macht. Die japanischen Verluste und ihrer Verbündeten sind viel höher als die der Deutschen.


Die brennende Werft von Tsingtau, nichts brauchbares sollte dem Feind in die Hände fallen...
(Bundesarchiv)

Nach englischen Angaben beliefen sich die japanischen Verluste angeblich auf 733 Tote und 1.282 Verwundete, die Briten hatten 12 Tote und 53 Verwundete. Die deutschen Verteidiger verloren nur 199 Tote und 504 Verwundete. Die Japaner vertuschen bis heute das Ausmaß ihrer Verluste, es wurden anfangs gar nur 250 Tote zugegeben, obwohl die Versenkung der Takachiho bereits 271 ertrunkene Japaner kostete. Nach deutschen Angaben starben im Angriff auf Tsingtau mindestens 1014 Japaner, dass war die Zahl die 1916 auf einem japanischen Gedenkstein in Tsingtau stand. Die Zahl wird jedoch noch auf das dreifache geschätzt, es war das typische Verlustverhältnis zwischen Angreifer und Verteidiger.

Primärquelle: Längin, Die deutschen Kolonien